Moderne Märchen

Franz Fühmann: Das ideale Publikum sind die Kinder

Franz Fühmann, Schriftsteller DDR, März 1973, Deutsches Bundesarchiv (German Federal Archive), Bild 183-M0323-0300, Foto: Katscherowski (verehel. Stark), CC-BY-SAFranz Fühmann, Schriftsteller DDR, März 1973, Deutsches Bundesarchiv, Bild 183-M0323-0300, Foto: Katscherowski (verehel. Stark), CC-BY-SAFranz Fühmann schrieb einige der fantasievollsten und heitersten Märchen des 20. Jahrhunderts – einige davon auch auf explizite Bestellung von Kindern. Ein wichtiges Anliegen war für ihn außerdem, Kinder an die großen Stoffe der Weltliteratur heranzuführen: Antike Mythen, mittelalterliche Sagen und Shakespeare erzählte er für Kinder neu.

„Die Kinder sind das dankbarste, das intelligenteste, das kritischste, das verständigste, das aufgeschlossenste, das sachkundigste, kurzum, das ideale Publikum.“ So überschwänglich lobte der Schriftsteller Franz Fühmann sein Lieblingspublikum. Dieses lag ihm so am Herzen, dass er die vielleicht erste Märchenerzählfirma der Welt gründete: Er verfasste Märchen auf Bestellung. Fühmann begann „Kundenwünsche“ anzunehmen, weil seine Enkelin Marsha ihn dazu aufforderte. Er hätte keine Geschichte für neunjährige Kinder? Dann, so Marsha, möge er eben extra eine schreiben. „Zum Beispiel über eine feuerspeiende Fee.“ Und so entstand das Märchen von der Fee, die Feuer speien konnte. Fühmann entführt die Leser in einen Wald, in dem es nie schneit, „hinter dem zweiundzwanzigsten Hügel zwischen Sachsen und Mecklenburg.“ Dort wohnt die Fee Anna Susanna Lachdochmal, die „lustig und luftig und duftig“ die Wolken zum Lachen bringt, so dass Schnee immer nur als Regen fällt. Bis der Winterkönig garstig wird und Kälte und Eis schickt. Aus der Not lernt die Fee nun das Feuerspeien vom benachbarten Drachen. Ebenfalls auf Bestellung entstanden ist das Märchen von Anna Humpelbein, einer Hexe, die humpelt und dann doch schneller laufen kann als alle anderen Fabelwesen. Ein Mädchen mit Behinderung hatte sich diese Geschichte gewünscht.

Großer Erfindungsreichtum

Buchcover „Das Wintermärchen“ von Franz Fühmann, Hinstorff-Verlag Dass ihm das Schreiben für Kinder unheimlichen Spaß machte, merkt man Fühmanns Geschichten an. Sie sprühen geradezu vor Sprachwitz, Humor, Fantasie und Heiterkeit. Wenn Pflanzen namens Liebnurmich und Vergisswaswar ihren Auftritt haben, zaubert sich ein Schmunzeln auf des Lesers Gesicht. Fühmann begann seine Schreibkarriere als Lyriker und stilsicher gelang es ihm, seinen poetischen Erfindungsreichtum auch in die Prosa zu übertragen. Bekanntheit erlangte er allerdings vor allem als Prosaautor und Essayist. Dabei sind sowohl sein Lebensweg als auch sein Weg als Schriftsteller vielfach gebrochen. Dieser Lebensweg steht, so der Fühmann-Experte Uwe Wittstock, exemplarisch für das Erleben eines Intellektuellen im 20. Jahrhundert. Erst relativ spät und durch viele Umwege wurde Fühmann zu einem konsequenten Kritiker der DDR.

„Einmal die Ideologien des 20. Jahrhunderts und zurück, bitte.“

Buchcover „Die Sage von Trojas Fall“ von Franz Fühmann, Hinstorff-Verlag Geboren 1922 in Rochlitz an der Isar (heute Rokytnice nad Jizerou, Tschechien), lebte er nach dem Krieg bis zu seinem Tod 1984 in Ostberlin. Obwohl er in einem religiösen Haushalt aufgewachsen war, wurde er Atheist. Danach folgte eine Begeisterung für den Nationalsozialismus; als Kriegsgefangener in der Sowjetunion erzog man ihn zum Stalinisten um. Nach dem Krieg ging er in die DDR und half beim Aufbau des neu gegründeten Staates. In den 1950er- und 1960er-Jahren gehörte er dort zu den parteitreusten Schriftstellern. Die Zwiespälte zwischen Ideologie und Wirklichkeit blieben ihm allerdings nicht lange verborgen und so folgte schließlich die letzte Wandlung: Er wurde einer der profiliertesten und ehrlichsten Kritiker der DDR. Rechenschaft über diesen inneren Wandlungsprozess legte er in seinem Werk ab. Das Schreiben für Kinder, so sagte es Fühmann einmal selbst, stand in Kontrast zu diesem mühsamen, schmerzvollen Prozess. Dieses Schreiben ging ihm leicht von der Hand, es diente ihm als „Erholung“.

Shakespeare für Kinder

Ein wichtiges Anliegen war ihm dabei, berühmte Stoffe der Weltliteratur für Kinder verständlich zu machen und sie schon früh für die großen Texte zu begeistern. Angefangen bei antiken Mythen wie Troja und Odysseus (Das hölzerne Pferd, Irrfahrten des Odysseus), über mittelalterliche Sagen wie dem Nibelungenlied oder Reineke Fuchs, bearbeitete er auch Shakespeares Dramen. Nur „weil Kinder abends nur selten ins Theater dürfen und Theaterstücke meist nicht gern lesen“, dürfe man ihnen Theaterstücke nicht vorenthalten. So begann Fühmann, sie kindgerecht aufzuschreiben.

Ein Besuch im Elfenreich

Buchcover „Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus“, Hinstorff-Verlag Besonders die späten, märchenhaften Dramen Shakespeares hatten es ihm dabei angetan. Seine Begeisterung für diese Stoffe schwingt in den Texten ständig mit und so entstehen vor den inneren Augen der Kinder lebendige Märchenlandschaften aus Das Wintermärchen oder Ein Sommernachtstraum. In poetischer, einfühlsamer Sprache nimmt Fühmann die Kinder mit in das Reich der Elfen. Erzählt von Oberon und Titania und dem großen Unglück, dass sie aufgrund ihrer Streitereien den Menschen bringen. Erklärt die verzwickten Beziehungen und Verwechslungen zwischen Hermia, Lysander und Helena im alten Athen. Fühmann verliert dabei nie den Bezug zu der Welt, die die Kinder aus dem Hier und Jetzt kennen und versteht es, sie auch für historische Wandlungen zu sensibilisieren. Wichtig ist Fühmann ebenso, das entsprechende Hintergrundwissen zu vermitteln. Er erklärt im Anhang, was für ein Land England damals war und welche Rolle Shakespeare darin hatte, ohne dabei je oberlehrerhaft zu wirken. So schafft es Fühmann, Kindern Shakespeare verständlich und ihnen Lust auf Mehr zu machen.

Neuentdeckung Fühmanns

Fühmanns Bekanntheit ist vor allem in Ostdeutschland groß. Trotzdem waren seine Werke lange Zeit nur antiquarisch erhältlich. Der Rostocker Hinstorff-Verlag, der zu Lebzeiten Fühmanns seine Kinderbücher veröffentlichte, macht sich jetzt wieder neu um den Autor verdient. So erschien hier eine autorisierte Werkausgabe; seit 2002 werden außerdem viele der Märchen neu aufgelegt. Elke Heidenreich, eine der bekanntesten Literaturkritikerinnen in Deutschland, las die Märchen auf Bestellung für eine Audiobook-Veröffentlichung ein und weckte so das gesamtdeutsche Interesse für den Dichter. So kann sich nicht nur das „ideale Publikum“ auch heute noch an diesen wunderschönen Märchen erfreuen.
Gitte Zschoch
ist Literaturwissenschaftlerin und Koreanistin und seit 2010 am Goethe-Institut beschäftigt.

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März 2012

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