Muskelspiel und Kopfarbeit

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Manja Williams: „Ich habe Spaß am Sport und tue es auch für mein Körpergefühl und Schönheitsideal.“ Foto: © Manja Williams | manja-williams.com

Frauen-Bodybuilding polarisiert: Die einen finden es „unweiblich“, andere sind seit Jahrzehnten treue Fans. Seit einiger Zeit versucht sich der Sport an einem neuen Image – und schafft sich damit vielleicht selbst ab.

Mit der durchgestylten Ästhetik vieler Fitnessketten hat das Fitnessstudio Powerhouse im Berliner Westen wenig zu tun. Von der Trainingsfläche pumpt rhythmische Musik gegen die dicken Mauern des ehemaligen Güterbahnhofs Charlottenburg, der heute Geräteparcours und eine Proteinshake-Bar beherbergt. Manja Williams und ihr Mann Michael sind zwei der Stammkunden und beide erfahrene Bodybuilder – Manja ist unter anderem mehrfache Deutsche Meisterin, 2008 war sie Dritte bei den Weltmeisterschaften.

Zum Gespräch trägt sie ein Sportoutfit, etwas Make-Up sowie Schmuck und die langen Haare fallen als Zopf über ihren durchtrainierten Oberkörper – ihr „Markenzeichen Monsterrücken“ wie sie selbst sagt. Ein Kontrast zu der fast zurückhaltenden Art der Sportlerin, doch es bleibt nicht die einzige Überraschung. Denn Manja Williams arbeitet hauptberuflich als Deutschlehrerin in der gymnasialen Oberstufe. Im Frühjahr bereitet sie sich daher nicht nur auf die Wettbewerbssaison, sondern auch auf die Abiturprüfungen vor: „Als Bodybuilderin bin ich stolz darauf, Akademikerin zu sein. Das passt alles irgendwie überhaupt nicht zusammen. Aber das macht mich aus.“

Dass ihr Aussehen, ihr Sport und Lebensstil bisweilen irritieren, ist Manja bewusst: „Ich werde als Bodybuilderin außerhalb der Masse wahrgenommen. Das ist auch ein schönes Gefühl, denn ich habe Spaß am Sport und tue es auch für mein Körpergefühl und Schönheitsideal.“ Manja kämpft in der „Physique“-Klasse, neben „Bikini“ und „Fitness“ ist dies eine der drei Kategorien für Frauen-Bodybuilding. Diese verlangt die meisten Muskeln sowie enorme Disziplin, intensives Training und streng geregelte Ernährung.

Vor 20 Jahren begann Manja mit dem Sport, weil sie sich als zu dünn empfand. Es folgte eine Trainerinnenausbildung, neben Studium und Referendariat arbeitete sie in Fitnessstudios. Große, muskulöse Körper faszinieren sie, ihr Partner Michael ist zweiter Verbandsvorsitzender des Berliner Bodybuildingvereins, Kampfrichter, Geschäftsführer eines Sportvertriebs und ebenfalls seit 30 Jahren im Bodybuilding aktiv. Er ist Manjas Vorbild und zusammen ist man nicht nur im Verband, sondern ist auch vor und hinter der Bühne ein bewährtes Team: „Meine Lieblingskategorie ist das Paarposing. Wir erzählen kleine Geschichten und basteln sehr schöne Küren“, so Manja. Sind beide in der Wettkampfvorbereitung, ziehen sie sich in der heißen Phase aus dem sozialen Umfeld zurück, denn für Manja ist „der Wettkampf nicht auf der Bühne, sondern die drei bis vier Monate vorher, die man mit sich selbst kämpft.“

Am Wettkampftag steht eine Bodybuilderin zwischen fünf bis zehn Minuten auf der Bühne, in der Physique-Klasse hat sie dann für eine individuelle Kür noch 30 Sekunden Zeit – von einstmals 90 Sekunden. Veränderungen wie diese begleiten den Imagewandel des Frauen-Bodybuildings, werden jedoch nicht nur positiv aufgefasst.

Manja Williams während ihrer 30-sekündigen Kür bei den Berliner Meisterschaften 2016, für die sie drei bis vier Monate trainiert und Diät hält. Männliche Athleten posieren 60, Paare 90 Sekunden.

„Strong“ ist das neue „skinny“

Mit Instagram und YouTube hat die Bodybuilding-Szene enorme Konkurrenz bekommen: Die makellose Hochglanzästhetik kommt gut an und öffnet den Sport einer neuen Generation, zu der auch Julia [Name auf Wunsch der Sportlerin geändert] gehört. Die Baden-Württembergerin ist Ende Zwanzig und war schon zu Schulzeiten sehr sportlich. Ihr Trainingsprogramm hat sie im Laufe der Jahre neben Studium und Beruf verfeinert und kombiniert es mit Informationen aus Fachbüchern sowie dem Internet. Zukünftig möchte sie erstmalig bei einem Wettbewerb in der „Bikini-Klasse“ antreten. Die enorme Konkurrenz störe sie nicht, denn „Bikini“ sei auch „für viele eine Klasse, die erreichbar ist.“

Die Öffnung der Bodybuilding-Szene gegenüber neuen Mitgliedern und einem frischem Image empfindet Julia als „kleine Revolution“. Den Fitness-Look zelebrieren mittlerweile auch viele Models – „clean eating“ und „Fitness“ gehören zum neuen Ideal westlicher Weiblichkeit. Doch dieser Prozess bringt auch eine Aufweichung von Bewertungsstandards mit sich, denn gerade der starke Aufbau und die Definition von Muskelmasse unterscheidet Frauen-Bodybuilding von Schönheitswettbewerben.

Die neue Generation distanziert sich hingegen von „Monsterrücken“, Muskelbergen und harten Mienen – auch Julia spricht anderen gegenüber lieber von „Kraftsport“ als von „Bodybuilding“: „Man sagt nicht einfach: ‚Ich fang jetzt mit dem Bodybuilding an‘ wie ‚Ich fang mit Yoga an‘. Viele denken bei Bodybuilding an früher – Frauen mit dicken Muskelbergen, die keine weiblichen Züge mehr haben. Manche sagen auch: ‚Pass auf, dass du nicht männlich aussiehst!‘“

Müssen Athletinnen sexy sein?

Für Sportlerinnen, die sich diesem Trend nicht anpassen können oder wollen, wird es daher schwieriger, erfolgreich in einer passenden Klasse bei Wettbewerben anzutreten. So strich man 2014 ersatzlos die Klasse „Bodybuilding“, in der auch Manja antrat. Sehr unterschiedlich proportionierte Athletinnen fanden sich plötzlich in der „Physique“-Klasse zusammengewürfelt, was aus Manjas Sicht auch zu ihrer Fehlbewertung bei der Deutschen Meisterschaft 2015 führte. Zwar startete sie 2016 erneut, beschloss aber, in Zukunft vorrangig international anzutreten, da dies mehr Wettbewerbsmöglichkeiten für muskulöse Frauen böte.

Die Frage nach „weiblicher Ästhetik“ als Wettbewerbskriterium stand bereits 1992 im Raum, als der Weltverband International Federation of BodyBuilding and Fitness (IFBB) eine neue “Weiblichkeitsregel” erließ. Diese schloss besonders massige Sportlerinnen von Wettbewerben aus, sofern sie nicht 20 Prozent ihrer Muskelmasse abbauten. Vordergründig ging es dabei um eine Eindämmung des Doping-Missbrauchs unter Bodybuilderinnen, dies wurde aber von ihren männlichen Kollegen weder derart thematisiert noch gefordert.

Die „Weiblichkeitsregeln“ wurden im Jahr 2000 erneut verschärft, doch lassen sie weiterhin Spielraum für Interpretation – so gelten Haarverlängerungen als verpönt, Brustimplantate und Push-Up-Oberteile jedoch nicht. Für Kritikerinnen fördert der Sport damit ein eher konservatives und warenförmiges Frauenbild, denn mit sexy Pin-Up-Athletinnen lockt man zugleich auch mehr zahlungskräftige Besucher und Sponsoren an.

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Manja Williams` „Markenzeichen Monsterrücken“, Foto: © Manja Williams | manja-williams.com

Stärke fängt im Kopf an

Für die Sportlerinnen ist das Bodybuilding hingegen meist nur ein „teures Hobby“ wie Manja sagt. Bis zu 2000 Euro kann eine Wettkampfvorbereitung kosten. Von Preisgeldern lebt keine, die Athletinnen sorgen überwiegend selbst für ihren Unterhalt – meist als Trainerinnen, Ernährungsberaterinnen, als Foto- und Filmmodel. Weniger offen wird über eine Sonderform des Sponsorings gesprochen, bei dem Fans für exklusive Workouts, private Wrestling-Sessions oder erotische Fotos ihrer Lieblings-Bodybuilder viel Geld zahlen.

Der Alltag der meisten Bodybuilderinnen ist geprägt von minutiöser Workout-Routine und Disziplin. So beginnt Julias Woche montags um 5:20 Uhr, ab 6 Uhr folgt eine Stunde Ausdauertraining im firmeneigenen Fitnessstudio. Um 7:00 Uhr geht sie zur Arbeit, an manchen Tagen trainiert Julia auch zwei Stunden in der Mittagspause - dies mache den Kopf frei, müde sei sie danach nicht. Wie viele Sportlerinnen isst auch Julia häufig mitgebrachtes Essen – Hühnchen, Reis, Brokkoli, mittlerweile verzichtet sie auch auf Alkohol. Freizeit, Familie und Partnerschaft müssen mit dem intensiven Training koordiniert werden – bis hin zum Kinderwunsch: „Mein Mann und ich hätten schon gerne Kinder. Aber wenn man auf die Bühne möchte, dann passt das nicht, ich stelle mir das mit einer Schwangerschaft schwer vor.“

Zusätzlich nagen Selbstkritik und permanente Selbstbeobachtung an den Sportlerinnen: „Man ertappt sich dann schon dabei, dass man sich öfter im Spiegel betrachtet und nach Muskeln sucht“, so Julia. Aus ihrer Sicht verstärke dies den allgemeinen Druck, dem Frauen in der Gesellschaft ausgesetzt seien, und auch Manja merkt an: „Das ist das Negative an unserem Sport, wir sind nie zufrieden. Das hat was von Sucht.“

Doch die Athletinnen treibt ihre Leidenschaft für den Sport an, denn er ist zugleich auch eine Lebenseinstellung. Für Manja Williams sind Bodybuilderinnen nicht nur körperlich stark: „Bodybuilding zieht Frauen an, die diszipliniert sind, die sich quälen können, die sehr zielorientiert leben, die leiden können.“ Auch Julia bestätigt, dass ohne Ehrgeiz und Disziplin nichts läuft. Bodybuilderinnen seien sich ihrer selbst bewusst und suchten gezielt eine Herausforderung – nämlich jene, weit über eigene Grenzen zu gehen: „Man muss Kampfgeist und mentale Stärke besitzen. Vieles fängt im Kopf an – man denkt, es geht nicht mehr. Aber es geht dann doch.“

Der Film „Pumping Iron II – The women“ (1985) von George Butler setzte der Blütezeit des Frauen-Bodybuilding ein Denkmal und war trotz Schwächen ein Marketing-Coup für den Sport.

Ich bedanke mich bei allen Beteiligten herzlich für ihre Zeit und Unterstützung bei meiner Recherche.

Sylvia Lundschien

Copyright: jádu | Goethe-Institut Prag
Juli 2016

    Frauen-Bodybuilding

    Das Frauen-Bodybuilding ist seit Ende des 19. Jahrhunderts mit den sogenannten Muskelfrauen (strongwomen) dokumentiert, die in den USA und Europa in Zirkustruppen, Sideshows und Varietés ihr Publikum verblüfften. Vor und nach Ende des Zweiten Weltkriegs dominierte jedoch klar das Männer-Bodybuilding. 1946 folgte die Gründung der International Federation of BodyBuilding and Fitness (IFBB), der heute 183 Länder angehören und die über Wettkämpfe und Regeln wacht.

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