Gemischtes Doppel | Visegrád 4

Die Zivilgesellschaft ist noch nicht am Ende

Illustration: © Ulrike Zöllner

#19 | POLEN

Dass die PiS bei den polnischen Kommunalwahlen in den großen Städten gescheitert ist, deutet auf eine Zivilgesellschaft hin, die den Staatsumbau der Nationalkonservativen nicht akzeptieren wird, meint Monika Sieradzka.

Liebe Terezea, lieber Márton, lieber Michal,

wir haben in den vergangenen Monaten ziemlich viele düstere Geschichten aus unseren Ländern gebracht, die mit dem wachsenden Einfluss der Populisten zu tun hatten. In meiner Kolumne will ich diesmal etwas optimistischer werden. Am Sonntag haben in ganz Polen die Kommunalwahlen stattgefunden. Die PiS hat zwar ihre Sitze in den regionalen Parlamenten und Gemeinderäten verteidigt und teilweise gestärkt, aber diese Wahl hat etwas Wichtiges gezeigt: Die für die polnischen Kommunalwahlen rekordhohe Wahlbeteiligung von über 52 Prozent zeigt, dass die kollektive Apathie noch nicht eingesetzt hat. Der PiS ist es nicht gelungen, die liberal regierten Großstädte zu erobern. Symbolträchtig sind die Wahlresultate in Warschau, wo der liberale Kandidat Rafal Trzaskowski mit 54 Prozent der Wählerstimmen seinen Gegner, den Vize-Justizminister Patryk Jaki, besiegte. In den meisten Großstädten wird erst die zweite Runde entscheiden, doch der Vorsprung der liberalen Kandidaten lässt schon jetzt keine Zweifel mehr am Ergebnis zu.

Unter der PiS-Regierung ist die Zivilgesellschaft reifer geworden.

Beim Wahlkampf der Opposition ging es nicht um den Sieg, sondern darum, die Front gegen die PiS zu stärken. Das hat sich der wohl bekannteste polnische Stadt-Aktivist Jan Śpiewak vorgenommen, der seit Jahren Korruptionsskandale des Establishments entschleiert und für ein „transparenteres und empathisches Warschau“ kämpft. Auch wenn er mit rund drei Prozent in Warschau auf dem dritten Platz gelandet ist, hat er links-liberale Kräfte um sich herum konsolidiert.

Seit der Machtübernahme durch die Nationalkonservativen wird regelmäßig gegen die staatliche Kontrolle der Justiz, der Medien und des Bildungssystems protestiert. Dabei sind informelle Netzwerke von Menschen entstanden, die sich früher nicht unbedingt gesellschaftlich engagiert haben. Unter der PiS-Regierung ist die Zivilgesellschaft reifer geworden: Davon zeugen die wiederkehrenden Proteste und die jüngsten Wahlen.

Beim Warschauer Bezirksgericht läuft etwa ein Prozess, in dem ein Zuschauer das staatliche Fernsehen verklagt und bei dem namenhafte Menschenrechtler als Zeugen bestellt sind; in Polen ein Präzedenzfall. Für den Zuschauer sei das Fernsehen zum Instrument der Parteipropaganda geworden und eine Welt zeige, die mit der Realität nichts mehr zu tun habe. Vor allem stimme die Fernsehrealität dem Parteiprogramm der PiS überein, heißt es in der Anklage. Dadurch sei die in der Verfassung verankerte Würde des Menschen angetastet.

Signale von außen sind notwendig.

Seit zwei Wochen drücke ich die Daumen für die Gründer des inzwischen international bekannten Museums des Zweiten Weltkrieges in Danzig, die sich - jetzt auch vor Gericht - der offiziellen Geschichtspolitik widersetzen. Schlagzeilen macht gerade der Ex-Bürgermeister von Warschau, der in seiner Wohnung Flüchtlinge aus Tadjikistan aufgenommen hat, um damit in einem flüchtlingsfeindlichen Land ein Zeichen zu setzen. Zum Auftakt des Schuljahres startet eine Gruppe unabhängiger Anwälte und Richter eine an die Jugendlichen gerichtete Informationskampagne zur Rechtsstaatlichkeit. All das sind Beispiele zivilen Mutes.

Und – last but not least: Die ungehorsame Gerichtspräsidentin des Obersten Gerichts, Malgorzata Gersdorf, die trotz ihrer umstrittenen, frühzeitigen Pensionierung ihre Arbeit nicht niedergelegt hat. Mit der Senkung des Rentenalters von 70 auf 65 Jahre wollte die PiS einen Teil der Richter in die Rente schicken und ihre Posten mit PiS-treuen Leuten besetzen. Gersdorf und ihre Kollegen haben gerade eine Rückendeckung vom EU-Gerichtshof bekommen. Die Entscheidung aus Luxemburg kam zeitlich passend, gerademal zwei Tage vor den Kommunalwahlen. Sicherlich hat sie die oppositionellen Kräfte in den Großstädten gestärkt und zum Erfolg der Opposition beigetragen.

Solche Signale von außen sind notwendig. Sie geben den Liberalen den Mut, sie setzen aber auch die Regierenden unter Druck. Vor einigen Monaten hat Polen nach dem Urteil des EU-Gerichtshofs die Abholzung des Urwaldes Białowieża gestoppt. Der internationale Druck hat die Regierung auch zur Modifizierung des restriktiven Holocaust-Gesetzes gedrängt. Jetzt ist in Regierungskreisen schon von einer „notwendigen Korrektur“ der Justizreform die Rede.

Die Entscheidung des EU-Gerichtshofs und die Wahlerfolge der Opposition stimmen mich optimistisch an. Hoffentlich werden diese beiden Ereignisse auch richtungsweisend. Nächstes Jahr stehen nämlich die EU- und die polnischen Parlamentswahlen an.

Monika Sieradzka
24. Oktober 2018
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Im Gemischten Doppel halten Michal Hvorecký (Slowakei), Tereza Semotamová (Tschechien), Márton Gergely (Ungarn) und Monika Sieradzká (Polen) die Diskurse ihrer Länder fest. Sie ergründen Themen wie die heutige Bedeutung Europas, Rechtspopulismus, nationale Souveränität, gesellschaftlichen Wandel, die Arroganz des westlichen Blicks – und brechen damit staatliche und gedankliche Grenzen auf.

Die Goethe-Institute in Polen, Tschechien und das Onlinemagazin jádu veröffentlichen die Beiträge der Kolumnenreihe mit freundlicher Genehmigung und in Kooperation mit ostpol, dem Online-Magazin von n-ost – Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung e.V.

    Monika Sieradzka

    Monika Sieradzka hat Germanistik in Warschau und Politikwissenschaften in Mainz studiert. Sie hat 20 Jahre lang beim öffentlich-rechtlichen Sender TVP gearbeitet und war Nachrichtenreporterin, Moderatorin, Korrespondentin in Skandinavien, CvD, Redaktionsleiterin für Nachrichten und Reportage. Heute lebt sie in Warschau und berichtet als freie Journalistin für die DW und für den MDR.

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