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Regisseurin Nico Weber im Gespräch
Inside Prora: Metapher an der Küste – das bizarrste Gebäude der Welt

Prora
Prora | © NOW Collective 2020

Die 13. Ausgabe der Budapester Architekturfilmtage findet dieses Jahr vom 4. bis 13. März statt, wo der deutsche Film INSIDE PRORA mit Unterstützung des Goethe-Instituts Budapest gezeigt wird. Der poetische Film, der mit sensiblen Bildern arbeitet, präsentiert einen besonderen Ort, der auch in Bezug auf Geschichte, Architektur und Erinnerungskultur von Bedeutung ist. Regisseurin Nico Weber hat ein ausgeprägtes Faible für das „Unverfilmbare“ und hat schon mehrere Fernsehfilme über Prora gedreht. Diesmal gab die Filmleinwand ihr die Freiheit, die sie sich immer gewünscht hatte.

Sie hatten Prora 2013 zum ersten Mal aufgesucht, und seither hat das Erlebnis Sie anscheinend nicht losgelassen: INSIDE PRORA ist nicht der erste Film, den Sie über diesen Ort gedreht haben.
 
In den zwanzig Jahren, die ich mittlerweile filmisch arbeite, hatte ich immer ein Faible für „vergessene“ Orte. Und gleichzeitig auch für die Form des Essays. Daraus sind immer wieder Filme über Orte oder Gebäude entstanden in unterschiedlichsten Formen und Längen, die im Kern auch sehr persönliche Auseinandersetzungen sind, ohne dass es sofort auf den ersten Blick zu erkennen wäre. Meine erste Begegnung mit Prora war verstörend. Denn bis dato wusste ich nichts davon. Ich hielt mich mehrere Tage dort auf und versuchte ein Gefühl zu bekommen für den Ort. Alles erschien mir irgendwie surreal und die Begegnungen, die ich hatte, skurril. Prora erschien mir als enthobener Ort, abstoßend und anziehend zugleich. Als ich abends ankam, begegnete mir in der Dämmerung ein alter Mann mit Hund, der mich anbläffte: Ihr aus dem Westen, Ihr macht hier unseren ganzen Strand kaputt! Es stellte sich heraus, dass er Offizier in Prora war und in der Nähe wohnte. Mir wurde klar, dass ich nichts weiß über die Verfasstheit des Ortes und der Menschen, die damit verbunden sind. Ich bin tagelang durch endlose verfallenen Gänge gelaufen und fotografierte und entdeckte hinter jedem Detail eine Geschichte: so viele, dass ich gar nicht wusste, wo anfangen. Ich begann also mit einem kurzen Film, der 2014 auf 3sat ausgestrahlt wurde. Ich wusste nicht, dass es mich so lange beschäftigen würde.
 
Warum ausgerechnet Prora?
 
Ich stamme aus einer Architektenfamilie, mein Vater verortete seine Arbeit in der „Tradition“ bzw. „Nicht-Tradition“ des Bauhauses. Mir war immer klar, dass Architektur eine unfassbare Kraft und Wirkung haben kann und sich einschreibt in Körper, in Gesellschaft, ja in den Geist, wenn man so will. Am Strand von Prora war einmal das Ende der Welt, von hier aus ging es nicht mehr weiter. Das war der Strand von Rügen für DDR-Bürger. Es war der Anfang der Welt für Nationalsozialisten. „Kraft durch Freude“ hieß das Programm, dass die Massen stärken sollte, um in den internationalen Eroberungskrieg zu ziehen. Prora ist nicht nur ein gigantisches größenwahnsinniges architektonisches Gebäude, ein Ort, ein Strand, sondern auch eine Metapher. Die Metapher hat mich am meisten interessiert. Ein Filmessay ohne Kommentar über den bizarrsten Gebäudekomplex der Welt: die Natur, Evolution und Anatomie eines Ortes, an dem sich auf geheimnisvolle Weise die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte direkt und indirekt mit den Geschichten von Menschen verknüpft, die Prora durch die Zeiten der Demokratie und des Kapitalismus navigieren wollen, war unser Streben. Einer, der auf abenteuerliche Weise deutsch-deutsche Geschichte erzählt, vor dem Hintergrund der Entwicklung des Massentourismus und deren architektonischen Ausformungen in der Moderne. Prora Prora | © NOW Collective 2020 Welche Ziele hatten Sie mit diesem Kinofilm?
 
Im Idealfall denkt das Publikum nicht nur über Verdrängungsmechanismen nach, darüber dass Geschichte nicht nur Geschehenes ist, sondern Geschichtetes. Noch sind diese Schichten sichtbar und erfahrbar. Prora ist ein Symbol für nationalsozialistischen Größenwahn aber auch für den Aufstieg und Fall der DDR und auch für eine Überforderung der Gesellschaft nach der politischen Wende. Ohne eine kritische Erinnerungskultur verschwinden authentische Orte. Im Kern geht es dabei auch um die Unschuldsvermutung in der Architektur. Der Film ist ein Hybrid aus historischem Dokument und einem filmischen Essay, der die Verknüpfungen und Verbindungen von Individuen und Gesellschaften mit der architektonischen Form erforscht. Er eröffnet also auch einen Diskurs über die Geschichte der architektonischen Moderne, gleichzeitig wird eine originelle Geschichtsschreibung betrieben – mit Bezügen zur Geschichte des Massentourismus.
 
Prora steht seit 1994 unter Denkmalschutz. Der Komplex trägt sowohl aus der Zeit des Nationalsozialismus als auch aus der DDR-Ära heute immer noch dunkle und schmerzhafte Erinnerungen. Was denken Sie über die (Teil)neunutzung als Ferienwohnungen?
 
Sagen wir mal so: Ich würde mir dort niemals eine Wohnung kaufen, selbst wenn ich das Geld hätte. Mein Verhältnis zu Prora hat sich im Laufe der Jahre verändert. Auch natürlich weil sich Prora verändert hat. 2013 war ich noch 100%ig davon überzeugt, dass dort Urlaub zu machen unmöglich ist und dass der Ort eigentlich als zweitgrößte architektonische Hinterlassenschaft der Nationalsozialisten und mit der Geschichte als DDR-Kaserne selbst ein Ort der Kultur werden sollte und zwar komplett und konsequent. Ein besonderer Ort für Bildung, Kunst, Kultur, für alles was er eben genau nicht gedacht war. Gleichzeitig sollte ein großer Teil dem kontrollierten Verfall gehören. Denn genau dieser Verfall ist es, der uns etwas lehrt und auch den Atem raubt, visuell und ästhetisch. Mit seinem Verschwinden, schwindet auch Proras Anziehungskraft, meiner Meinung nach. Mittlerweile hat sich aber im Laufe der Jahre vieles als positive Entwicklung erwiesen und ist auch dem Pragmatismus geschuldet, dass viereinhalb Kilometer, die unter Denkmalschutz stehen, irgendwie - sowohl bei Verfall als auch für den Umbau - finanziert werden müssen. Das ist kaum machbar ohne das Filetieren der einzelnen Blöcke.
 
Dass die Jugendherberge Prora dort verortet ist, genauso wie Hotelprojekte oder betreutes Wohnen, dass sich dort Eigentumswohnungen genauso finden wie Ferienwohnungen, bildet bis zu einem gewissen Grad auch ein gewisses Spektrum der Gesellschaft ab. Bis dieser ganze Transformationsprozess abgeschlossen ist, wird es noch viele Jahre dauern und wer weiß, vielleicht ist Prora dann tatsächlich irgendwann nicht nur das Synonym für ein Gebäude, sondern für eine Stadt. Die Menschen vor Ort, die Politik und die Investoren sind gefragt daraus einen Ort zu machen, der besonders bleibt und Räume zur Verfügung stellt, in denen Bildung und Kultur stattfinden kann, die auch, aber nicht nur sich mit der Geschichte und Architektur Proras auseinandersetzt. Ich gebe aber zu, angesichts der Schönheit der Natur und der Bucht habe ich meine Zweifel, dass der unbestreitbare vorhandene Wille dazu, sich durchsetzen wird. Aber ich bin optimistischer, als ich es noch vor Jahren war.
 
Sie haben im Film verschiedene Experten angesprochen, die zum dem Gebäudekomplex Stellung nehemen: Peter Eisenman, Vittorio Magnago Lampugnani, Museumsdirektor Justinian Jampol sowie Kuratorin des Prora-Zentrums, Susanna Misgajski, unter anderen. Wie haben Sie die Auswahl getroffen und wie haben Sie  es geschafft, die Stimmen und Perspektiven der Figuren im Film im Gleichgewicht zu halten?
 
Ehrlich gesagt war Gleichgewicht gar nicht meine Absicht. Es ist ganz bewusst eine durchaus subjektive Auswahl. Es war mir ein großes Anliegen Prora aus der deutsch-deutschen Gemengelage herauszureißen und es zu einem internationalen Thema zu machen und neue Perspektiven auf diesen Ort aufzuzeigen. Eben einen Kinofilm zu machen, der weit über deutsche Grenzen hinaus zeigen kann. Die Parallelen und Vorbilder zu Prora in Italien aufzuspüren, hat nicht nur gezeigt, woher die Einflüsse kommen, sondern auch, dass an der Geschichte noch viel aufzuarbeiten ist und viele Urteile und Mythen, so nicht stimmen oder nur in Teilen wahrgenommen werden. Ich fand es spannend auch mit Menschen zu reden über Prora, die eben gerade nicht direkt mit Prora zu tun haben, sondern über Umwege in ihrem Tun oder Denken. Und ich hatte das beste Dream-Team, das man haben kann: zum „harten Kern“ durfte ich Marc Nordbruch als DoP und Editor zählen, Ralf Merten komponierte den wunderbaren Soundtrack und mein Mann Jörg Leine übernahm neben der redaktionellen Arbeit, die Aufgaben als Line Producer und Head of Archive. Nico Weber Nico Weber | © NOW Collective 2020 Sie haben sich zum Film einmal so geäußert: „Ich bin keine Dokumentarfilmerin. Ich bin Filmemacherin. Das Dokumentarische interessiert mich meist nur dann, wenn es produktiv Dokumentarisches und Imaginiertes zusammenführt. Wenn es etwas riskiert.” Was fanden Sie an Inside Prora riskant?
 
Die Räume in Prora, im Gebäude und in der Natur herum sind die Freiräume für Assoziationen. Es gibt nur einen einzigen Protagonisten und das ist Prora, alle anderen treten dahinter zurück. Prora wird hier nicht als Objekt ins Szene gesetzt, sondern einem forschenden Blick ausgesetzt und einer scheinbar anthropomorphen Filmkamera unterzogen. Thema ist also der Blick für den das Gebäude entworfen wurde. Genauso wie der Raum, für den es entworfen wurde – der Blick aufs Meer. INSIDE PRORA will also ganz bewusst eine eigene Seherfahrung durch das Medium Film transponieren: erst ist es ein Kaleidoskop, dann ist es das ganze Bild. Der Film ist auf der Suche nach Bezügen und Verbindungen durch die historischen Schichten hindurch. Zwischen Menschen und Orten.
 
Das Festival ist bestrebt jedes Jahr zu zeigen, wie vieles Architektur, Bauerbe und gebaute Umwelt über die Menschen, gesellschaftliche Strukturen, Ideen und Kollektivgedächtnis verraten. Wie sehen Sie die Beziehung zwischen Erinnerungskultur und Filmbranche heute in Deutschland?
 
Architektur im Film ist nach meiner Wahrnehmung sehr oft an spektakuläre Bauten von Star-Architekten gebunden oder an Biografien derselben. Alles andere führt ein Nischendasein. Die großen Visionen sind kaum Thema. Vielleicht auch, weil sie kaum wahrgenommen werden. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass Star-Architekten heute entweder Museen bauen oder Banken, aber keine Sozialwohnungen. Ausnahmen bestätigen die Regel. Filme, die gefördert werden oder durchfinanziert werden können, damit sie entstehen, richten sich entweder nach Jubiläen, der Quote oder den Mechanismen der deutschen Filmförderung. Ich fürchte, mit der Erinnerungskultur verhält es sich ganz ähnlich. Oder warum gibt es noch keinen Essayfilm über die Sanierung des Nürnberger Reichsparteitagsgeländes zum Beispiel? Habe ich den übersehen?
 
Transformationsprozesse und Verdrängungsmechanismen sind schwierige filmische Auseinandersetzungen. Vor allem kosten sie in der Produktion viel Zeit und Geld. Ich arbeite gerade an einem Filmprojekt, das von einem Transformationsprozess erzählt, Thema: Bauhaus. Da kann man nur Schritt für Schritt vorgehen, in diesen Zeiten der Pandemie sowieso. Zuverlässige Planung ist nahezu unmöglich, das bedeutet in einer ergebnisorientierten Angebotskultur, nach der jede Förderung ausgerichtet ist, dass ein Film fast nie ganz durchfinanziert werden kann, wenn sich niemand findet, der trotzdem daran glaubt. Prora Prora | © NOW Collective 2020 Der Prora-Diskurs wird immer umfangreicher, der ungarische Künstler Gábor Ősz hat im Jahr 2002 in seinem Prora-Projekt ebenso mit diesem Ort gearbeitet. Mittlerweile versuchen Sie auch, in Ihren Projekten Film und bildende Kunst miteinander zu verbinden. Haben Sie vielleicht mit Prora auch solche Pläne, also einen Projektplan, der mehr in die Richtung bildende Kunst zeigt?

Gábor Ősz hat eine tolle Arbeit gemacht und sich schon sehr früh ausgiebig mit dem diesem Ort beschäftigt. Mich reizt eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ort sehr und ich habe immer wieder über eine Filminstallation nachgedacht, die mit diesen metaphorischen Traumbildern arbeitet. INSIDE PRORA ist allerdings für mich als Filmemacherin und Produzentin immer noch nicht abgeschlossen und ich habe noch nicht genügend Abstand dazu gewonnen.
 
Sie haben sich schon jahrelang ganz vielfältig und ganz tief mit dem Thema des "Koloss von Rügen" beschäftigt und waren mit vielen Akteuren im Gespräch. Was für eine Zukunft würden Sie sich persönlich für Prora wünschen?
 
Einerseits wünsche ich mir, dass der vergessene, verzauberte Ort, mit seiner ganzen Düsternis und Melancholie am karibisch türkisfarbenen Wasser so bleibt, wie ich ihn zum ersten Mal erlebt habe. Andererseits wünsche ich mir, dass er Räume bietet für genau das Gegenteil, für das Prora eigentlich gebaut wurde. Das ist eine sehr romantische unrealistische Vorstellung. Klassischer Tourismus ist jedenfalls nicht mein Wunsch. Ich glaube aber, es gibt einen Weg dazwischen, Prora ist ja groß genug. Ich wünsche mir vor allem mehr Aufmerksamkeit für Prora, mehr Wahrnehmung für die vielen Facetten dazwischen. Prora ist vor allem ja deswegen so ein vergessener Ort gewesen, weil er nie so richtig böse war, aber eben auch nicht gut. Architektonisch ist er relativ banal, wäre da nicht die Größe. Das macht ihn interessant, denn er passt in keine Schublade, im wahrsten Sinne des Wortes, sondern verändert sich permanent. Womöglich ist er 100 Jahre später nach Grundsteinlegung immer noch nicht fertig und nochmal 100 Jahre später verfällt er wieder. Wer weiß?
 

Nico Webers Film INSIDE PRORA wird am 10. März 2021 um 20:30 Uhr im Fernkino im Rahmen der 13. Budapester Architekturfilmtage gezeigt.

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