Essays

Text und Bewegung, Sprache und Tanz

Keine zwei Kunstsparten scheinen, auf den ersten Blick, weiter voneinander entfernt wie Literatur und Tanz. Wörter, quasi rein aus Gedanken entstanden, landen auf Papier oder auf einem Bildschirm, wo sie ziemlich lange, oft für Jahrhunderte, stehen bleiben. Schritte, Drehungen, Sprünge dagegen scheinen von irgendwo anders her aus dem Körper zu kommen und sind nur für Bruchteile einer Sekunde zu sehen. Sieht man von dokumentarischer Aufzeichnung ab, existieren sie nur als mehr oder weniger deutliche Erinnerung der Betrachtenden fort.

Dabei gibt es durchaus Gemeinsamkeiten. Gehe ich von “Sprache” als Basis für Literatur, bzw. Dichtung aus, und von “Bewegung” als Basis für Tanz, dann sind Sprechen und Sich Bewegen - in individuell unterschiedlichen Ausprägungen - die ursprünglichsten Mittel alltäglicher Kommunikation, eigentlich Mittel des täglichen (Über-)Lebens - während die jeweilige Basis für bildende Kunst, Musik oder Schauspiel diese Stufe schon überschritten hat. Niemand muss unbedingt beim Bäcker singen, um sich verständlich zu machen. Demnach haben Literatur und Tanz eigentlich die gleichen, niedrigschwelligen Zugänge.

Wenn ich, als Dichterin und Performerin aus Deutschland, etwas über hiesige Wechselwirkungen und Zusammenspiele von Literatur und Tanz, von Sprache und Bewegung sagen will, kann ich mich allein auf den deutschsprachigen Raum kaum beschränken. Gerade, wenn ich von der Seite des Tanzes aus spreche, muss ich mindestens “europäisch” denken 1. Allein, betrachtet man solche Zusammenarbeiten unter historischen Gesichtspunkten, kommt man am Ballett nicht vorbei, und das ist keine deutsche Erfindung. “Romeo und Julia”, “La fille mal gardée” “Dornröschen”, “Coppelia” und “Le Corsaire” sind nur einige von vielen Balletten, die literarische Vorlagen umsetzen. Ebenso sind zwei bekannte und tanzwissenschaftlich bedeutsame literarische Texte, die sich mit Tanz befassen, nicht von deutschen Autoren geschrieben: “Ballette” und “Noch eine Tanzstudie” von Stéphane Mallarmé, sowie Paul Valérys “Rede über die Dichtkunst” befassen sich intensiv mit dem Wesen des Tanzes bzw. der Tänzerin (Männer im europäischen Tanz spielten zu der Zeit keine Rolle). 2 Über ihre theoretische/kunstästhetische Dimension hinaus sind sie unbedingt auch als literarisch eigenständige Texte zu betrachten.

In der deutschsprachigen Literatur - oder hier eher Philosophie - hat sich Friedrich Nietzsche ausführlicher mit Tanz beschäftigt. Während ich die Texte von Mallamé und Valéry nach wie vor mit Interesse lese und immer wieder versucht bin, eine Anwendung auf heutiges tänzerisches und performatives Schaffen in ihnen zu finden, erlebe ich beim Lesen von Nietzsches Texten weniger Entzünden eines solchen Interesses. Nietsche hat - so lese ich das - in diesen Passagen nicht über Tanz als Tanz geschrieben, sondern über Tanz, stellvertretend für etwas anderes, für Rausch, Ekstase, Stimmung. Und steht damit in einer ziemlich deutschen Tradition, Tanz nicht als Tanz ernstzunehmen, als körperliche Praxis, sondern ihn in etwas Geistiges, Körperloses umzuwandeln (diese Problematik wäre einen eigenen, sehr umfangreichen Text wert). 3 In diese Richtung spielt auch Heinrich von Kleists essayistische Erzählung “Über das Marionettentheater”, worin unter anderem ein Tänzer den Begriff der “Anmut” für sich als die Abwesenheit von jeglichem Bewusstsein definiert. In tänzerischen Diskursen gibt es jedoch kaum Bezug auf beide. Mir sind nur wenige Umsetzungen bekannt, die sich auf diese Arbeiten beziehen. 4

Spricht man von Tanz der jüngeren Gegenwart in Deutschland, der auch Sprache verwendet und Literatur in tänzerisches Geschehen zumindest einbezieht, ist natürlich Pina Bausch und ihr Tanztheater zu nennen. Bausch bearbeitete nicht explizit literarische Texte, bezog aber Sprache, Gesang, Alltagsgesten mit in ihre Choreografien ein und war somit eine der ersten Tanzschaffenden in Deutschland, die die Grenzen des Genres gerade zur Sprache hin öffneten. In den neunziger Jahren arbeitete der Choreograph William Forsythe als Leiter des ehemaligen Frankfurt Ballett und später der Forsythe Company mehrmals mit der kanadischen Dichterin Anne Carson zusammen. Die Produktionen “Kammer Kammer” sowie “Decreation” beziehen sich auf, bzw. verwenden Texte von Carson. Innerhalb der freien Tanzszene, die nicht an festen Theaterhäusern arbeitet, gibt es derzeit eine Vielzahl an Herangehensweisen, die Sprache und Literatur einbeziehen. Auf tanzforumberlin.de erhält man einen guten Überblick über gegenwärtige Produktionen im zeitgenössischen Tanzschaffen.

Und wie sieht es in heutiger dichterischer Praxis aus? Gibt es Umsetzungen, Verwandlungen, Bearbeitungen von Tanz, und wie könnten sie aussehen? Ich kann im Moment nur für mich selbst sprechen, da mir Arbeiten anderer Dichter_innen aus Deutschland, die sich in größerem Ausmaß mit Tanz und Bewegung beschäftigen bzw. sich darauf beziehen, derzeit nicht bekannt sind. In einer meiner eigenen Arbeiten habe ich versucht, Bewegungen und Gesten des Alltags in eine Form der Übersetzung zu bringen - und zwar in die Sprache der literarischen Sprache. 5

Abseits eigener dichterischer Arbeiten versuche ich immer wieder, kollaborative Arbeiten zu initiieren oder in solchen teilzunehmen. Im Dezember 2012 leitete ich, u.a. gemeinsam mit dem Choreograf Ingo Reulecke und dem Berliner Dichter Alexander Gumz das Projekt “Bewegungsschreiber” 6 . Außerdem zeige ich kürzere Solo-Performances, die sich (auch) auf meine eigenen literarischen Texte oder auf die anderer Dichter_innen beziehen.

Verweise

  1. Oder eher “westlich”, weil ich im folgenden von Tanz- und Performancepraktiken spreche, wie sie mir hier in Deutschland nach wie vor am häufigsten begegnen - nämlich Produktionen/Arbeiten, die aus einer europäisch-westlichen Vorstellung und Tradition von Tanz entstanden. Dieser Fokus auf den westlichen Tanz erweitert sich derzeit mehr und mehr auf außereuropäische Tanzformen.
  2. Stéphane Mallarmé: Ballette und Noch eine Tanzstudie, in Stéphane Mallarmé: Kritische Schriften, Übers. Gerhard Goebel”, Gerlingen 1998 Paul Valéry: Rede über die Dichtkunst, in: Paul Valéry, Zur Theorie der Dichtkunst, Aufsätze und Vorträge, Frankfurt/M. 1975
  3. Ich verweise schon mal auf folgenden Essay: Christina Thurner: Bewegungen auf/s gleichem Grund Emphatische Interferenzen zwischen Tanz und Text, erscheint in der Ausgabe 216, Dez. 2015 der Literaturzeitschrift Sprache im Technischen Zeitalter
  4. als Beispiel sei hier angezeigt: http://www.kulturstiftung-des-bundes.de/cms/de/projekte/buehne_und_bewegung/archiv/nicht_ich_ueber_das_marionettentheater.html
  5. kurze Trailer zu den Arbeiten hier:
    http://tanzforumberlin.de/559.php
  6. http://tanzforumberlin.de/556.php
    http://tanzforumberlin.de/557.php
    http://tanzforumberlin.de/558.php

Martina Hefter (geboren in Pfronten, Allgäu in 1965) ist ein Dichter, Tänzer und Performance - Künstler. Sie studierte zeitgenössischen Tanz in Berlin und literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Neben ihrer literarischen Arbeit greift sie in Projekte , die Sprache und Bewegung kombinieren, zuletzt in der Performance - Installation Ghosts im Literarischen Colloquium Berlin im Jahr 2015. Im Jahr 2005 Schreiben sie den Förderpreis für den Sachsen Lessing - Preis und einem Hermann Lenz ausgezeichnet Gemeinschaft, die London - Stipendium des deutschen Literaturfonds im Jahr 2006 und im Jahr 2008 den Meraner Lyrikpreis.
Martina Hefter, 2015