Merkt´s der Frosch, wenn er gekocht wird…?

Foto: © Andrea Cross

Was ist dran an modernen Alltagsmythen? Christoph Drösser hat Antworten

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Christoph Drösser, Foto: © Andrea Cross

Christoph Drösser, Redakteur bei der Zeit, beschäftigt sich beruflich und privat mit modernen Mythen. Seit 1997 erscheint wöchentlich seine Kolumne „Stimmt´s?“ Außerdem moderiert er unter dem gleichen Titel eine eigene Radiosendung und hat auch einige Bücher zum Thema geschrieben.

Herr Drösser, woher kommt Ihr Interesse an modernen Mythen?

Das begann im ganz frühen Internetzeitalter, also etwa zu Beginn der 90er Jahre. Schon damals gab es diverse Foren, in denen solche Geschichten gesammelt und auch kontrovers diskutiert wurden. Das hat mich sehr fasziniert.

Wie kamen Sie darauf, sich auch beruflich damit zu beschäftigen? Wurde hier möglicherweise ein Hobby zum Beruf gemacht?

In gewisser Weise schon. Ich arbeite als Wissenschaftsjournalist, bin also schon von Berufs wegen niemals mit Halbwissen zufrieden. Gleichzeitig war ich sehr erstaunt darüber, wie unkritisch sogenannte Fakten im Netz von vielen Menschen weitergegeben und auch kritiklos von anderen übergenommen wurden. Also habe ich irgendwann angefangen, Belege für bestimmte Behauptungen zu suchen. Daraus ist schließlich die Kolumne entstanden und auch die Radiosendung.

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Mythen aus, die Sie fürs Publikum aufbereiten?

Das ist meistens rein subjektiv. Beim Radio habe ich den Vorteil, dass ich die Themen selbst festsetzen kann. Und am liebsten beschäftige ich mich natürlich mit Dingen, die ich selbst interessant finde. Gleichzeitig bekomme ich aber auch viele Anregungen per Email. In erster Linie möchte ich natürlich unterhalten, also richte ich mich auch gern danach, was die Leute wissen wollen. Und oft machen mich die Fragen anderer dann auch selbst neugierig.

Foto: Martin Abegglen, CC BY-SA 2.0
Dieser Frosch springt nicht aus dem kochenden Wasser, Foto: Martin Abegglen, CC BY-SA 2.0

Wie genau gehen Sie bei der Suche nach dem Wahrheitsgehalt vor?

Das kommt immer auf den Sachverhalt an. Am liebsten sind mir eigentlich Mythen aus unserem Alltag, die sich wissenschaftlich nachprüfenlassen, idealerweise durch ein Experiment. Da gibt es zum Beispiel diese Legende mit dem Frosch im heißen Wasser: Wenn man das Wasser ganz langsam erhitzt, merkt der Frosch die Veränderung angeblich gar nicht, sondern bleibt so lange gemütlich im Wasser sitzen, bis er praktisch bei lebendigem Leibe gekocht wird. Das ist übrigens absoluter Quatsch: Natürlich springt der Frosch aus dem Wasser, sobald es ihm zu warm wird! Wenn ein Experiment nicht machbar ist, suche ich nach möglichst verlässlichen Quellen. Wissenschaftliche Bücher sind da oft sehr hilfreich, manchmal findet sich auch irgendwo ein Professor, der schwerpunktmäßig genau zu diesem Thema forscht. Schwieriger wird es natürlich bei historischen Sachverhalten.

Zum Beispiel hält sich hartnäckig das Gerücht, dass es einmal einen weiblichen Papst gegeben habe, nämlich Johanna von Ingelheim. Damit haben Sie sich ja auch beschäftigt. Zu welchem Ergebnis sind Sie da gekommen?

In so einem Fall ist die Recherche etwas kompliziert. Diese Johanna soll ja um 800 herum gelebt haben. Nach so langer Zeit ist es so gut wie unmöglich, die Glaubwürdigkeit der Quellen nachzuprüfen. Oft stützen sich solche Gerüchte dann auch auf ein- und dieselbe Quelle. Außerdem darf man nicht vergessen, wer die entsprechenden Aufzeichnungen verfasst hat, und mit welcher Motivation – und dass ja möglicherweise auch manches aus den Archiven verschwunden sein könnte. Wenn man mich allerdings fragt, ob ich glaube, dass es wirklich einen weiblichen Papst gegeben hat, dann antworte ich mit einem vorsichtigen Nein. Endgültig beweisen wird man das aber vermutlich nie. Und auch bei mir bleibt ein Rest Zweifel. Denn wenn es Johanna nie gegeben hat – warum existiert dann angeblich immer noch dieser ganz spezielle Stuhl, mit dem das Geschlecht des zukünftigen Papstes unzweifelhaft festgestellt werden kann?

Jakob Kallenberg (1500-1565)
Darstellung der Niederkunft der Päpstin Johanna (Holzschnitt von Jakob Kallenberg, aus einer Ausgabe von Giovanni Boccacios De Claris Mulieribus)

Sie beschäftigen sich ja hauptsächlich mit dem Wahrheitsgehalt der Mythen. Denken Sie, dass manche Leute auch etwas enttäuscht sind, wenn aus einem Mythos ein Fakt wird oder sich eine Geschichte am Ende als unwahr herausstellt? Ist es nicht manchmal viel interessanter, Halbwissen munter weiterzuerzählen?

Das kommt ganz darauf an. Gerade dieses Halbwissen macht ja in der Tat oft den Reiz aus. Viele solcher Legenden gehören zum sogenannten Party Talk, das heißt, sie werden in Gesellschaft erzählt. Wenn da nun plötzlich jemand daherkommt und behauptet: „Nein, das stimmt aber gar nicht!“, und am Ende gar noch sein Smartphone zückt und bei Wikipedia nachschlägt, dann gilt er sofort als Spielverderber. Auf Partys ist das der Killer jeder Konversation.

Jagen Sie denn auch einem bestimmten Mythos hinterher, den Sie bislang noch nicht aufklären konnten?

Oh ja. Was ich schon immer spannend fand, war die Frage, ob Hunde tatsächlich Angst riechen können und dadurch umso aggressiver werden. Dass Hunde auf Angst reagieren ist erwiesen, aber es könnten ja auch andere Signale sein, die das Tier wahrnimmt. Ob es also tatsächlich eine Substanz im menschlichen Angstschweiß gibt, die Hunde wirklich erschnuppern können, dafür habe ich bislang keine befriedigenden Ergebnisse gefunden. Ich werde aber weiterforschen.

Das Interview führte Janika Rehak

Copyright: Goethe-Institut Prag
Dezember 2012

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