Leben

Für ein besseres Klima

Christopher Peetz

Ehrgeizige Ziele nur durch Zusammenarbeit erreichen

Silent Climate Parade, Berlin 2011, © Christopher Peetz

Silent Climate Parade, Berlin 2011, © Christopher Peetz

Eine neue Generation von Klimakämpfern macht sich auf die Welt zu retten – Ihre Forderungen sind radikal und umstritten. Um Einfluss zu gewinnen, müssen sie mit den etablierten NGOs zusammenarbeiten.

„Wir bauen eine globale Bewegung auf, um die Klimakrise zu lösen“, lautet die ziemlich selbstbewusste Überschrift auf der Website 350.org. Unter der gleichnamigen Webadresse findet sich ein weltweiter Zusammenschluss von jungen Klimaaktivisten, die sich über das Internet organisieren. 350.org-Gründer Bill McKibben hat gerade die größte Umweltdemonstration in den USA seit Jahren organisiert. Anfang November bildete das Netzwerk von 350.org zusammen mit anderen Umweltschützern eine Kette aus mehreren zehntausend Menschen rund um das Weiße Haus in Washington. Die Aktion richtete die sich gegen das Pipeline-Projekt Keystone XL, das derzeit größte Energieprojekt in den USA. Ab 2013 sollte damit Rohöl aus dem größten Ölsandvorkommen Kanadas quer durch die USA transportiert werden. Ein erster Erfolg der Demonstranten ist in Sichtweite: Der US-Präsident hat den Bau der Pipeline gestoppt. Bisher sind die Umweltschützer um 350.org noch keine Massenbewegung. Doch sie erhalten Rückenwind von der Occupy-Bewegung. Und es werden mehr.

Einer von Ihnen ist Daniel Hires. Durch seine Arbeit bei First Climate, einem Unternehmen, das Produkte und Dienstleistungen im Emissionshandelsmarkt anbietet und in ökologische Projekte investiert, hatte er bereits nach seinem Studium in den USA viele Menschen kennengelernt, die sich für den Klimaschutz engagieren. So erfuhr er auch von dem weltweiten Aktionstag „Global Work Party“, in dessen Rahmen 350.org im Jahr 2010 zu Baumpflanz-Aktionen, Stromwechselpartys und Fahrradtouren rund um den Globus aufgerufen hatte. Zehntausende Menschen in 188 Ländern hatten einen stärkeren Einsatz für den Klimaschutz gefordert.

Rund 400 Menschen versammelten sich in Berlin, um bei der sogenannten Silent Climate Parade zu den Technobeats von Dr. Motte demonstrierend durch die Straßen zu ziehen. Mit Funkkopfhörern ausgestattet tanzten die Aktivisten lautlos vom Brandenburger Tor bis zum Alexanderplatz- Für die Nichtbeteiligten eine ziemlich irritierend wirkende Aktion. Auch Daniel Hires nahm an der Demonstration teil. „Damals hatte ich noch nicht begriffen, wie groß die Idee ist“, sagt er. „Es war unglaublich - alle haben etwas Ähnliches erlebt, anders als die Außenstehenden. Man hat sich dadurch sehr verbunden gefühlt.“ Als im September 2011 wieder eine Silent Climate Parade stattfinden sollte, half Daniel bei der Organisation und stellte sich auch für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung. Die Aktion war erfolgreich: Diesmal tanzten 800 Teilnehmer zwei Stunden lang über den Kudamm.

Umstrittenes Ziel?

Ihre ebenso radikale wie umstrittene Forderung haben die jungen Klimakämpfer bis heute beibehalten: Sie wollen, dass der CO2-Gehalt in der Atmosphäre auf 350 ppm (parts per million) reduziert wird. 350 ppm ist laut vieler Wissenschaftler die Obergrenze an CO2, die die Atmosphäre noch verträgt, ohne dass es zu einem drastischen Klimawandel kommt. Doch mindestens ebenso viele Forscher halten die Forderung für unrealistisch. Denn um das Ziel zu erreichen, wäre eine drastische Reduktion an Emissionen notwendig. Schon das weniger ehrgeizige Ziel, die globale Erwärmung auf weniger als zwei Grad gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung zu begrenzen, würde bedeuten, dass die Industriestaaten ihren Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 um mindestens 80 Prozent senken. Für das 350ppm-Ziel wäre ein weltweiter Ausstieg aus der Kohle bis 2030 notwendig – ein Szenario, das mit einem immens hohen Aufwand verbunden wäre. Die internationale Klimapolitik hat bislang nichts in dieser Richtung unternommen. Und der Co2-Ausstoß steigt an – so rasant wie nie.

Auch bei den Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ist man unterschiedlicher Meinung was das Thema 350ppm betrifft. Das könnte zu einem Problem für die jungen Klimakämpfer werden. Denn gerade vergleichsweise kleine Umwelt-Organisationen wie 350.org brauchen die Unterstützung vor allem von großen NGOs, wie Greenpeace oder dem WWF, um mehr Einfluss zu gewinnen.

Silent Climate Parade, Berlin 2011, © Christopher Peetz

Silent Climate Parade, Berlin 2011, © Christopher Peetz

Politischer Druck in Zusammenarbeit

Beim Kampagnen-Netzwerk Avaaz, das mit rund 10 Millionen Mail-Adressen in seinem Verteiler zu einem der großen Player in der Klima-Bewegung zählt, will man sich nicht zum 350ppm-Ziel positionieren. „Wir haben kein Interesse daran, andere Organisationen zu kommentieren“, erklärt Sprecherin Stephanie Brancaforte. Zur Zeit sei offiziell keine Zusammenarbeit geplant.

Dabei arbeiten beide Organisationen parallel daran, die Themen Finanzkrise und Klimawandel im öffentlichen Bewusstsein miteinander in Verbindung zu bringen. Bei Avaaz spielt man mit dem Gedanken, eine entsprechende Kampagne zu fahren. Sie könnte darauf abzielen, die Krise als historische Chance zu deuten, um das Wirtschaftssystem klimafreundlich zu gestalten. Auch 350.org bemüht sich, entsprechende Zusammenhänge herzustellen. Dass die großen Banken zu einem wesentlichen Teil an der Finanzierung der klimaschädlichen Kohlekraftwerke beteiligt sind, könnte dabei zum Dreh- und Angelpunkt werden.

Medienwirksame Zusammenarbeit auf breiter Front gab es bereits in der Vergangenheit. Etwa die Kampagne „The world wants a real deal“ kurz vor dem Klimagipfel in Kopenhagen 2009. Mit der Forderung nach einem gerechten, verbindlichen und ehrgeizigen Klimaabkommen sollte damals Druck auf die Politik ausgeübt werden. Beteiligt waren neben 350.org und Avaaz auch Greenpeace und Aktivisten des WWF.

Gemeinsame Aktionen von Klimaschützern könnten in Zukunft häufiger werden. Gerade junge Netzwerke wie 350.org profitieren von den Mechanismen des Internets: Je mehr Klimaaktivsten über das WWW miteinander kommunizieren, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich gemeinsame Forderungen ergeben. Auch die Planung und Organisation von Demonstrationen wird durch soziale Netzwerke wie Facebook einfacher, je mehr junge, netzaffine Aktivisten nachrücken. Potentiell gibt von ihnen mehr als genug: 4,5 Milliarden Erdenbürger sind jünger als 35, das sind deutlich mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung.

Zwischen Greenpeace und 350.org scheint indes schon jetzt Einigkeit in Bezug auf das 350ppm-Ziel zu herrschen. Martin Kaiser, Leiter der Internationalen Klimapolitik bei Greenpeace, hält die Forderung für unterstützenswert. Die Frage, ob das 350ppm-Ziel realistisch sei, beantwortet er mit einer einfachen Feststellung: Für die kleinen Inselstaaten, die als erstes von vom Klimawandel verursachten Überschwemmungen betroffen sind, ist alles andere unrealistisch.

Jacques Kommer
 
Copyright: Goethe-Institut Prag 
März 2012
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