Leben

Fußball rot weiß!

Oder: Wie viele Hooligans braucht das Land?

Fußball rot weiß! © ultras-regensburg.de

Rot und Weiß: das sind wohl seine Lieblingsfarben. Mindestens 90 Minuten in der Woche bestimmen diese Farben das Leben von Johannes.

 Der 25-jährige Regensburger ist als Ex-Ultra und Anhänger des rot-weißen Fußballclubs Jahn Regensburg ein bekanntes Gesicht in der städtischen Fußballszene: „Als Ultra ist es deine Pflicht, dem Jahn zu jedem Spiel zu folgen, auch wenn er in der fünften Liga im letzten Kuhdorf spielt!“

Mit einem Funkeln in den Augen erzählt der muskulöse Physiotherapeut über seine persönliche Verbundenheit mit dem Regensburger Verein: „Ein Freund hat mich damals spontan zu einem Spiel mitgenommen, als ich ihn vor dem Anpfiff auf der Straße traf.“ Von der Gruppendynamik gefesselt, wurde das Stadion in der Prüfeninger Straße sein zweites Zuhause. Zu den Ultras zählt er sich seit 2006 jedoch nicht mehr: „Irgendwann hatte ich nicht mehr genug Zeit, um genügend Energie in den Verein zu investieren und mich als Ultra bezeichnen zu dürfen.“


Die eine oder andere Schlägerei lässt sich nicht vermeiden

Fußball rot weiß! © ultras-regensburg.de

Insbesondere wenn ein Erzrivale wie Wacker Burghausen in die Donaustadt reist, herrscht Ausnahmezustand in Regensburg. Die städtischen Parks rund um das Stadion und den Bahnhof werden gesperrt und die Straßen mit Polizeieinheiten gesäumt. „Meistens haben wir die Jungs und Mädels gut im Griff, aber die eine oder andere Schlägerei lässt sich manchmal nicht vermeiden“, erzählt ein Polizist, der regelmäßig bei Heimspielen Dienst hat. Vor randalierenden Jugendlichen fürchten sich auch die Tankstellenbetreiber rund um das Jahnstadion. Während der „heißen Phase“ werde seine Anlage daher von der Polizei zusätzlich überwacht und geschützt, erzählt einer von ihnen. Auch Student Martin, der in Stadionnähe wohnt, schüttelt den Kopf: „Für manche mag das ein besonderes Lebensgefühl sein, aber ich kann es nicht verstehen, jede Woche wie wild geworden zum Fußball zu gehen.“ – Geschweige denn wie die Ultras seinem Verein hunderte Kilometer hinterher zu reisen.

Schon auf der Zugfahrt nach Saarbrücken, wo der Jahn an diesem Spieltag zu Gast ist, wird gesungen und getrunken. Der eine oder andere Mitreisende im Zug rückt schon mal ein Stück zur Seite, wenn die Bierdosen zischen und die Käppis noch tiefer ins Gesicht gezogen werden. „Es hat etwas Abenteuerliches, mit fünfzig Erlebnisorientierten quer durch Deutschland zum Fußball zu fahren“, erzählt Johannes und zündet sich eine Zigarette an.

Dass sie keinen guten Ruf besitzen, wissen die Ultras, doch einschüchtern lassen sie sich nicht, schon gar nicht von der auch auf Auswärtsspielen stetig wachsenden Polizeipräsenz. „Den Spaß lass ich mir davon persönlich nicht nehmen“, betont Johannes, während ein Mädchen auf dem Platz gegenüber auf seine Tätowierung starrt, die sich von links nach rechts von einem Schulterblatt zum anderen zieht. „Dem DFB sind wir ein Dorn im Auge, denn die hätten am liebsten nur Sitzplatzkartenkäufer und Konsumenten im Stadion“.


Wir sind keine Verbrecher

Fußball rot weiß! © ultras-regensburg.de

Am Zielbahnhof wird die grölende Horde von schwer ausgerüsteten Polizisten erwartet. Bewaffnet mit Schlagstöcken, Schutzwesten und Helmen weisen sie den überwiegend männlichen Fans den Weg zum Stadion. „Klar gibt es immer wieder Ausnahmen, die unter dem Deckmantel der Masse ihren Alltagsfrust ablassen“, gibt Johannes zu. Doch dass ein Anhänger nach einer falschen Schiedsrichterentscheidung den Platz stürme, sei die Ausnahme. „Wie viel die Ultras aber für ihre Vereine tun, zum Beispiel indem sie ganze Tage und Unmengen an Geld investieren, um aufwendige Choreographien zu entwerfen, geht beim Durchschnittsfußballinteressierten meist unter“, sagt der Regensburger.

Dass der Fanblock vor allem bei Auswärtsspielen ohne die Regensburger Ultras aber ziemlich leer wäre, müssen auch die Kritiker zugeben. Während die gewöhnlichen Jahn-Fans nur zu den Heimspielen kommen, folgen die Ultras dem Verein auch bis in den hohen Norden. „Ein finanziell angeschlagener Verein wie Regensburg braucht uns“, da ist sich Johannes sicher. Immer höhere Eintrittspreise und arbeitnehmerfeindliche Anstoßzeiten zeigten die ständige Kommerzialisierung dieses Sports. Und was für einen Außenstehenden schier abstrus erscheint, gehöre für einen wahren Fan auch bei Misserfolgen dazu: „Auch wenn es schwierig ist in der dritten Liga auswärts Stimmung zu erzeugen, singen die meisten 90 Minuten durch“, erzählt Johannes und stimmt in die Fangesänge ein, bis der Stadionsprecher sie mit der Aufstellung unterbricht. Augenblicklich werden die Namen der Spieler aus voller Kehle mitskandiert und der Anstoß bejubelt.

„Wir sind keine Verbrecher, auch wenn wir in den Medien manchmal so hingestellt werden“, wirft ein Fankollege ein. „Es muss aufgehört werden, jeden Vorfall auszuschlachten, um uns in ein schlechtes Licht zu rücken“, pflichtet Johannes ihm bei. Im nächsten Moment liegen sich die Fußballfreunde in den Armen und feiern den ersten Torschuss ihrer Mannschaft, während ein paar Meter weiter eine Rauchbombe gezündet wird.

Magdalena Wagner

Copyright: Goethe-Institut Prag
September 2011

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