Leben

Ein Prag, das Brünner mögen

Foto: © Archiv Prahy v Brně | prahavbrne.czFoto: © Archiv Prahy v Brně | prahavbrne.cz
Die Designer der Inneneinrichtung des Praha in Brno sind Jakub Kopec und Jaroslav Sedlák.

Der Klub Praha in Brno: eine interdisziplinäre Tasse Kaffee für jeden – oder das einzige Prag, das die Brünner gerne haben.

Praha v Brně (Prag in Brünn) ist eine Verbindung, die keinem so schnell in den Sinn kommt. Und genau das Verbinden und Verknüpfen, die Annäherung und Zusammenarbeit von Künstlerkreisen, von manchmal scheinbar nicht zusammenhängenden Themen, von Kulturen und Nationalitäten führte zur Geburt des Forums für Architektur und Medien 4AM. Seit seiner Gründung 2010 ist es beständig gewachsen und entwickelte sich allmählich zu einem ganzheitlichen Konzept, das auf Interdisziplinarität und Offenheit basierte – und auf dem Bestreben, Grenzen zu überwinden, die in den Augen mancher zwischen künstlerischen und nicht-künstlerischen Bereichen entstanden sind.

Als im Jahr 2014 die ehemalige Restauratoren-Werkstatt der Mährischen Galerie frei wurde, richtete das Forum 4AM dort einen kulturellen Treffpunkt mit Café ein, an dem die vielfältigen Formen der Kunst, die dem menschlichen Geist dreidimensionale Gestalt geben, gezeigt werden. Der provokative Name Praha (prahavbrne.cz) für diesen Ort war laut den Gründern ein ungeplanter Treffer ins Schwarze beim psychographischen Spiel mit dem Gedanken, einen Ort in eine völlig andere Stadt zu überführen – genau wie die Elemente eines künstlerischen Genres in ein anderes.

Ein Café mit durchdachtem Interieur und Angebot

Die Idee der Variabilität durchweht das gesamte Café. Es wurde von Mitgliedern des Forums selbst genau für diesen Ort entworfen und ist eigentlich eher Bar und Club in gemeinsamer origineller Verpackung. Die Stufen, die zum Café führen, dienen gleichzeitig als Sitzgelegenheit. Die Architekten Jaroslav Sedlák und Jakub Kopec haben an einen barrierefreien Zugang gedacht, der die Absicht unterstreicht, auch wirklich jedem die Kunst zugänglich zu machen. Die beweglichen Bar-Elemente im Café sind dann die wirkliche Besonderheit des Praha. Es kann sich so an die verschiedenen Anlässe anpassen und in einen praktisch geschnittenen, großen Raum verwandeln.

Anstelle von erfahrenen Gastronomen übernahmen Architekten, Historiker und Kunstliebhaber aus unterschiedlichen Bereichen die Führung. Vielleicht auch deshalb ist das Angebot nicht „pragerisch“, sondern voller lokaler Spezialitäten von Lieferanten, die beweisen, dass Essen im Grunde angewandte Kunst ist. Die derzeitige Ausstellung zeigt zum Beispiel Slavkov Bier, den Schnaps Žufánek, die in ganz Brno beliebten Torten vom Mädchen am Herd (Děvče u plotny) oder Pasteten von Maty Chálka in eleganten Gläsern. Außerdem gibt es Kaffee aus der slowakischen Rösterei Coffee sheep, von der auch das originelle Getränk Kakauko stammt – ein hanfhaltiger Protein-Drink gesüßt mit Zucker aus Kokosblüten.


Ein direkt im Praha hergestelltes Stück aus der Vorratskammer der Einfälle und kreativen Kombinationen von Klára Eliášová sind die nanuky Praha. Die Anzahl der Geschmacksrichtungen und Rezepturen wächst genauso wie die Popularität dieses Eises am Stil. So gibt es die Geschmacksrichtungen Apfel-Zimt, Reispudding-Karamell, Birne mit Walnussbutter, Schokolade-Bienenpollen oder Traube mit dem georgischen Brandy Askaneli. Genau wie das Praha in Brno präsentieren die nanuky Praha alte Kunst in neuem Gewand, verwenden alte Technologie zur Erschaffung neuer Varianten, zeigen das Experiment im besten Licht und geben jedem Gast die Möglichkeit, seinen eigenen Geschmack zu entdecken – und zu probieren.

Visiting editors und kollektive Dramaturgie

Wer sich für Architektur und Medienkultur interessiert, findet im Café eine kleine Bücherei, die unter anderem entsprechende in- und ausländische Zeitschriften dazu anbietet, zum Teil schwer zu beschaffende Kostproben aus Japan oder den USA. Eines der Projekte, die eine Brücke schlagen zwischen den sehr verwandten Welten der Architekten und der Herausgeber ausländischer Architekturzeitungen, ist Passend dazu gibt es das Programm Visiting editors, im Rahmen dessen ausländische Herausgeber solcher Zeitschriften nach Brno eingeladen werden, um sich mit tschechischen (nicht nur Brünner) Architekten und Theoretikern zu treffen und sich gegenseitig zu inspirieren.

Das Programm des Forums 4AM funktioniert nach dem Prinzip der kollektiven Dramaturgie – jedes Mitglied bringt seine Visionen, Einfälle und Fachkenntnisse mit ein. Die thematischen Schwerpunkte sind Urbanismus, Architekturtechnologie, italienische Architektur und neue Medien. So wurde im Café Praha das Symposium der experimentellen und digitalen Architektur Pavilon1 abgehalten oder auch das Symposium Bau dir deine Stadt (Vyrob si své město), bei dem es um Company Towns ging – moderne Stadtsiedlungen, die im 20.Jahrhundert im Zuge der starken Industrialisierung erbaut wurden. Es gibt hier aber auch experimentelle Musik und eine audiovisuelle Workshops für Kinder, Filmvorführungen, politologische und soziologische Vorträge, Lesungen, kulinarische Degustationen, Theater- und Tanzveranstaltungen und Konzerte. Das breitgefächerte Angebot öffnet das künstlerische Umfeld auch für ein interessiertes Laienpublikum.

Das Praha ist ein dynamischer Punkt im Zentrum von Brno, an dessen Programm die Welt von heute, die Welt der Kunst und die Passanten Regie führen. Sie alle suchen einen offenen Raum, um ihre Individualität auszudrücken und gleichzeitig das Bedürfnis zu befriedigen, sich mit Menschen auszutauschen, die auf derselben Wellenlänge liegen. Und im Praha kann man viele Frequenzen empfangen, die sich gegenseitig nicht stören.

Blanka Datinská
Übersetzung: Hana Sedláček

Copyright: jádu | Goethe-Institut Prag
Februar 2017
Links zum Thema

Weitere Beiträge zum Thema

Ein Prag, das Brünner mögen
Der Klub Praha in Brno: eine interdisziplinäre Tasse Kaffee für jeden – oder das einzige Prag, das die Brünner gerne haben.

Worüber sprechen wir, wenn wir über Brünn sprechen?
Brno (Brünn) sei ein Ort, den man unbedingt besuchen müsse, schrieben New York Times und Guardian. Was hält Reiseführerautor Michal Kašpárek vom „Phänomen Brünn“?

Schluss mit lustig
Eigentlich machten die Leute von „Žít Brno“ („Brünn leben“) nur politische Satire. Da die Brünner Stadtregierung keinen Spaß versteht, gingen sie in die Politik.

Leser sind Patienten
Brno ohne Michal Ženíšek und seine Buchhandlung wäre nicht Brno. Bei ihm kann man reden, sich ausheulen, Rat holen oder Bücher kaufen, die es woanders nicht gibt.   

Themen auf jádu

Gemischtes Doppel | V4

Vier Kolumnisten aus der Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn schreiben über die Bedeutung Europas, Rechtspopulismus, nationale Souveränität, gesellschaftlichen Wandel, die Arroganz des westlichen Blicks – und brechen damit staatliche und gedankliche Grenzen auf. Mehr...

Heute ist Morgen
Oder ist es umgekehrt?! Und war nicht auch gestern schon mal Morgen? In was für einer Welt wollen wir gerne leben? Und wie lange wollen wir warten, bis sie Wirklichkeit wird? Mehr...

Im Auge des Betrachters
… liegt die Schönheit. Da liegt aber auch die Hässlichkeit – und alles dazwischen. Als Betrachter sind wir jedoch nur selten allein. Und als Betrachtete sowieso nicht. Mehr...

Dazugehören
Seit gesellschaftliche Akteure jeder Couleur ihre Forderung nach Integration einem Mantra gleich herunterbeten, gerät viel zu oft in Vergessenheit, dass Integration ein individueller Prozess ist, der auch von uns selbst etwas verlangt. Mehr...

Themenarchiv
Ältere jádu-Schwerpunkte findest du im Themenarchiv. Mehr...