Essays

Deutschsprachige Gegenwartslyrik

Verlage, Veranstalter und andere Multiplikatoren

Bereits in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts las man in den Feuilletons vom „deutschen Lyrikwunder“. Früh wurde damals eine Tendenz wahrgenommen, die sich so richtig erst im neuen Jahrtausend zu dem wandelte, was man heute mit einigem Recht als „Lyrik-Boom“ bezeichnen könnte.

Dichter, Verlage, Zeitschriften

Zuallererst lässt sich die herausragende Stellung der deutschsprachigen Gegenwartslyrik auf die Qualität der Dichtung selbst zurückführen. Eine Vielzahl von Dichtern, Angehörige unterschiedlicher Generationen und ästhetischer Schulen, werden heute in Deutschland veröffentlicht. Beispielhaft seien nur einige Namen genannt: Paulus Böhmer, Elke Erb, Volker Braun, Gerhard Falkner, Durs Grünbein, Marcel Beyer, Ulrike Draesner, Ulf Stolterfoht, Monika Rinck, Jan Wagner, Andreas Altmann, Ann Cotten, Hendrick Jackson, Thomas Kunst, Daniel Falb, Anja Utler etc.

An dem Bekanntwerden dieser Dichter und an der Verbreitung ihrer lyrischen Werke hat eine heterogene Verlagslandschaft maßgeblichen Anteil. Die großen Traditionsverlage in Deutschland, die im umfangreichen Stil Lyrik publizieren, sind der Suhrkamp Verlag und der Carl Hanser Verlag. Andere Verlage, die sich um die deutschsprachige Lyrik verdient gemacht haben, sind z.B.: DuMont Buchverlag, Edition Korrespondenzen, Luchterhand Literaturverlag, Schöffling & CO., S. Fischer Verlag, Verlag C.H. Beck, Verlag Das Wunderhorn etc.

Einige der genannten Verlage haben ihr Lyrikprogramm stark eingeschränkt. Diese Entwicklung führte dazu, dass viele Kleinverlage, die sich auf Gegenwartslyrik konzentrieren, gegründet worden sind: edition AZUR, hochroth Verlag, kookbooks, luxbooks, Verlag Peter Engstler, roughbooks (früher Urs Engeler Editor) etc. Die Szene wird außerdem bereichert durch die Existenz zahlreicher Literaturzeitschriften, die sich in Themenheften mit unterschiedlichen Schwerpunkten unter anderem der Lyrik widmen. Die bedeutendsten Zeitschriften sind: Akzente, BELLA triste, die horen, Neue Rundschau, Park, Schreibheft, SINN UND FORM etc.

Literaturveranstalter und Festivals

Die verschiedenen Literaturveranstalter und Lyrikfestivals des Landes verhelfen der Gegenwartsdichtung zu noch größerer Sichtbarkeit im deutschsprachigen Raum. Eine der bekanntesten Institutionen und Veranstaltungsorte ist das Lyrik Kabinett in München. Es ist Sitz der größten Lyrik-Bibliothek in Deutschland. Das Lyrikertreffen Münster, das im 2-Jahres-Rhythmus Dichter und Dichterinnen zu Lesungen und Diskussionen einlädt, gibt es seit 1979.

Bremens Poetry On The Road ist seit 1999 eines der berühmtesten Festivals des Landes, das internationaler moderner Lyrik eine Bühne bietet.

Seit dem Jahre 2000 ist das poesiefestival berlin mit bis zu 12.000 Besuchern das größte seiner Art in Europa. Das Festival wird veranstaltet von der Literaturwerkstatt Berlin, die außerdem das VERSschmuggel-Projekt ins Leben gerufen hat und in einem Monatsprogramm regelmäßig Lyrikveranstaltungen präsentiert. Sie richtet zudem den open mike aus, den wichtigsten deutschsprachigen Nachwuchswettbewerb für Lyrik und Prosa, und das ZEBRA Poetry Film Festival, das alle zwei Jahre einen Wettbewerb um den besten Poesiefilm ausschreibt.

Neben der Literaturwerkstatt Berlin gibt es in der Hauptstadt vier weitere Literaturhäuser (Literarisches Colloquium Berlin, das Literaturhaus Berlin, das Literaturforum im Brecht-Haus und LesArt) und eine ungewöhnlich vielfältige Freie Szene, die sich unter anderem der Vermittlung von Lyrik verschrieben hat: ausland, Berliner Literarische Aktion, Brotfabrik-Berlin, Buchhändlerkeller, Hauser & Tiger, Kabeljau & Dorsch, kookbooks, Lettrétage, Saint George´s English Bookstore etc.

Lyrik im Internet

Es existieren zahlreiche deutschsprachige Internetseiten, auf denen Lyrik präsentiert, rezensiert und kontrovers diskutiert wird.

Hier eine kleine Auswahl:
www.lyrikline.org ist ein Online-Portal, das seit 1999 Originalstimmen von Dichterinnen und Dichtern einer weltweiten Lyrikgemeinde zugänglich macht. Mit über 1000 Autoren, mit mittlerweile über 9000 Gedichten (in über 60 Sprachen und mehr als 13.000 Übersetzungen) ist die Lyrikline die größte Seite für Poesie im Netz.
http://lyrikzeitung.com/, im Jahre 2001 gegründet, ist ein täglich aktualisiertes Online-Magazin für Dichtung, das Lyriknachrichten, Besprechungen, Kurz-Essays, Lesetagbücher, Kolumnen und ein Lyrik-Diktionär präsentiert.
www.poetenladen.de/, „ein virtueller Raum für Dichtung“, bietet Kurzbiographien von Lyrikern, ausgewählte Texte und Kritiken.
www.signaturen-magazin.de versammelt neben Gedichten auch Essays, Journale, Porträts und Rezensionen zum Thema Lyrik.
www.lyrikkritik.de/, 2002 gegründet, spiegelt den Stand der Lyrikkritik, macht Rezensionen zugänglich und bietet Raum für unabhängige Debatten zum Thema Dichtung.
www.literaturport.de ist seit 2006 nach eigenen Auskünften eine „Internetplattform zu Förderung und Vernetzung von Schriftstellern und für die Literaturvermittlung“. Bestandteil der Seite sind ein Autorenlexikon, ein Preise- und Stipendien-Navigator sowie ein literarischer Veranstaltungskalender.
www.planetlyrik.de versteht sich als „eine archivarische Demokratisierung poetischen Wissens“. Auch hier finden sich Texte, poetologische Einlassungen und zahlreiche Links zu Lyrikrezensionen.

Dr. Matthias Kniep wurde 1971 in Itzehoe geboren. Er hat in Kiel Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte, Philosophie und Geschichte studiert und bei Heinrich Detering über Heldenkonzeptionen in der Populärkultur promoviert. Matthias Kniep lebt seit 2009 in Berlin und ist Mitarbeiter der dort ansässigen Literaturwerkstatt. Er leitet für die Literaturwerkstatt verschiedene Projekte (unter anderem »Poetry Rain«, den »Berliner Beschwerdechor 2011« und »Das Große Berlin-Gedicht«).
Matthias Kniep
Berlin, 29.9.2015