Essays

Übersetzen als Innerer Wandel

Sampurna Chattarji beschreibt, wie beides, die Erfahrung zu übersetzen und die Erfahrung in viele europäische Sprachen übersetzt zu werden, sie verändert hat.


Ich schreibe auf Englisch und habe die berühmten Dichter Sukumar Ray (1887–1923) und Joy Goswami (*1954) aus dem Bengalischen ins Englische übersetzt. Doch erst, als ich während eines Workshops in Neemrana einen irischen Dichter über das Englische ins Bengalische übertrug, wurde ich mir auf eine völlig unerwartete Weise meiner sprachlichen Fähigkeit und Findigkeit bewusst. Damals begann ich, die Texte von Kollegen unter zwei Aspekten zu lesen. Wie kann ich die englische Übersetzung verbessern, die als Ausgangsgrundlage für die Übertragung in eine weitere Sprache dient?

Diese Doppelfunktion führte zu einem tiefen inneren Wandel in meinem Umgang mit den zwei Primärsprachen in meinem Leben. Der Bogen vom Irischen über das Englische ins Bengalische ließ sich mühelos spannen. Das lag nicht nur daran, dass mich die Wortgewandtheit, Dynamik und das politische Engagement des Dichters Gearóid Mac Lochlainn berührten, sondern auch am Klang seiner Sprache. Irisch, stellte ich fest (und die gleiche Feststellung traf ich später auch in Bezug auf das Walisische) ging mir leicht über meine indischen Lippen, wenn ich die von dem Muttersprachler deutlich ausgesprochenen Worte ins Bengalische transkribierte. Die Barriere des lateinischen Alphabets entfiel, und das Irische erschloss sich mir rein über das Hören. Die Sprache hatte eine Sanftheit und beschwingte Melodie, die zum Tonfall des Bengalischen passte. Durch diese Klangverwandtschaft fühlten sich das Irische, und später auch das Walisische, vertraut an.

Als ich mit walisischen Dichtern bei einer Reihe von walisisch-indischen Projekten arbeitete, vertiefte sich meine Beziehung zu meiner eigenen Kultur, und es beeinflusste meinen kreativen Schreibprozess. Die Begegnung mit zutiefst patriotischen Dichtern wie Twm Morys bestätigte mich in meiner Überzeugung, dass ich keinen Verrat begehe, wenn ich in der Sprache der ehemaligen Kolonialmacht schreibe.

Die Gruppenarbeit an meinem Gedicht Mirage (Trugbild) – dabei untersuchte ich, wie die englische Sprache Tiere im täglichen Sprachgebrauch verunglimpft – offenbarte, dass Tierfabeln Bestandteil historischer Überlieferungen beider Kulturen sind, in der walisischen Dichtung Mabinogion wie in der indischen Dichtung Panchatantra. Und der schmerzliche, walisische Begriff „hiraeth“ verkörperte die sichtbaren Brüche und die gedankliche Heimkehr in meiner neuen Dichtung.

Das unübersetzbare Wort „hiraeth“, das für eine „tief empfundene Sehnsucht“ steht, inspirierte mich zu einem Gedicht über den Dämonenkönig Hiranyakashipu und Narasimha, eine Inkarnation Vishnus. Es ließ in mir das Bild des Mannlöwen wiederauferstehen, der den Dämonenkönig in Stücke reißt – eine Geschichte, die mich seit meiner Kindheit fasziniert hat, eine Geschichte über göttliche Intervention und menschlichen Glauben, eine Geschichte über die verbindliche und trügerische Art von Worten.

Die Wörter in meinem Gedicht wandelten sich, sie verloren (angeregt durch Gespräche mit walisischen Dichtern über den Wandel in ihrer Sprache) Buchstaben wie Gliedmaßen, doch im Kern stand das Konzept der Metamorphose, die von überaus zentraler Bedeutung für die indische Mythologie ist. Die Gottheit Vishnu in der Gestalt des Mannlöwen untergräbt jede einzelne Zeile des von Hiranyakashipu so schlau erdachten Segens, den der Dämonenkönig von Brahma erbittet: Dass weder Mensch noch Tier ihn töten könne, weder innerhalb noch außerhalb eines Hauses, weder auf dem Boden noch in der Luft, weder bei Tag noch bei Nacht. Also legte sich Narasimha, der weder Mensch noch Tier war, Hiranyakashipu auf den Schoß und tötete ihn in der Dämmerung auf der Schwelle seines Palastes mit bloßen Händen. Damit erfüllte er alle Bedingungen des Segens und unterlief sie gleichzeitig.

Für mich ist das Übersetzen zuweilen diese Art des gleichzeitigen Erfüllens und Unterminierens. Die Vorstellung von dem, was interkulturell vermittelbar ist, verändert sich permanent. Hin und wieder entstehen wunderbare außertextliche Assoziationen. So musste ich, als ich das Gedicht Gers Dat Alfêst Laket (Gras, das bereits lacht) des niederländisch-friesischen Dichters Tsead Bruinja übersetzte, an eine Zeile des Gedichts Grass von Jibanananda Das denken: „Seitdem bringt das Gras die Erde zum Lachen.“

Ich las die Verse zum ersten Mal, als ich Joy Goswamis Gedicht über Jibanananda Das (1899–1954) übertrug.

Als ich mich mit der estnischen Dichterin Doris Kareva über unsere Sprachen unterhielt, erfuhr ich, dass das bengalische Wort für „ja“ – hain – im Estnischen für „gut“ steht. Meine Begegnung mit Doris brachte In Another Town (In einer anderen Stadt) hervor, einen Prosatext, in dem Pondicherry, Kolkata, London und Doris‘ Heimatstadt Tallinn verwoben wurden zu einer Meditation über Sprache als diasporische Einheit, als Körper, der eng verbunden ist mit Ort und Ortlosigkeit. Der Text wurde ins Chinesische übersetzt, was eine aufregende Premiere für mich war.

Das Wissen europäischer Dichter (das trifft selbst auf belesene Dichter, wie meinen portugiesischen Dichterfreund Miguel-Manso zu) über den Kanon der östlichen Literatur beschränkt sich häufig auf Tagore, Omar Khayyam und Rumi. Über die Übersetzung meiner, also der Gedichte einer zeitgenössischen indischen Dichterin, schreibt Miguel: „Die Distanz, die bleibt, ist die, die zwischen zwei Menschen, zwischen zwei Poetiken, zwischen zwei Subjektivitäten, zwischen zwei Welten besteht. Ich glaube, das ist die größte übersetzerische Herausforderung: eine Sicht auf die Welt zu übertragen.“ […] „Es gilt, Sampurna (ein Mysterium an sich) und nicht eine indische Dichterin zu übertragen. Ebenso gehe ich davon aus, dass deine Aufgabe, mein Buch zu übersetzen, eher zu einem ‚Kampf‘ mit mir, als zu einem Kampf mit der portugiesischen Sprache gerät. Und dass es sich um Lyrik handelt, die über die Allgemeinsprache hinausgeht, macht es noch schwieriger.“

Das Wissen europäischer Dichter (das trifft selbst auf belesene Dichter, wie meinen portugiesischen Dichterfreund Miguel-Manso zu) über den Kanon der östlichen Literatur beschränkt sich häufig auf Tagore, Omar Khayyam und Rumi. Über die Übersetzung meiner, also der Gedichte einer zeitgenössischen indischen Dichterin, schreibt Miguel: „Die Distanz, die bleibt, ist die, die zwischen zwei Menschen, zwischen zwei Poetiken, zwischen zwei Subjektivitäten, zwischen zwei Welten besteht. Ich glaube, das ist die größte übersetzerische Herausforderung: eine Sicht auf die Welt zu übertragen.“ […] „Es gilt, Sampurna (ein Mysterium an sich) und nicht eine indische Dichterin zu übertragen. Ebenso gehe ich davon aus, dass deine Aufgabe, mein Buch zu übersetzen, eher zu einem ‚Kampf‘ mit mir, als zu einem Kampf mit der portugiesischen Sprache gerät. Und dass es sich um Lyrik handelt, die über die Allgemeinsprache hinausgeht, macht es noch schwieriger.“

Die Schweizer Dichterin Heike Fiedler (die mich ins Deutsche und Französische übersetzt hat) konstatiert: „Übersetzen ist interkulturell per Definition. Am Anfang ergreift mich immer Erstaunen, wenn ich die Welt derjenigen betrete, die ich übersetze. In deinem Fall überkam mich das Gefühl, eine Reisende in dieser Welt zu sein, in der Dinge und Orte uns umgeben, der Autorin ins Bewusstsein dringen und sie ihre Übertragung des dort Wahrgenommenen auf das Papier bringen muss. Mir gefiel der physische Aspekt, den deine Dichtung mir bot, als ob man mich hineingebeamt hätte in diese, deine andere Kultur.“

Was eine wahrhaft kulturübergreifende Vermittlung befeuert, ist die Neugier. Bei allen Workshops, an denen ich teilnahm, lag der Schlüssel zur Lösung von Problemen darin, Fragen zu stellen – detaillierte, kleinliche, kritische, scherzhafte, ernste, bohrende Fragen. Für mich ist das Übersetzen die entscheidende Antwort auf viele Fragen; ein Fragenkatalog, der viele Antworten umschließt.

Verweise

  1. An essay on translation and a poetic response to the Poetry Connection translation workshop in Shantiniketan, 2011: http://kindlemag.in/author/sampurna-chattarji/
  2. Critical writing on works of translation by Sampurna Chattarji: https://sampurnachattarji.wordpress.com/critical-writing/
  3. Literature Across Frontiers: http://www.lit-across-frontiers.org/?s=Sampurna+Chattarji
  4. No Laws In This Land of Doubles: A talk by Sampurna Chattarji on her journey as a translator for Junoon’s Mumbai Local: https://www.youtube-nocookie.com/watch?v=yydaxva94sY
  5. In Another Town in the original English and with the Chinese translation: http://www.asymptotejournal.com/special-feature/sampurna-chattarji-in-another-town/english/
  6. Notes post-Poetry Connections translation workshop in Pondicherry 2010: https://dubioussaints.wordpress.com/author/sampurnachattarji/page/2/
  7. Wales-India translation project: http://waleslitexchange.org/en/media/post-cards/a-postcard-from-india/
  8. Poetry Connections: http://www.lit-across-frontiers.org/activities-and-projects/project/poetry-connections/
  9. Sampurna Chattarjee ist Lyrikerin, Romanautorin und Übersetzerin. Sie hat insgesamt vierzehn Bücher veröffentlicht, darunter fünf Lyrikbände, zwei Romane und einen Band mit Kurzgeschichten über Bombay mit dem Titel Dirty Love (Penguin, 2013). Zuletzt hat sie Joy Goswamis Selected Poems (HarperPerennial, 2014) und Space Gulliver: Chronicles of an Alien (HarperCollins, 2015) übersetzt. http://sampurnachattarji.wordpress.com/
Sampurna Chattarji
Übersetzung: Christiane Wagler
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