Tunnel 57

© Buddenberg / Henseler

Zwei Berliner Comic-Zeichner haben Geschichten von Fluchthelfern gesammelt

Die Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße, Foto: Isabelle Daniel

Die Geräuschkulisse am Berliner U-Bahnhof Bernauer Straße ist enorm. Die U-Bahnen fahren im Vier-Minuten-Takt, jedes Mal steigen Hunderte Passagiere ein oder aus. Nichts deutet mehr darauf hin, dass diese Station vor dem Mauerfall ein Geisterbahnhof war. Weil die Bernauer Straße direkt an der Grenze zwischen Ost- und Westberlin lag, wurde der Bahnhof nach dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 stillgelegt. Fast schon legendäre Geschichten ranken sich um diese Straße. Das Besondere daran: Die meisten davon stimmen.

Hubert Hohlbein ist einer der fünf Helden des großformatigen Comics, der an den Wänden des U-Bahntunnels Bernauer Straße angebracht ist. Die Berliner Comic-Autoren Susanne Buddenberg und Thomas Henseler haben die persönlichen Geschichten jener Fluchthelfer gesammelt, die im Oktober 1964 57 Menschen aus der DDR zur Flucht nach Westberlin verhalfen. Bald sollen die Zeichnungen auch als Buch erscheinen.

Hubert Hohlbein floh als 19-Jähriger aus der DDR, indem er im Spätherbst mit einem Taucheranzug durch den Jungfernsee von Potsdam nach Westberlin tauchte. 1964 schloss er sich der Fluchthelfergruppe um Wolfgang Fuchs an, um seine Familie durch einen Tunnel nach Westberlin zu holen.

Hubert Hohlbein hatte bereits eine spektakuläre Flucht aus seiner Ostberliner Heimat hinter sich, als er sich im Jahr 1964 der Gruppe um den berühmt gewordenen DDR-Fluchthelfer Wolfgang Fuchs anschloss, die plante, einen Fluchttunnel durch ein Wohnhaus an der innerdeutschen Grenze zu bauen. Im Jahr zuvor hatte der damals 19-Jährige die DDR illegal verlassen, indem er in einer kalten Novembernacht durch den Jungfernsee getaucht war.

Der Jungfernsee verbindet das in der damaligen DDR gelegene Potsdam mit Westberlin und gehörte daher zu den bestbewachten Grenzübergängen der DDR-Staatssicherheit. Hohlbein gelang die Flucht dennoch, weil er den gefährlichen Fluchtweg in einer dunklen Nacht wählte, in der es einen hohen Wellengang gab. Trotz Flutlichtern, mit denen die Grenzwächter den See nach Flüchtlingen absuchten, war sein Schnorchel aus der Luft nicht zu sehen.

Zwei Jahre später wollte Hohlbein auch seine Familie aus der Diktatur befreien. „Ich kann nicht leugnen, dass Rachegefühle ein Teil meiner Motivation waren“, sagt Hohlbein im Rückblick. Als Kind einer Unternehmerfamilie war er in der Schule von linientreuen Lehrern als „Kapitalistensohn“ verunglimpft worden, auch studieren durfte er nicht.

Wolfgang Fuchs gilt als bekanntester Fluchthelfer an der innerdeutschen Grenze. Er organisierte ab 1963 den Bau mehrerer Fluchttunnel, die von Ost- nach Westberlin führten. Zuvor war der in Jena geborene Fuchs 1962 mit seiner Familie aus Ostberlin über die Mauer geflüchtet, indem Helfer Molotow-Cocktails abwarfen, um die Grenzer abzulenken. Der Familie Fuchs gelang die Flucht, obwohl sie dabei von Grenzsoldaten beschossen wurden.

57 Menschen fliehen 1964 durch den Tunnel

Die Geschichte des Tunnels 57, der so heißt, weil er am 3. und 4. Oktober 1964 57 Ostberlinern die Flucht nach Westberlin ermöglichte, begeistert Historiker und Künstler gleichermaßen. Ein aufwändiger Fernsehfilm machte die Geschichte der insgesamt 34 Fluchthelfer und 57 Flüchtlinge in ganz Deutschland berühmt. Buddenbergs und Henselers Zielgruppe sind jedoch nicht die erwachsenen Fernsehzuschauer, sondern jugendliche, die keine eigenen Erinnerungen an die deutsche Teilung haben.

„Der Mauerfall ist jetzt über 20 Jahre her. Leute, die heute zur Schule gehen, können sich ja gar nicht mehr vorstellen, dass hier früher eine Mauer stand“, erklärt Henseler, wie die Idee für den Comic zustande kam.

© Isabelle Daniel

Obwohl eine Graphic Novel ein ungewöhnliches Format zur Vermittlung von Geschichte ist, erheben die Autoren Anspruch auf historische Korrektheit. Entsprechend eines Dokumentarfilms soll die Geschichte des Tunnels 57 wie die bisherigen DDR-Comics aus Buddenbergs und Henselers Feder, Berlin – Geteilte Stadt und Grenzfall über die Schicksale von Ostberliner Jugendlichen, ein „Dokumentarcomic“ sein. „Was wir nicht wollen ist, den Zeitzeugen irgendetwas aufzupropfen, von dem sie sagen: So hab ich mich doch aber gar nicht gefühlt.“

Joachim Neumann war noch Student, als er sich der Fluchthelfergruppe um den Tunnel 57 anschloss. Er wollte seiner Freundin und späteren Ehefrau Christa zur Flucht aus Ostberlin verhelfen. Sie befand sich zum Zeitpunkt des Tunnelbaus allerdings noch in politischer Haft. Am ersten Samstag der Fluchtaktion durch den Tunnel musste Neumann noch eine Klausur schreiben. Als er nach Hause kam, erreichte ihn der Brief seiner Freundin, dass sie jetzt aus der Haft entlassen sei. Neumann brauchte binnen drei Stunden einen Kurier, der Christa über den Beginn der Fluchtaktion unterrichten konnte. Über einen Freund gelang es, Christa rechtzeitig zu informieren. Sie gehörte zu den ersten Flüchtlingen, die den Tunnel 57 durchquerten.

„Zu Tränen rührende Liebesgeschichte“

Dass sich spannende Dokumentarcomics aus den Lebensgeschichten der Fluchthelfer entwickeln lassen, liegt nicht zuletzt an der sich bestätigenden Weisheit, die Buddenberg zitiert: „Die besten Geschichten schreibt doch das Leben.“ So sei der Bau des Tunnels 57 und seine Hintergründe so spannend gewesen, dass man beim Erzählen der Geschichte keine fiktiven Details hinzufügen musste.

Selbst die aus dramaturgischer Sicht obligatorische Liebesgeschichte hat auch in der Wirklichkeit stattgefunden. „Es war nicht nur so, dass es eben spannend, mutig, toll, dramatisch war, sondern es gab auch diese einfach zu Tränen rührende Liebesgeschichte“, sagt Buddenberg.

Auf die Möglichkeit, mit Comics neue Zielgruppen für historische Themen zu gewinnen, ist jetzt auch die renommierte Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur aufmerksam geworden. Sie gibt das Buch zur „Tunnel 57“-Geschichte heraus.

Isabelle Daniel

Copyright: Goethe-Institut Prag
Dezember 2012

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