Reportagen aus Südasien

Von Lyrik, Macht und Domino - Spiele mit Wörtern und Leben

Goethe Institut / Foto: Natalie SoysaPoets translating Poets Goethe-Institut;  Foto: Natalie Soysa Foto: Goethe-Institut / Natalie Soysa

Von politischen Karten und Manipulationen der Sprache umgeben spielte man zufrieden ein Dominospiel. Die Begegnung in Colombo, der fünfte Workshop in einer Reihe von Lyrik-Workshops des Projekts Poets Translating Poets, brachte den einen oder anderen Zweikampf mit sich.

ein spiel mit den augen ein spiel mit den händen
die rede der gesten ins netz der blicke geknüpft


Im Schatten eines großen Baums steht ein Tisch mit einer Steinplatte, darauf ausgestreut sind Gedichte und Möglichkeiten: Hier treffen drei Autoren und drei Übersetzer aufeinander. Die deutsche Lyrikerin Barbara Köhler zieht auf einem weissen Brett schwungvoll Dominosteine, während sie ihren Mitspielern die Spielregeln erklärt. Das sind die Lyriker Ariyawansa ‘Ari’ Ranaweera und Somasundarapillai ‘Sopa’ Pathmanathan aus Sri Lanka – die Interlinear-Übersetzer Prof. Asoka de Zoysa, Nimka Udapola und Bruder Francis Jeyasegaram bringen ihre Ideen mit ein. Man übersetzt Barbaras Gedicht die dominospieler/ The Domino Players.

Die Arbeit des Übersetzers ist eine Hochleistung, ist aber oft auch ein einsamer und frustrierender Akt. Man konsultiert unzählige Wörterbücher und ringt mit Sprache und Grammatik, und mit dem Anspruch, den Gedankenexperimenten eines Autors gerecht zu werden - dem, was José Ortega Y Gasset den „radikalen Mut“ des Autors nannte - während man gleichzeitig im „Kontrollapparat, der sich aus Grammatik und allgemeinem Sprachgebrauch zusammensetzt” gefangen ist. 1 Das Gefühl des Übersetzers ein einsamer Wolf zu sein löst sich aber plötzlich in Nichts auf, wenn man 48 Dichter aus 19 Sprachen im Laufe eines Jahres in Übersetzungsworkshops zusammenbringen soll. Hier wird das Einzelkämpfertum des Übersetzers, der stets Gefahr läuft, dem eigenen überzogenen Anspruch an sich selbst zum Opfer zu fallen, zu einer kollektiven Erfahrung.

Hände schlagen wild um sich, Gesten ersetzen die verbale Kommunikation. Augen blitzen, wenn sich dem entschlüsselnden Übersetzer die ursprüngliche Bedeutung eines Gedichts erschliesst. Langsam beginnt jeder Dichter, sich mit dem anderen auseinanderzusetzen, schafft Sinn, Stück um Stück. Vom Prozess bis zum Abschluss, von den Teilen zur Summe: jede Begegnung zur Gedichtübersetzung im Rahmen des Mammutprojekts Poets Translating Poets (PTP) kennt bezaubernde und anstrengende Momente.

wer nichts hinzuzufügen hat nimmt von einer
hoffnung die bis zum letzten stein nicht weniger
wird eine antwort zu finden ein zeichen ein
gleiches eine wendung die das gespräch
fortsetzt in das ornament sich fügt zum bild
vielleicht das dann deutlich erscheinen würde
mitten in der nacht


Barbara Köhlers Lyrik überschlägt sich in Manipulationen der deutschen Sprache, die für die Übersetzer eine Herausforderung waren. Substantive und Satzanfänge sind durchgehend klein geschrieben – anders als das sonst im Deutschen üblich ist. Die Gedichte kommen außerdem ohne Satzzeichen aus, und sind deshalb für verschiedene Interpretationen offen, die Wörter nehmen mit jedem neuen Wort eine andere Bedeutung und einen anderen Bezug an, wenn sie sich nach und nach zu Sätzen zusammenfügen. Alles ist mehrdeutig und schillernd.

Poets translating Poets Goethe-Institut;  Foto: Natalie SoysaFoto: Goethe-Institut / Natalie Soysa
Prof. Asoka erklärt: „Es könnte das eine oder das andere bedeuten.“ Wie er in einer E-mail schrieb, die seine interlinearen Übersetzungen von Barbaras Gedichten im Vorfeld des Workshops begleitete, sind „…ihre Vorstellungen vielleicht nicht präzise, sie mögen chaotisch sein. Aber innerhalb dieses Chaos ist Schönheit. Wir wissen bei manchen Versen nicht genau, wie wir sie übersetzen sollen. Ihre Metaphern und Ideen fließen ineinander.“ Die Interlinear-Übersetzung, bei der man Wort für Wort übersetzen und bei jedem Wort dessen multiple Bedeutungen dazu schreiben muss, nehmen Barbaras Dichtkunst ihre Virtuosität.

Interessanterweise nimmt Barbara den Vorwurf an. Sie ist sich bewusst, dass sie damit als „schwierig“ gelten könnte, aber sie kann nicht anders. In ihren eigenen Worten, „liebt sie es, mit der Sprache innerhalb der Sprache zu arbeiten“. Sie verweist dabei auf Gertrude Steins Ausspruch: „Ich mag das Gefühl von Wörtern die tun was sie wollen und wie sie es müssen wenn sie leben wie sie leben müssen das ist wo sie hingekommen sind um zu leben was sie selbstverständlich tun.“

Bruder Francis teilte seine eigenen Herausforderungen und Entdeckungen mit: „Als Übersetzer hatte ich manchmal Schwierigkeiten, deutsche Entsprechungen für idiomatische Wendungen, literarische Formen und gewisse Sprachmuster des Tamilischen zu finden. Aber dank dieses Prozesses konnte ich zum Kern des Gedichts, zu seiner Botschaft, vordringen; die Seele der deutschen Denk- und Lebensweise.“ Er äußerte dabei die Hoffnung, den Deutschen einen Einblick in tamilische Denk- und Verhaltensweisen geben zu können.

Barbara schwelgte in ihren persönlichen Entdeckungen und Entscheidungen, die sie im Laufe des Projekts machte. Besondere Freude bereiteten ihr die traditionellen Strukturen und Kadenzen in Aris Gedichten. In einigen Gedichten von Sopa entschied sie sich dafür, mit den ursprünglichen Zusammenhängen und Begriffen wie murunga tree und raga zu spielen. „Es ist nicht unbedingt notwendig, dass jeder das Gedicht versteht. Wörter aus der Originalsprache geben ein konkretes Gefühl für Orte, und machen das Gedicht weniger neutral.“

Dieser Prozess barg neue Herausforderungen für die Lyriker, die ihre Gedichte übersetzten. Minutiös wurde jedes Wort, jeder Satz, jeder Vers, jedes Bild und jede Idee umrissen und Bedeutungen aufgedeckt. Im weiteren Spielverlauf tauschte man wie wild Fragen aus.

in der kleinen bar mit
den grünen tischen an einem zwei die nicht krieg
spielen nicht um herrschaft & macht dieses spiel
gewinnt wer alles geben kann wer wach bleibt wer
sieht wie gleiches zugleich sich ändert eins das
andere erwidert am tisch mit den gleichen seiten
die gesten
2

Noch einmal wird deutlich, dass man Kontexte und die Art und Weise, wie diese den Prozess, seine Ergebnisse und die Wahrnehmung des Prozesses beeinflussen, nicht unterschätzen darf. Sri Lanka hat sich erst vor kurzem von einem dreißigjährigen Bürgerkrieg befreit, und dieser historische Kontext schlägt sich in den lyrischen Werken deutlich nieder. Während Sopas Gedichte vor allem von Konflikt, Migration und Aufgabe der kulturellen und politischen Erfahrung der Tamilen in Sri Lanka handeln, geht es in Aris Gedichten eher um Buddhismus und Religion - ein soziopolitisches Thema, das in der sinhalesisch-sprachigen Kultur sehr präsent ist. Das ist etwas, auf das sich Barbara beim Übersetzen einlassen musste. „Solange man die soziokulturellen und politischen Hintergründe des Konflikts nicht kennt, ist es schwierig, ein Gedicht sachgerecht zu übersetzen.“

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Es begegneten ihr noch andere Herausforderungen - zum Beispiel die Notwendigkeit, sich ihres subjektiven Blickwinkels auf die Kultur, die sie entschlüsselte, bewusst zu werden. Es fielen Begriffe wie Xenophobie, Gender und Zusammenprall der Kulturen, nicht als Vorwurf aber verknüpft mit der Aufforderung, die eigene kulturelle Prägung und eventuelle Vorurteile zu reflektieren.

Die Dichter aus Sri Lanka andererseits mussten bei der Betrachtung der sprachlichen Konstruktionen, mit denen die deutsche Lyrikerin spielte, mehrfach tief Luft holen, auch in Anbetracht der von ihr gestellten großen, existentiellen Fragen - die so ganz anders waren als das, was sie von Dichtern des frühen 20. Jahrhunderts kannten: Rilke und Brecht. Im Vergleich zu ihren eigenen Gedichten, die von Gefühl und Leidenschaft förmlich überquollen, empfand man Barbaras Gedichte als sehr vergeistigt, ganz so als fände hier ein intensives Machtspiel mit Gedanken statt.

Um Macht und Spiele ging es öfters. Zunächst dominierten rein praktische Gesichtspunkte des Machbaren. Die sinhalesischen Interlinear-Übersetzer Asoka und Nimka kamen aus Colombo, während Bruder Francis für den Workshop aus Jaffna anreisen musste. An einem der Tage wurde er weggerufen, und Asoka übernahm die Aufgabe, Barbara beim Verständnis von Sopas Gedicht Thoughts on a Full Moon Day zu helfen. Wenngleich der gemeinsame kulturelle Hintergrund hilfreich war, so gab es auch Momente, in denen Fragen und Vorschläge aus einem Bereich jenseits des Poetischen aufkamen, bei denen es um die sinhalesische Sprache und kulturelle Interpretation des Gedichts ging. Beim Übersetzen der Verse,

Aber eines Tages wurden die Götter zu Dämonen
Sie belästigten uns, die um ein Heimatland gebeten hatten,
und unsere Häuser wurden zerstört.

… erkundigten sich sowohl Asoka als auch Ari nach der Umstellung auf die wörtliche Bedeutung in einem Gedicht, das in Metaphern von Konflikt und Bürgerkrieg sprach. Asoka erklärte, dass das Wort „Heimatland“ in Deutschland negativ besetzt ist und mit Hitler in Verbindung gebracht wird und deshalb vielleicht lieber nicht verwendet werden sollte. Sopa lenkte ein und schlug vor, Barbara könnte „Heimatland“ mit „Zuhause“ übersetzen. Diese Art der Verhandlung, die es auch bei anderen Treffen häufig gab, entwickelte hier eine neue politische Machtdynamik und brachte die politische und soziale Unausgewogenheit des Landes zum Vorschein.

Die Kulturtheoretikerin Gayatri Spivak schrieb einmal, „Sprache ist nicht alles. Sie ist nur eine unverzichtbare Spur zu dem Ort, an dem das Selbst seine Grenzen verliert.“ 3 In einem Gespräch, in dem „Heimatland“ zu „Zuhause“ wurde, verlor das Gedicht seine Grenzen. Machtstrukturen wurden sichtbar, nicht nur in der Mikrostruktur dessen, was die Spieler untereinander verhandelten, sondern auch in Makrostrukturen des Verfügbaren und des Eindringens der deutschen Sprache in Sri Lanka.

Machtstrukturen sind aber dennoch keine leeren, toten Konstruktionen. Sie sind menschengemacht, und werden auch von Menschen wieder eingerissen. Künstler und Schriftsteller spielen dabei eine Schlüsselrolle: sie können auf Dynamiken der Macht Einfluss nehmen. Bei der PTP- Begegnung in Colombo wurde das mehr als einmal offensichtlich. Ari und Sopa übersetzten gegenseitig alle Gedichte, die sie zum Workshop mitgebracht hatten und sagten die Übersetzung von 50 weiteren Gedichten aus dem Tamilischen ins Sinhalesische und umgekehrt - mittels der interlinearen Übersetzungsmethode - im nächsten Jahr zu. Über diese Aussicht freute sich die Direktorin des Goethe-Instituts Colombo, Frau Dr. Petra Raymond, ganz besonders und bat ihre Partnerschaft und Unterstützung für das Projekt an.

Poets translating Poets Goethe-Institut;  Foto: Natalie SoysaFoto: Goethe-Institut / Natalie Soysa
Das Erlebte kann aber wohl nur von einem der Teilnehmer selbst adäquat in Worte gefasst werden. In seiner Publikumsansprache vor der Gedichtlesung am fünften Tag des Workshops erklärte Bruder Francis: „Während des fünftägigen Programms konnte ich beobachten, dass alle Lyriker mit ihren Gedichten versuchten, Barrieren zu durchbrechen, Mauern einzureißen und die menschliche Familie so nahe wie möglich zusammenzubringen. Die Begegnung hinterließ bei mir jedoch den Eindruck, dass wir lernen sollten, unsere Unterschiede zu zelebrieren. Wir sollten lernen, uns über die Unterschiede, die in der Natur und in der Schöpfung angelegt sind, zu freuen.“ Dazu sagen wir: Amen!

Verweise

  1. José Ortega y Gasset, “The Misery and the Splendor of Translation” (1937), trans. Elizabeth Gamble Miller. In Rainer Schulte and John Biguenet (eds) Theories of Translation: An Anthology of Essays from Dryden to Derrida, Chicago: University of Chicago Press, 1992, S. 93–112. Copyright © 1992 by The University of Chicago.
  2. Alle drei Gedichtauszüge sind folgendem Band entnommen: cor responde. Gedichte deutsch/portugiesisch. Gemeinsam mit Ueli Michel (fotos/farben). Publisher: pict. Im, Duisburg & Berlin, 1998. Translation: 2011, Donna Stonecipher
  3. Gayatri Spivak, “The Politics of Translation.” In Gayatri Spivak, Outside in the Teaching Machine, London and New York: Routledge, 1993.

Rashmi Dhanwani
Übersetzung Claudia Richter