Märchen des späten 19. Jahrhunderts

Der Brandner-Kasper: Urbayerischer Kultstoff

Vordere Scharnitzalm im Herbst 2007 als Kulisse für den Kinofilm „Der Brandner Kaspar“, Jost Gudelius, Public DomainVordere Scharnitzalm im Herbst 2007 als Kulisse für den Kinofilm „Der Brandner Kaspar“, Jost Gudelius, Public DomainMit seiner „G’schicht’ vom Brandner-Kasper“ schrieb der Mundartdichter Franz von Kobell 1871 Kulturgeschichte. Noch heute begeistert der bayerische Stoff unzählige Theaterbesucher.

Nur wenige Seiten lang ist Franz von Kobells „G’schicht’ vom Brandner-Kasper“, als sie 1871 in den Fliegenden Blättern erscheint. Die im bairischen Dialekt verfasste Fabel handelt vom Brandner-Kasper, einem Schlosser und Büchsenmacher vom Tegernsee, der meint, dem Tod ein Schnippchen schlagen zu können. Seither bereichert die Erzählung vom gewagten Deal mit dem Tod die bayerische Kulturlandschaft: Diverse Male wurde der unterhaltsame Stoff bereits für das Theater aufbereitet, außerdem zweimal verfilmt.

Der Deal mit dem Tod

„Der Brandner Kaspar und das ewig’ Leben“ von Kurt Wilhelm, Regie: Manfred Cambruzzi, Theater Purkersdorf, Open Air Produktion am 9.Juli 2011 in Göstling an der Ybbs, CC BY-SA 2.0Der Brandner-Kasper ist einer von der ganz schlauen Sorte: Mit seinen 75 Lenzen, so ist der gewitzte Witwer der Ansicht, sei er noch viel zu rüstig, um zu sterben. Und überhaupt, erklärt er dem Herrn Gevatter, als der ihn abholen will, schieße und jage er noch wie ein Großer. Mit so viel Widerstand hat der Boandlkramer, wie der Tod in der pfiffigen Erzählung heißt, beim besten Willen nicht gerechnet. Dass Dichter Franz von Kobell (1803–1882) augenscheinlich wenig Respekt vor ihm hatte, belegt nicht nur die despektierliche Bezeichnung Boandlkramer, auf Hochdeutsch: Knochenhändler. Auch sonst lässt der bayerische Mundartdichter den Tod im Wortduell mit dem schlagfertigen Alten ziemlich alt aussehen. Mit einem Kirschgeist nach dem anderen macht der Brandner-Kasper den „zaundürren Kerl“ erst betrunken, um sich dann beim Kartenspiel 15 weitere Lebensjahre zu ergaunern.

Doch da hat sich der Brandner-Kasper zu früh gefreut: Durch einen blöden Zufall fliegt der Schwindel an der Himmelspforte auf. Der Portner, also Petrus, ist alles andere als erfreut über derartige Absprachen und zitiert den kleinlauten Boandlkramer zu sich. Das bringt den Tod ganz schön in Bedrängnis! Vom Portner beauftragt, die Sache gerade zu biegen, plagt ihn das schlechte Gewissen gegenüber dem Brandner-Kasper. Wenigstens „auf a Stündl“ solle er doch mal ins Paradies schauen, schlägt der Boandlkramer dem Alten vor. Zum Glück gefällt es dem Brandner-Kasper zwischen all den Engeln so gut, dass er beschließt, schon vor der ausgehandelten Zeit dort zu bleiben.

Franz von Kobell: Mundartdichter der ersten Stunde

Porträtierte sich der bayerische Dichter und Mineraloge mit dem Brandner-Kasper ein Stück weit selbst? Durchaus. Immerhin befindet sich von Kobell, als er die Geschichte schreibt, bereits in fortgeschrittenem Lebensalter und gilt – eine weitere Parallele zum Brandner-Kasper – als leidenschaftlicher Jäger. Trotz seines Adelsprädikats und der hervorragenden Verbindungen zu Maximilian II. – der bayerische König schätzte von Kobell nicht nur als Jagdkumpanen – soll der bayerische Dichter zeit seines Lebens mit Aristokratie wenig am Hut gehabt haben. Zeitzeugen beschreiben ihn eher als Naturburschen im Lodenjankerl denn als standesbewussten Frackträger.

Der Tegernsee von Bad Wiessee aus photographiert, 30. März 2008, Foto: Florian Schott, CC BY-SA 2.5Auf dem Land fühlt sich von Kobell offenbar am wohlsten: Die Gegend um den Tegernsee, heute eine der beliebtesten Urlaubsregionen Deutschlands, ist ihm vom „Jagern“ bestens vertraut. Wer verstehen will, welche Faszination der malerische Landstrich auf von Kobell ausübte, kehrt bei einer Wandertour in der urigen Gindelalm ein, die schon im Brandner-Kasper Erwähnung findet. In jeder freien Minute unternimmt der Dichter und Mineraloge Streifzüge in die umliegenden Berge, von denen er nicht nur Gesteinsproben, sondern auch Volksweisen mitbringt. Besonders die „Gstanzl“, aus dem Stehgreif improvisierte Liedchen, haben es von Kobell angetan. Als Vollblutbayer publiziert Franz von Kobell, der zu den Pionieren der Mundartdichtung zählt, bevorzugt auf bairisch, da aber sein Vater aus Mannheim stammt, versucht er sich auch im Pfälzer Dialekt. Seine ungekünstelten, naturverbundenen Gedichte, die um Themen wie Jagd und die Welt der Berge kreisen, kommen in München gut an: Unter dem heimatliebenden König Maximilian II. war bayerisches Brauchtum Mitte des 19. Jahrhunderts zur Stärkung des Nationalgefühls ziemlich gefragt.

Theaterinszenierungen

Heute zählt „Die G’schicht’ vom Brandner-Kasper“ zu den Klassikern der bayerischen Dichtung. Ohne stilistische Umschweife fand Franz von Kobell den direkten Zugang zu den Herzen der Leser. Seine kurzweilige Erzählung für die Bühne aufzubereiten, lag da nahe – zumal die Szene mit dem Boandlkramer bereits dialogischen Charakter aufweist. Die berühmteste Theaterversion schuf mit Kurt Wilhelm übrigens ein direkter Nachfahre von Kobells. In seine legendäre Fassung Der Brandner Kaspar und das ewig’ Leben ließ der Münchner Autor und Regisseur zahlreiche Formulierungen aus der Prosa seines Ururgroßonkels einfließen. Wilhelms Ansatz, die Worte Franz von Kobells im Original zu belassen, schlägt bei der Uraufführung 1975 ein wie eine Bombe. Innerhalb der ersten sieben Monate ist das Theaterstück insgesamt 50-mal ausverkauft – für Wilhelm der Beweis, dass das alte Bayern nach wie vor eine feste Fangemeinde hat.

„Der Brandner Kaspar und das ewig’ Leben“ von Kurt Wilhelm, Regie: Manfred Cambruzzi, Theater Purkersdorf, Open-Air-Produktion am 9.Juli 2011 in Göstling an der Ybbs/Österreich, CC BY-SA 2.0Kurt Wilhelm sollte Recht behalten. Über 900-Mal ging seine Version vom Brandner-Kasper über die Bühne und machte die urbayerische Geschichte zum Kultstoff. 2005 machte sich das Münchner Volkstheater an eine Neuinszenierung und schlug insofern neue Wege ein, als es den Boandlkramer mit dem damals erst 26-jährigen Maximilian Brückner jugendlich besetzte. Für die Leinwand wurde der Stoff bislang zweimal bearbeitet: Für den Spielfilm Der Brandner Kaspar schaut ins Paradies (1949) kam die Dramatikerin Erna Fentsch auf die geniale Idee, die Szene im Himmel bayerisch zu gestalten. 2008 begeisterte ein urkomischer Michael „Bully“ Herbig, aktuell einer der wichtigsten deutschen Komiker, in der Rolle des Boandlkramers die Kinobesucher.

Die Geschichte vom Brandner-Kasper ist ein Abgesang auf jegliche Schwermut und vertreibt das Schreckgespenst des Sterbens vor allem dadurch, den Tod mit menschlichen Zügen auszustatten. Gerade in Zeiten, in denen es so schwerfällt, den Kreislauf von jung und alt zu akzeptieren, hat die Geschichte etwas ungeheuer Beruhigendes. Darin liegt ihre Stärke. Und gewiss auch ihr Erfolg.

Franziska Gerlach
arbeitet als freie Autorin und Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache in München.

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März 2012

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