Essays

Ein Mosaik aus Stimmen und Traditionen

Mit einer Vielzahl von Stimmen und Stilen verbindet die gegenwärtige Urdu-Poesie aus Pakistan das Klassische mit dem Modernen.


Die Literatur aus Pakistan ist ein Mosaik aus vielen Sprachen und Traditionen, die untereinander eng verbunden sind und sich doch an ganz unterschiedlichen Punkten der Entwicklung befinden. Urdu weist als Sprache eine lange, viele Jahrhunderte zurückgehende Tradition auf und gehört in Pakistan wie Indien zu den literarischen Hauptsprachen.

Stimmen nach der Teilung 

In der klassischen Urdu-Dichtung dominierte der Ghazal, doch spätere Entwicklungen beschrieben gänzlich andere Wege. Die Stimmen von Faiz Ahmed Faiz, N.M. Rashid und Miraji haben Gewicht, und sie gelten als wichtige und einflussreiche Figuren. In der Zeit direkt nach der Unabhängigkeit war das linksorientierte und organisierte Progressive Movement staatlicher Unterdrückung ausgesetzt. Zeitschriften wurden verboten und Autoren wie Faiz und Ahmed Nadeem Qasmi verschwanden hinter Gittern.

Faiz schrieb in einem hochgradig polierten neo-klassischen Stil und sprach sich mit seiner unübertrefflichen Kunstfertigkeit gegen die Tyrannei aus. Als vielgeliebter Autor galt er bald als Sprecher der Unterdrückten. Faiz‘ Arbeiten wurden in großen Teilen ins Englische übersetzt, und er gewann unter anderem den Lenin-Preis. Er ist weiterhin der bekannteste Dichter Pakistans. Während Miraji noch ziemlich jung in Indien starb, entwickelte Rashid sich zu einem kunstfertigen Meister.

Wurde Rashids komplexe und reichhaltige Vorstellung des Menschen als eine unentdeckte Einheit in einem verwirrenden Universum anfänglich als unentschieden kritisiert, wird seine Kunst heute als hervorragender Ausdruck der Dichtung seiner Zeit angesehen.

Ganz ähnlich bringt Majeed Amjads Spätwerk die Träumereien eines abenteuerlustigen, aber einsamen Geistes in einem offeneren und experimentelleren Stil zum Ausdruck. Mittlerweile von den Kritikern als wichtiger Dichter anerkannt, weist seine Dichtung in die Zukunft.

Die packendste Stimme in der Zeit nach der Teilung war Nasir Kazmi. Mit seinen „neuen Ghazals“ kehrte er zu den klassischen Wurzeln zurück, um den Sorgen einer Zeit voller Unsicherheiten einen lyrischen Ausdruck zu geben. Der Ghazal bewies seine Unverwüstlichkeit, als Saleem Ahmed und später der spöttische und ikonoklastische Zafar Iqbal unromantische Themen einführten und den ernsthaften Tonfall mit Spott bedachten, um offensiv die uralten Konventionen zu hinterfragen.

Der Ghazal findet bei allen Dichtern Verwendung. Zu denen, die sich an ihm versuchten, gehören Mehshar Badayooni, Hameed Nasim, Ahmed Mushtaq, Shahzad Ahmed, Ahmed Faraz, Juan Elia, Athar Nafees, Anwer Shaoor, Obaidullah Aleem, Tauseef Tabassum und Iftikhar Arif. Ahmed Faraz, ein für seine tief bewegende Liebeslyrik viel bewunderter Dichter, schuf auch nicht weniger bemerkenswerte politische Gedichte, in denen Pakistans lange Leidenszeit unter diktatorischer Herrschaft beklagt wurde.

Habib Jalibs noch heute zitierte Verse befassen sich ebenso mit den vielen Diktaturen, die Pakistan beherrschten. Die Verbindung eines progressiven Ausblicks mit einer eindringlichen Diktion ist Kennzeichen der Dichtung von Aziz Hamid Madani, einem Dichter mit großem Stilempfinden und einer Vision. Wohingegen man die Dichtung des bedeutsamen Punjabi-Dichters Munir Niazi an den Beschreibungen des Verlusts der Unschuld und der Verwirrung über die verzauberte Welt erkennt.

In den Sechzigern des 20. Jahrhunderts etablierte sich das moderne Nazm nicht einfach als eine gesonderte Bewegung, sondern als eigenständige Phase mit den Werken von Saqi Farooqi, Kishwar Naheed, Fahmida Riaz, Sarmad Sehbai, Akhter Hussain Jafri, Javaid Shaheen, Salahuddin Mehmood und Saher Ansari. Radikale Experimente waren die Sache von Iftikhar Jalib, doch diese beeinflussten zwar die Literaturtheorie, blieben aber ohne Nachhall in dichterischen Werken. Wo es früher nur Schweigen gab, nahm die Zahl der Lyrikerinnen seit Ada Jafarey und Zehra Nigah stetig zu, wodurch sich feministische Perspektiven immer vernehmbarer Ausdruck verschafften.

‚Tradition der Moderne‘

Die erste Generation der in Pakistan geborenen Dichter und Dichterinnen, unter ihnen Sarvat Hussain, Mohammed Izhar-ul-Haq, Khalid Iqbal Yasir, Ghulam Hussain Sajid, Fatima Hassan, Shahida Hassan, Muhammed Khalid und andere, entwickelte den Ghazal weiter, indem sie Bilder aus den Dastaans und aus der Blütezeit islamischer Herrlichkeit verwendete. Zu diesen Dichtern zählt Parveen Shakir, dessen tragischer früher Tod eine bemerkenswerte Entwicklung abreißen ließ, die von adoleszenter Sentimentalität hin zu einem erwachsenen Stil sowohl im Nazm wie Ghazal reichte. In gleicher Weise mit dem Nazm wie mit dem Ghazal vertraut ist Iftikhar Arif, dessen Arbeiten eine klassische Ausdrucksweise mit modernistischer Sensibilität verbinden.

Die ‚Tradition der Moderne‘ setzt sich in den Arbeiten einer Reihe von Dichtern fort. Die von kontroversen Debatten begleitete Etablierung der Form des Prosa-Gedichts war in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern ein weiterer formeller Durchbruch. Das Prosa-Gedicht wurde in den Neunzigern enorm wichtig. Zu seinen Vertretern zählten postmoderne Dichter wie Abbas Athar, Abdul Rasheed, Nasreen Anjum Bhatti, Afzaal Ahmed Syed, Azra Abbas, Asghar Nadeem Syed, Ahmed Fawad, Sara Shagufta, Abrar Ahmed, Naseer Ahmed Nasir, Zeeshan Sahil, Tanvir Anjum, Mohammed Anwer Khalid, Saeeduddin, Yasmeen Hameed, Ali Muhammad Farshi, Ali Akbar Natiq und viele mehr. Die Beschreibung von banalen Tätigkeiten in den Alltagsroutinen, ein ironischer Blick auf die Geschichte aus der Opferperspektive und ein kosmopolitischer Geist sind kennzeichnend für die Urdu-Poesie von heute.

Die Arbeiten von Kishwar Naheed und anderer Dichterinnen sind exemplarisch für die Entwicklung in der modernen Dichtung.

 

Kishwar Naheed feiert ihren Status mit deutlichen Worten:

„Es sind wir sündige Frauen,  
die anders als jene, die Handschuhe tragen, keine Ehrfurcht erfahren,
wir verkaufen unsere Leben nicht
wir beugen unsere Häupter nicht 
wir falten unsere Hände nicht.“
(Wir sündige Frauen, nach einer Übersetzung von Rukhsana Ahmed)

Die eigenständige Stimme von Azra Abbas beschreibt die vermeintlich banale Alltagserfahrung aus der Sicht einer Frau und einfachen Bürgerin:

„Wie schreibt man ein Liebesgedicht?
Wir schreibt man, dass das Wetter einfach perfekt ist
Wir bekommt man alle dazu,
Ihre Fernseher auszuschalten
Auf jedem Sender wiederholt sich
Die Erzählung von toten Körpern
Aber die Fenster sind überall offen
Die Wagen zum Auflesen
Der toten Körper machen einen solchen Lärm
Ich kann nichts hören.“
(The Banner, nach der Übersetzung von Asif Farrukhi)

 

Später wurde die unter Opfern gewonnene Unabhängigkeit von einer Terrorwelle und der Unterwürfigkeit gegenüber vorgegebenen Ideologien herausgefordert. Poesie konnte dagegen einen Ort bieten, die herrschenden Ideologien in Frage zu stellen. 

Die klassische Urdu-Dichtung war oft nur schwer zu übersetzen, der modernen Poesie hingegen erging es in den Händen einiger Übersetzer wesentlich besser, und es gibt eine Reihe guter Anthologien, die die Leser mit ihrer reichhaltigen Tradition bekannt machen können. Dazu gehören An Evening of Caged Beats: Seven Post-modernist Urdu Poets (übersetzt von Frances W. Pritchett und Asif Farrukhi, Oxford 1999), Pakistani Urdu Verse (übersetzt und herausgegeben von Yasmeen Hameed, Oxford 2010) und Modern Poetry of Pakistan (Dalkey Archive Press, UK 2011, zusammengestellt und herausgegeben von Iftikhar Arif und Waqas Khwaja).

Zahlreiche Übersetzer haben sich an Übersetzungen von Faiz versucht. Erschienen sind Gedichtbände mit den Arbeiten von Munir Niazi, Kishwar Naheed, Fehmida Riaz, Saqi Farooqi, Parveen Shakir und Iftikhar Arif. Auswahlbände von Vertretern der nachfolgenden Modernisten Afzaal Ahmed Syed, Zeeshan Sahil und Tanveer Anjum sind ebenfalls erhältlich.

Asif Farrukhi wurde in Karachi geboren und ist als Autor, Literaturkritiker und Übersetzer tätig. Eigentlich ist er ausgebildeter Arzt. Er studierte am Dow Medical College in Karachi und an der Harvard University in den USA. Er ist Herausgeber der urdu-sprachigen Zeitschrift Duniyazad, einer Literaturzeitschrift für neues Schreiben und zeitgenössische Fragen. Er ist außerdem Gründungsmitglied des Karachi Literary Festival. Für sein Werk wurde er 1997 mit dem Prime Minister’s Literary Award der Pakistan Academy of Letters ausgezeichnet, von der pakistanischen Regierung erhielt er den Tamgha-i-Imtiaz.
Asif Farrukhi
Übersetzung: Nils Plath