unrest 62|22 --- Wider Opas Kino - Filmemacherinnen 62|22
Das Goethe-Institut Tokyo feiert im Jahr 2022 seinen 60. Geburtstag. Der Beginn seiner Aktivitäten im Bereich des deutsch-japanischen Kulturaustausches in Tokyo 1962 fällt in eine Zeit, in der sowohl auf politischer und gesellschaftlicher wie auch auf kultureller Ebene Strukturen ins Wanken kommen, die sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in beiden Ländern verfestigt hatten. Im Bereich der Künste werden sowohl ästhetische Normen wie auch eingefahrene Produktionsstrukturen zum Teil radikal hinterfragt und neu definiert.
Unter dem Titel „unrest 62|22“ blickt das Goethe-Institut mit einer interdisziplinären Themenreihe aus zeitgenössischer Perspektive auf diese Zeit der produktiven Unruhe zurück. Den Auftakt bildet die simultan in Oberhausen und Tokyo stattfindende Premiere zweier Auftragswerke der Filmemacherinnen Kaori Oda und Sylvia Schedelbauer. In ihren neuen Filmen beziehen sich die beiden Regisseurinnen aus heutiger Sicht auf die filmische Avantgarde der 1960er Jahre, und setzen der sowohl in Japan wie in Deutschland von Männern dominierten Szene dieser Zeit einen anderen Blick entgegen, der über die Rolle der Frauen damals und heute phantasiert. Nach der Filmpremiere werden die beiden Kinosäle in Oberhausen und Tokyo online zusammengeschaltet, und die Filmemacherinnen kommen ins Gespräch.
Zu den Auftragswerken
Kaori Oda: Karaoke Cafe BOSA
© Kaori Oda
Der März 2022 war eine Zeit des Nachdenkens, was ich als Künstlerin produzieren könnte. Die Covid-19-Pandemie dauert immer noch an. Russland ist in die Ukraine einmarschiert. Der Alltag unzähliger Menschen wurde zerstört, täglich werden Menschen getötet. Zahllose Menschen, die alle einen Namen tragen, werden von anderen Menschen ihres Lebens beraubt. Das sehe ich in den Nachrichten oder in den sozialen Medien, während ich in Japan meinen Alltag lebe. Das Geschehen ist zu weit weg, meine Gemütsverfassung findet keinen Ort, mir entgleitet der Boden unter den Füßen. In diesem Zustand habe ich diesen Kurzfilm gedreht. Seit mehreren Jahren beschäftige ich mich in meinen Langfilmen mit den Lebensspuren von Menschen, die existieren oder existiert haben, und den Erinnerungen, die mit diesen Existenzen verwoben sind. Diesen Ansatz habe ich diesmal in Bezug auf Produktion und Dreh in noch persönlicherer Form als bisher weiterverfolgt. Das Karaoke Cafe BOSA in der Vorstadt Osakas ist der Arbeitsplatz meiner Mutter. Es ist ein Ort, wo sich ältere Leute aus der Nachbarschaft treffen. Mein Wunsch war es, mit „BOSA“ eine Art Zeitkapsel zu schaffen, die mit brennender Hoffnung auf die Zukunft gefüllt ist. (Kaori Oda, 29.3.2022)
Japan, 2022, 13 min, digital
Sylvia Schedelbauer: Am Anfang War die Frau Die Sonne
© Sylvia Schedelbauer
Dieser Experimentalfilm ist eine persönliche Hommage an japanische Sufragetten und Feministinnen, und an die Sonne, die in ihnen scheint. Inspiriert wurde die Arbeit von einem zukunftweisenden Zitat: „Im Anfang war die Frau die Sonne“. Eine wahrhaftige Person. Jetzt ist die Frau der Mond. Sie lebt in Abhängigkeit von anderen und reflektiert deren Brillanz. Sie hat das Gesicht des Mondes und dessen ungesunde Blässe. Nun muss sie ihre versteckte Sonne wieder herstellen“ (Raicho Hiratsuka, 1911).
Diese Arbeit ist ein Auftragswerk zum 60. Geburtstag des Goethe-Instituts Tokyo, der mit der japanischen New Wave und dem Oberhausener Manifest zusammenfällt. An mich wurde der Wunsch herangetragen, zu reflektieren, was diese Manifeste aus heutiger Perspektive bedeuten könnten. Ich habe mich entschieden, Frauen zu fokussieren, die in beiden Kontexten unterrepräsentiert sind. Dabei verwandelte sich die Arbeit in eine persönliche Hommage an japanische Sufragetten und Feministinnen. Es ist eine Anerkennung und Würdigung ihrer Kämpfe, in der Vergangenheit und der Gegenwart, für die Schaffung einer gerechteren Gesellschaft. (Sylvia Schedelbauer)
Deutschland, 2022, 17 min, digital
Warnung an Personen mit photosensitiver Epilepsie: Dieser Film enthält ausgedehnte stroboskopische Lichteffekte.
Biographien
Kaori Oda
© Kaori Oda
1987 in Osaka geboren. Filmemacherin/Künstlerin.
In ihren Arbeiten erforscht sie die Erinnerungen von Menschen durch Bilder und Klänge.
Ab 2013 lebte sie drei Jahre lang in Sarajevo, wo sie bei Bela Tarr studierte und einen Doktor phil. im Fach Filmemachen erwarb. Ihr erster Spielfilm ARAGANE (2015) wurde in einer Kohlemine in Bosnien gedreht. Der Film hatte im Rahmen des Yamagata International Film Festival Premiere und erhielt dort eine Lobende Erwähnung. Er wurde danach auf verschiedenen Festivals gezeigt, unter anderem bei Doclisboa, beim Mar del Plata International Film Festival, beim Sarajevo Film Festival und dem Taiwan International Documentary Film Festival. Oda war Trägerin eines Stipendiums für junge Künstler*innen der Pola Art Foundation. Ihr zweiter Spielfilm “Toward A Common Tenderness” (2017), eine poetische Filmrecherche, feierte seine Weltpremiere bei DOK Leipzig. Ihren unter Wasser in Yucatan (Mexico) gedrehter neuester Film “TS'ONOT/Cenote” (2019) wurde in der Sektion “Bright Future” beim Rotterdam International Film Festival gezeigt.
Im Jahr 2020 wurde sie mit dem ersten Nagisa Oshima Preis ausgezeichnet, 2021 mit dem New Face Award des Minister of Education Award for Fine Arts in 2021.
Sylvia Schedelbauer
© Sylvia Schedelbauer
Lebt seit 1993 in Berlin. Ihre Filme verhandeln den Raum zwischen großen historischen Narrativen und dem Bereich des Persönlichen bzw. der Psychologie, hauptsächlich durch poetische Manipulationen gefundenen und Archivmaterials. Ihre Filme wurden unter anderem bei der Berlinale, dem Toronto International Film Festival, den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen, dem London Film Festival, dem New York Film Festival und dem Robert Flaherty Film Seminar gezeigt. Ihre Auszeichnungen umfassen den VG Bildkunst Preis, den Preis der deutschen Filmkritik und den Gus van Sant Award für den besten Experimentalfilm. 2019/2020 war sie Fellow am Radcliff Institute for Advanced Study der Harvard University.
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