Märchen aus aller Welt

Die vier Freunde (Indien)

colourbox.comIn einem kleinen Dorf gab es einmal vier Freunde. Sie hatten seit ihrer Kindheit eine enge Freundschaft und deshalb verbrachten sie viel Zeit miteinander. Drei von den vier Freunden waren sehr stolz auf ihr Wissen. Sie hatten viele Fächer studiert und dachten, dass sie alles wüssten.

Der vierte Freund, der Gopal hieß, hatte nicht so viele Bücher gelesen. Aber er besaß eine besondere Eigenschaft. Er hatte einen guten Alltagsverstand. Eines Tages diskutierten die Freunde über ihre Zukunft. “Es ist höchste Zeit, dass wir der Welt unseren Wert zeigen und etwas Geld verdienen”, sagte der erste Freund. „Es lohnt sich nicht in diesem öden Dorf zu bleiben. Wir müssen in andere Länder reisen und einflussreiche Menschen kennenlernen, die uns gut bezahlen werden, wenn wir ihre schwierigen und rätselhaften Fragen beantworten können“, sagte der zweite Freund. „Das ist eine gute Idee!“, stimmte der dritte Freund zu. “Dann werden wir vielleicht auch vom König anerkannt.“

Aber der erste Freund sah Gopal etwas irritiert an und sagte: “Wie können wir uns hochgebildet nennen, wenn wir mit diesem blöden und ungebildeten Menschen zusammen sind? Ich schlage vor, dass wir ihn zurücklassen.” Der zweite sagte: “Das stimmt! Er würde nur unsere Chancen verderben. Es macht wirklich keinen Sinn ihn mitzunehmen.” Aber der dritte Freund protestierte: “Wir sollten das nicht tun. Wir sind doch gute Freunde. Wir müssen ihn mitnehmen.”

Am nächsten Tag waren alle vier unterwegs. Sie gingen durch den Wald und plötzlich stolperte der erste Freund über irgendetwas, das wie Tierknochen aussah. “Wartet! Hier ist eine ideale Chance, um unser Wissen zu testen. Kommt, erwecken wir diese Knochen zum Leben! Ich mit meinem reichen Wissen”, erzählte er stolz, “weiß, wie die Knochen rekonstruiert werden.”

Der zweite sagte schnell: „Dazu kann ich Haut, Fleisch und Blut beschaffen.” „Aber nur ich allein”, unterbrach der dritte Freund, “kann das Tier zum Atmen bringen.” So arrangierte der erste Freund die Knochen und der zweite beschaffte die Haut, das Fleisch und das Blut. Aber als der dritte Freund das Tier zum Leben erwecken wollte, schrie Gopal: “Hört auf! Könnt ihr, kluge Männer, euch vorstellen, was ihr da gerade erschafft?” “Das ist ein Löwe.” “Ihr solltet das Tier nicht zum Leben erwecken!” “Doch, genau das werde ich tun!”, missachtete der dritte Freund Gopals Rat. “Ich kann und ich will!” „Aber dann wartet einen Augenblick“, sagte Gopal, während er auf den riesigen Banyan-Baum stieg. Der dritte Freund sprach dann den Zauberspruch: “JANTRAMANTRA, steig, oh Löwe!” Langsam bewegte sich das Biest und begann zu leben. „Hurra!”, schrien die Freunde vor Aufregung.

Plötzlich sprang der Löwe mit einem großen Knurren auf sie zu. Die verängstigten Freunde konnten nicht glauben, was gerade geschah, und rannten in verschiedene Richtungen, als der Löwe sie verfolgte. Gopal sah mit Schrecken, was passierte. Nach einer Weile kam er vom Baum herunter. Er wartete gespannt auf die anderen. Müde und verwirrt kamen sie endlich spät am nächsten Tag zurück, entschuldigten sich bei Gopal und versprachen seinen Rat zukünftig immer ernst zu nehmen.

Bina Ghosh, Kalkutta, Indien