Filmvorführung und Gespräch Das Oberhausener Gefühl

 © Alexander Kluge

So, 18.09.2022

11:00 Uhr – 19:00 Uhr

Goethe-Institut Tokyo, Saal

unrest 62|22

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„Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen.“ Mit diesem prägnanten Satz schließt das Oberhausener Manifest, das am 28.2.1962 von 26 jungen deutschen Filmemachern veröffentlicht wurde. Im Zuge eines radikalen Schnitts mit dem Kino der Nazizeit forderte das Manifest eine komplette Erneuerung des Systems der Filmproduktion – reklamiert wurden ein neues Ausbildungssystem, eine neue Form der Filmförderung, und die Anerkennung des Mediums Film als Kunst. In den folgenden Jahrzehnten erlebte der Neue Deutsche Film mit Autorenfilmer*innen wie Fassbinder, Herzog, Schlöndorff und Wenders die auch international zu Weltruhm gelangten, eine neue Blüte.
Doch wie ist es heute, 60 Jahre später, um die Bedingungen der Filmproduktion und die Filmkunst bestellt? Max Linz gibt seiner Serie „Das Oberhausener Gefühl“, die zum 50-jährigen Jubiläum des Oberhausener Manifests entstanden ist, den Untertitel „eine „Depressentation in 10 Folgen“ und beschreibt damit eindrücklich die Gemütslage eines angehenden Filmemachers im Angesicht der schwerfälligen Mühlen der Filmförderung.

Welche Perspektiven hat der Film als künstlerisches Medium heute, wenn er sich gegen die Vereinnahmung durch kommerzielle Zwänge behaupten will? Welche neuen Formen des filmischen Ausdruckes sind es heute, die dem Film eine neue Zukunft jenseits des stromlinienförmigen Massenentertainments eröffnen können?

Mit dem Themenschwerpunkt „Das Oberhausener Gefühl“ beleuchtet das Goethe-Institut Tokyo, das 1962 - im Jahr des Oberhausener Manifests - seinen Betrieb aufnahm, die heutige Relevanz der vor 60 Jahren vorgebrachten Forderungen zur Erneuerung des Films.
Damit schließen wir unsere Reihe unrest 62|22 ab, die aus Anlass des 60- jährigen Bestehens des Goethe-Institut Tokyo aufgelegt wurde.

 

ProgramM

Uhrzeit  Programm
11:00 Alexander Kluge: Artisten in der Zirkuskuppel ratlos (1968), 103 min
14:00 Christoph Schlingensief: “Die 120 Tage von Bottrop” (1997), 60 min
15:30 Max Linz: Das Oberhausener Gefühl (2012), (5 von 10 Folgen, Gesamtdauer: 35 min) + Gespräch mit dem Regisseur (mit konsekutiver Übersetzung)
17:30 Georg Seeßlen: Die Zukunft des Kinos – 60 Jahre nach dem Oberhausener Manifest) Anschließend Gespräch mit  Georg Seeßlen, Alex Zahlten und Go Hirasawa (mit Simultanübersetzung)

11:00 Alexander Kluge: Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos

  © Alexander Kluge Die Artistin Leni Peickert möchte nach dem Tod ihres Vaters, einem Trapezkünstler, dessen Ideen von einer neuartigen Form des Zirkus in die Realität umsetzen. An die Stelle von Kontrolle, Dressur und das Anheizen der Sensationslust des Publikums soll ein Reformzirkus treten, der unter dem Primat der Natürlichkeit dem politischen und sozialen Fortschritt verpflichtet ist. Doch als nach vielen Mühen und Widerständen endlich die Mittel für die Realisierung bereitstehen, kommt Leni Peickert das Selbstvertrauen abhanden. Sie gibt die Umsetzung des groß angelegten Projekts auf und entscheidet sich, ihren Idealen in kleinen Schritten als Fernsehmacherin und Buchautorin näherzukommen.
Lenis Bemühungen für eine Kunst unter neuen Prämissen werden in diesem Film-Essay mit einer Fülle von Assoziationen, Montagen, Wort- und Bildzitaten, Wochenschauausschnitten, dem Wechsel von Farbe zu Schwarz-Weiß, asynchronem Ton und mitunter überlappenden Tonsequenzen dargestellt. Mit diesem herausfordernden Film, der als offener Dialog mit dem Zuschauer angelegt ist, gewann Alexander Kluge bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig den Goldenen Löwen.
Noch vor dem Höhepunkt der Revolutions- und Fortschrittsbegeisterung unter den jungen Intellektuellen Europas gedreht, lässt sich der Film als eine Parabel über die Desillusionierung der Reformer gegenüber ihren Möglichkeiten und denen der Kunst verstehen.

DE 1968 | Regie: Alexander Kluge | Mit: Hannelore Hoger, Siegfried Graue, Alfred Edel | 103 Minuten
16mm, Deutsch mit japanischen Untertiteln

14:00 Christoph Schlingensief: Die 120 Tage von Bottrop

 © Christoph Schlingensief Die letzten Überlebenden der alten Fassbinder-Zunft tun sich zusammen, um auf dem Potsdamer Platz den wirklich allerletzten Neuen Deutschen Film, ein Remake von Pasolinis "120 Tage von Sodom" zu drehen. Schlingensief soll Regie führen, wird aber von einem gewissen "Sönke Buckmann" ersetzt, dem prompt Katja Riemann den Bundesfilmpreis überreicht.
Das Enfant Terrible der deutschen Film- und Theaterszene, Christoph Schlingensief, legt 1997 mit „Die 120 Tage von Bottrop“ einen furios anarchischen Kommentar auf die Situation des deutschen Kinos vor. In einer wahnwitzigen Tour-De-Force aus Zitaten und Anspielungen entsteht ein Film, der zugleich Hommage und Abgesang an Fassbinder, an die Exzentrik und an den Wahnsinn einer längst vergangenen Zeit ist – und ein harter Schlag gegen die deutsche Filmkunst. Die Besetzung versammelt zahlreiche Kultfiguren des deutschen und internationalen Autorenkinos, unter anderem die Fassbinder-Schauspieler*innen Margit Carstensen, Irm Hermann und Volker Spengler, sowie Filmikone Helmut Berger und Pornostar Kitten Natividad.

DE 1997 | Regie:Christoph Schlingensief | Mit: Margit Carstensen, Irm Hermann, Volker Spengler, Udo Kier, u.a. | 60 min
BD, Deutsch mit japanischen Untertiteln

15:30 Max Linz: Das Oberhausener Gefühl

 © Max Linz Folge 1-3, 8, 10 (Dauer: 35 min)
Mit Einführung durch den Regisseur und Gespräch nach der Filmvorführung
 
Die Internetserie „Das Oberhausener Gefühl“ von Max Linz ist ein Auftragswerk der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen zum 50. Jubiläum des Oberhausener Manifests im Jahr 2012. 50 Jahre nach der Veröffentlichung des Oberhausener Manifests erforscht der Regisseur, zu diesem Zeitpunkt noch Studierender an der DFFB, was von den filmischen Aufbrüchen, die das Manifest ab den 1960er Jahren in Gang setzte, heute noch übrig ist. Er hinterfragt die Produktionsbedingungen von Filmkunst in einer Gegenwart, wo die von den Oberhausenern kritisierten Kinokonventionen und finanziellen Zwänge von einer neoliberalen Wirtschaftslogik abgelöst worden sind.
Max Linz gilt als wichtiger Vertreter einer Richtung im jungen deutschen Film, die oft als „Diskurs-Pop-Kino“ beschrieben wird. Die Protagonist*innen sind bekannt für einen spielerischen, oft satirischen oder ironischen Umgang mit politischen Theorien und Diskursen. Auf der Suche nach einem neuen Kino abseits der Illusionsmaschine balancieren sie zwischen dem Erbe politischer Ideologien, den prekären Arbeitsverhältnissen der Berliner Republik und der Suche nach neuen Ausdrucksformen.

Die zehnteilige Internetserie wurde ursprünglich vom 21.Februar bis 24.April 2012 in wöchentlicher Folge auf der Website zum 50. Jubiläum des Oberhausener Manifests ausgestrahlt.

DE 2012 | Regie: Max Linz | Internetserie | Gesamtdauer: 70 min (alle 10 Folgen)
Deutsch mit japanischen Untertiteln

17:30  Die Zukunft des Kinos – 60 Jahre nach dem Oberhausener Manifest - VORTRAG VON GEORG SEEsslen

Georg Seeßlen ist einer der renommiertesten Film- und Kulturkritiker im deutschsprachigen Raum. Charakteristisch für sein umfangreiches Schaffen ist die Reflexion von Film und Medienkultur im Kontext politischer Entwicklungen. Seeßlen verfasste zahlreiche Monografien zu Regisseuren, Schauspielern und Filmgenres und bezieht essayistisch oder in mehrbändiger Buchform zu kulturellen und politischen Themen kritisch Stellung. In letzter Zeit beschäftigt er sich auch intensiv mit den Auswirkungen der Corona-Krise auf die Sphäre der Kultur, unter anderem in dem Band: „Die zweite Welle: Corona & Kultur: Eine Ästhetik der Krise – Eine Krise der Ästhetik“ (2021). Im März 2021 veröffentlichte er ein Manifest mit dem Titel „Für ein Kino nach Corona“, in dem er eine neue Kinobewegung einfordert, die er als „kollektiv, interdisziplinär, kosmopolitisch und unabhängig“ beschreibt.
In seinem Vortrag „Die Zukunft des Kinos – 60 Jahre nach Oberhausen“ spannt Seeßlen einen Bogen von den Forderungen des Oberhausener Manifests zur heutigen Situation des Kinos, dessen Paradigmen seit der Corona-Krise wieder elementar ins Wanken gekommen sind.

Anschließend Gespräch mit Georg Seeßlen, Alex Zahlten und Go Hirasawa (mit Simultanübersetzung)

 

Sprecher

Max Linz absolvierte zunächst ein Studium der Filmwissenschaft an der Freien Universität Berlin und der Sorbonne Nouvelle Paris III sowie Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin studiert. Filmografie: Die Finanzen des Großherzogs Radikant Film (2011), Das Oberhausener Gefühl (2012), Ich will mich nicht künstlich aufregen (2014), Weitermachen Sanssouci (2019).

Georg Seeßlen, geboren 1948, studierte Malerei, Kunstgeschichte und Semiologie in München. Er war Dozent an verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland und arbeitet heute als freier Autor unter anderem für "Die Zeit", "taz", "epd-Film", "Freitag" etc. und als Kurator von Film/Kunst- Reihen und Ausstellungen. Außerdem hat er rund zwanzig Filmbücher geschrieben. Zusammen mit Markus Metz arbeitet er an Radio-Features und Hörspielen.


Prof. Dr. Alex Zahlten ist Professor bei Harvard University, Department of East Asian Languages and Civilizations. Zahlten promovierte in Film- und Medienwissenschaft an der Johannes Gutenberg Universität Mainz zur Geschichte des japanischen Films von den 1960er Jahren bis zu den 2000ern. Seit 2012 ist er Assistant Professor am Department of East Asian Languages and Civilizations an der Harvard University. In seiner Forschung befasst sich Prof. Zahlten mit der zunehmenden Vernetzung von Film und anderen Medien seit den 1960ern Jahren, vornehmlich im japanischen und weiteren ostasiatischen Kontext.

Go Hirasawa ist Kurator und Researcher an der Meiji Gakuin University. Sein Spezialgebiet sind Underground und Experimentalfilme sowie Avantgardebewegungen der 1960er und 1970er Jahre in Japan. Zu seinen bisherigen Publikationen gehören Fassbinder (Tokyo, 2005), Cultural Theories: 1968 (Tokyo, 2010), Koji Wakamatsu: Cinéaste de la Révolte (Paris, 2010), and Japanese Expanded Cinema and Intermedia: Critical Texts of the 1960s (Berlin, 2020), among others. Er kuratierte und organisierte Filmprogramme des japanischen Avantgarde- und Undergroundkinos unter anderem the Cinematheque Francaise, The Museum of Modern Art, New York, der Tate Modern, dem Rotterdam International Film Festival and dem Goethe-Institut Tokyo.

 

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