Alle sind mono, nur einer nicht: Erlenweins „Stereo“

© Wild Bunch Germany „Stereo“, Panorama, DEU 2014, Regie: Maximilian Erlenwein, im Bild: Jürgen Vogel, Moritz Bleibtreu | © Wild Bunch Germany
„Stereo“, Panorama, DEU 2014, Regie: Maximilian Erlenwein, im Bild: Jürgen Vogel, Moritz Bleibtreu | © Wild Bunch Germany

Schnell und lustig, nicht vorhersehbar und – okay – ein bisschen blutig. Berlinale-Bloggerin Jutta Brendemühl stellt „Stereo“ vor, den neuen Film von Maximilian Erlenwein.

Das deutsche Kino besteht nicht nur aus tiefsinnigen Arthouse-Filmen, wie sie gerne auf der Berlinale präsentiert werden. Ich möchte an dieser Stelle einmal eine andere Seite des deutschen Films vorstellen:

Mit Gravity hat Maximilian Erlenwein bereits einen guten Thriller abgeliefert. Nun legt er mit Stereo die Messlatte noch ein Stück höher. Zunächst einmal sei der absolut herausragende Kameramann The Chau Ngo erwähnt, der wirkliche alle existierenden Filmpreise verdient hat. Mich hatte er bereits am Anfang mit den Titelnennungen im Vorspann im 007-Stil begeistert. (Hoffentlich hat James-Bond-Produzentin Barbara Broccoli, die ja auch in der Berlinale-Jury sitzt, den Film gesehen!)

Es geht um Erik, der mit seiner neuen Freundin und deren kleiner Tochter ein zufriedenes Mittelschicht-Familienleben führt – bis Henry auftaucht, und die Dinge sich schlagartig verändern. Ist Henry eine paranoide Halluzination, die Manifestation von dunklen Ängsten, ein schlechtes Gewissen oder der wahr gewordene Alptraum eines Schizophrenen? Oder steht Henry am Ende für Eriks Alter Ego, seine wahre Identität?

Der Film ist schnell und lustig, nicht vorhersehbar und bleibt trotz der fast schon übersinnlichen Figur des Henry plausibel. Somit bleibt die Spannung 95 Minuten lang erhalten, und am Ende steht eine überraschende Wendung. Okay, ein bisschen blutig ist das Ganze: Vielleicht eine Mischung aus Black Swan und Fight Club, die David Cronenberg sicher gefallen würde. Viel mehr kann man nicht von einem prominent in der Sektion Panorama platzierten Thriller erwarten. Gut, an manchen Stellen sind die bösen Jungs vielleicht einen Tick zu böse, aber Erlenwein lässt das Ganze nie vollends ins Lächerliche abgleiten.

Die Musik von Enis Rotthoff ist so großartig, dass ich mir auf jeden Fall den Soundtrack kaufen werde. Rotthoff hat in den letzten Jahren bereits an vielen verschiedenen, zum Teil großen Filmen mitgearbeitet, etwa Humboldts 3D-Filmbiografie Die Vermessung der Welt oder jüngst Feuchtgebiete, der auf dem Sundance Film Festival lief, der deutsche Vorläufer zu Nymphomaniac. Übrigens, auf die amüsante Frage aus dem Publikum, warum der Film denn Stereo heiße, antwortete Rotthoff: „Alle sind mono. Nur Erik ist stereo.”

Im Interview nach der Vorführung nennt Erlenwein den Film Mein Freund Harvey mit James Stewart aus dem Jahr 1950 als Inspiration: „Ich habe mich gefragt: Was würde ich wohl tun, wenn jemand anfängt, mich zu verfolgen?” Hoffen wir mal, dass Erlenwein im echten Leben weniger extrem reagieren würde als Erik im Film.

Ich habe noch nie einen deutschen Film gesehen, der in bester amerikanischer Machart daherkommt, egal ob man es nun Genre-Film oder einfach 90-Minuten-gut-gemachte-Unterhaltung nennt.

Jutta Brendemühl
bloggt für GermanFilm@Canada von der Berlinale.

Übersetzung aus dem Englischen von Sabine Bode
Copyright: Goethe-Institut e. V.
Februar 2014
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Jutta Brendemühl ist Programmkuratorin des Goethe-Instituts Toronto und Bloggerin bei GermanFilm@Canada. Die studierte Anglistin konnte ihre Leidenschaft zum Beruf machen: Sie organisiert Kunst- und Kulturprogramme quer durch alle Genres und mit globaler Ausrichtung. In den vergangenen 15 Jahren hat sie bereits mit Größen wie Bernardo Bertolucci, Robert Rauschenberg, Wim Wenders oder Pina Bausch zusammengearbeitet.

Twitter @JuttaBrendemuhl