Interieurs für alle Bedürfnisse

Foto: © Radim DrtílekFoto: © Czechdesign
Der Anzug mit dem vielsagenden Namen Age Explorer soll es jungen Designern ermöglichen, die Erlebniswelt älterer Menschen zu erfahren. Foto: © Czechdesign

Die überwiegend junge Designszene vernachlässigt oft die älteren Zielgruppen. Die Branchenorganisation Czechdesign bemüht sich daher besonders im Bereich Innenraumgestaltung um größtmögliche Funktionalität, die allen Nutzern und damit eben auch Senioren oder in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkten Personen zugute kommt. Aber wie sollen junge Designer die Bedürfnisse alter Menschen berücksichtigen, wenn sie deren Erlebniswelt nicht kennen?

Die Organisation Czechdesign, ein Zusammenschluss von tschechischen Designern, räumt barrierefreiem Design eine Priorität ein. Das Langzeit-Projekt Equal design soll unter anderem dem Gedanken des behinderten- und altersgerechten Designs zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen. Veronika Loušová, die Gründerin von Czechdesign, beschäftigt sich mit diesem Konzept schon seit ihrem Studium. Eines ihrer neuesten Projekte ist eine Küche für das Rehabilitationszentrum Tyfloservis in Hradec Králové (Königgrätz), das sich um Sehbehinderte kümmert.

„Diese Küche hilft Blinden und Menschen mit Sehschwäche, sich selbst zu versorgen. Aber sie entspricht auch den Bedingungen des Equal design. Wichtig ist vor allem die leichte Zugänglichkeit von Schränken. Für ältere und sehschwache Menschen ist eine gute Beleuchtung und die Farbgestaltung der Küche sehr wichtig: helle Arbeitsflächen, kein verwirrender Dekor. Die richtige Anordnung der Komponenten ist auch aus Sicherheitsgründen wichtig. Das lernen Sie erst schätzen, wenn Ihre Beweglichkeit eingeschränkt ist“, erklärt die Designerin Loušová.

Auch mit Krücken muss man noch am Bett vorbeikommen

In üblichen Innenausstattungen werden die Kriterien des Equal design oft vernachlässigt, dabei werden wir alle einmal in das Alter kommen, in dem wir entsprechende Hilfen zu schätzen wissen werden. Aber barrierefreies Design ist nicht nur für Ältere oder Menschen mit Handicap gedacht. Auch Jüngere kann es im Alltag unterstützen. „Oft sehe ich in Fernsehsendungen, wie zum Beispiel in Das perfekte Dinner, Einrichtungen, in denen es von abgenutzten kleinen Küchen und Schlafzimmern wimmelt, wo kaum ein Nachtkästchen neben das Bett passt. Equal design funktioniert bei jedem“, betont Loušová. „Wenn Sie sich das Bein brechen, sollte Ihr Zimmer – dank eines vorausschauenden Architekten – solche Maße besitzen, dass Sie auch mit Krücken noch am Bett vorbeikommen. Das Gleiche gilt bei der Tür zur Toilette. Und auch mit Rückenbeschwerden, muss es möglich sein, auch an die unteren Teile der Küchenmöbel zu gelangen, mit Schubfächern zum Beispiel. Ihr Interieur sollte für Sie auch im Alter oder Krankheitsfall benutzbar sein. Es ist wie Medizin für Ihre innere Ruhe und erhöht die Chance einer langfristigen Eigenständigkeit“, so die Designerin.

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Eine Küche im Rehabilitationszentrum Tyfloservis in Hradec Králové. Sie wurde für Sehbehinderte eingerichtet und entspricht den Grundsätzen des Equal design. Foto: © Radim Drtílek

Wenn sich das Alter allmählich bemerkbar macht, wird eine Inneneinrichtung, die den Grundsätzen des Equal design folgt, Selbstsicherheit geben, Situationen erleichtern, in denen der Körper nicht mehr so mitspielt wie früher. Eine günstige Verteilung entsprechender Hilfselemente im Raum kann dies sicherstellen.

Zu alt für eine coole Couch

Ob nun aus ästhetischen oder funktionalen Gründen: die Anforderungen an die Inneneinrichtung ändern sich im Laufe des Lebens. „Zu einer bestimmten Zeit legen die Menschen viel Wert auf Trends und weil ihnen nichts weh tut, wollen sie – etwas überspitzt gesagt – eine coole Couch oder so etwas. Wenn dann Kinder kommen, geht es mehr um die Sicherheit, etwa Dinge für Kinderhände unzugänglich aufzubewahren. Die Innenausstattung sollte unsere Bedürfnisse widerspiegeln. Sobald etwas nicht funktioniert, sollten wir in der Lage sein, eine andere Lösung zu finden. Eine Wohnung unverändert von den Eltern zu übernehmen, spricht beispielsweise für eine schwache Selbstwahrnehmung. Aber es gibt viele, die damit zufrieden sind“, bedauert Loušová.

Wenn man den „coolen“ Sitzmöbeln entwachsen ist und die Kinder groß genug sind, naht langsam aber sicher die Notwendigkeit, die Einrichtung an das Alter anzupassen. „Im Alter muss man sich vor möglichen Stürzen in Acht nehmen, also weg mit dekorativen, kleinen Teppichen, oder Kleinmöbeln, die Wege verstellen. Man sollte nicht an lichtstarken Glühbirnen sparen, heute können sie durch sparsame LED-Leuchten ersetzt werden, idealerweise mit weißem Licht. Ein Orientierungslicht beim nächtlichen Gang aufs WC, das ist ein absolutes Muss“, benennt die Designerin einige der grundlegenden Bedürfnisse seniorengerechter Einrichtung.


Ein Anzug, in dem man umgehend altert

Für junge, tatkräftige Designer und Architekten ist es manchmal schwer, sich in die Erlebniswelt der älteren Generation einzufühlen. Ein Anzug mit dem vielsagenden Namen Age Explorer kann hier Abhilfe schaffen. „Es ist ein Overall mit Taschen, dort verstaut man Gewichte für Arme und Beine. Er ist so genäht, dass man die Arme nur auf Kopfhöhe anheben kann. Er schränkt die Beweglichkeit insgesamt stark ein. Sie bekommen Handschuhe, die stechende Schmerzen nachahmen, wie sie bei Arthrose auftreten. Ein Helm verschlechtert das Sehen und das Hören“, beschreibt Veronika Loušová ihre Erlebnisse mit dem Anzug.

Bevor man beginnt in dem Anzug zwischen Möbeln zu navigieren, sollte man ihn erst einmal eine Stunde tragen und versuchen Treppen damit zu steigen. „Das muss man nur einmal erlebt haben und schon weiß man, wie Menschen im Alter bei einer solchen Arbeit funktionieren und wie sie sich bewegen. Dieses Erlebnis, ist unersetzbar; auch die Literatur zum Thema des altersgerechten Designs kann das nicht. In dem Anzug altern Sie spürbar und Sie kommen ordentlich ins Schwitzen“, so Loušová.

Abgesehen vom beruflichen Nutzen, hat das Erlebnis im Age Explorer die Designerin auch persönlich beeindruckt. „Es war super, diese ‚Haut‘ wieder auszuziehen. Und jetzt überlege ich nicht mehr hin und her, ob ich mich auf das Alter vorbereite. Jetzt weiß ich, dass ich es tun werde“, sagt sie. „Alle, die am Bau von öffentlichen Gebäuden oder Einkaufszentren beteiligt sind, sollten diesen Anzug ausprobieren, Developer und ihre Projektleiter, die Wohnkomplexe für sorglose Menschen bauen. Ich benutze absichtlich nicht das Wort Architekt, denn Bauvorhaben folgen in Tschechien leider nicht nur architektonischen Erwägungen. Auch Menschen, die Werbungen machen mit dauerlächelnden Models ohne Falten. Haben Sie bemerkt, dass Senioren in den Medien und Werbungen nur minimal vertreten sind?“

Übersetzung: Ria Ter-Akopow

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
März 2015
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Equal design

Equal design ist ein Designkonzept, das den Bedürfnissen einer größtmöglichen Gruppe – ohne Rücksicht auf Alter, Geschlecht, Physiognomie, Fähigkeiten oder Einschränkungen jeglicher Art – Rechnung tragen soll. Die Idee entstand in den 1970er Jahren in den USA als eine Reaktion auf die Rückkehr von Vietnamveteranen, die oft ein Handicap aus dem Krieg davontrugen. Man spricht auch von barrierefreiem Design oder design4all.

Der Begriff Design wird in Tschechien vor allem ästhetisch und weniger funktional verstanden und fast nie wird in diesem Kontext auf Barrierefreiheit und Benutzerfreundlichkeit Wert gelegt. Dabei können Gegenstände, die sowohl für den „normalen Benutzer“ als auch für Senioren, Blinde oder anderweitig beeinträchtigte Personen nützlich sind, nicht nur optisch ansprechend sein; sie können mit ihren Eigenschaften für die Hersteller auch einen entscheidenden Vorsprung gegenüber der Konkurrenz bedeuten.

Um die Nachteile der angesprochenen Gruppen zu kompensieren, bedarf es meistens keiner Speziallösungen. Es reichen oft schon kleine Eingriffe, um Design benutzerfreundlicher zu gestalten. Ein erhöhtes Bewusstsein für die Bedürfnisse benachteiligter Personen bei Designern, Architekten und in der öffentlichen Verwaltung ist dafür unabdingbar.

Quelle: equaldesign.cz

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