Märchen aus aller Welt

Legende der Prinzessin von Guatavita (Kolumbien)

Foto: Peter Doeberl; Aarwangen; SwitzerlandFoto: Peter Doeberl; Aarwangen; SwitzerlandLange Zeit bevor die spanischen Eroberer in das Land der Muisca, der Bewohner der Region um Guatavita, kamen, verehrten diese eine einstige Prinzessin, die immer bei Vollmond aus der Tiefe des Sees emporstieg und über dem Dunst schwebte. Das hier ist ihre Geschichte:

Es war einmal ein großer Muisca-Häuptling, der mit der schönsten Frau seines Stammes, einer edelmütigen und vom Volk geliebten Prinzessin, verheiratet war. Mit der Geburt einer Tochter, die der ganze Stolz des Vaters war, schien ihr Glück komplett.

Die Zeit verging und der Häuptling, der mit Regierungsangelegenheiten und anderen Frauen beschäftigt war, entfernte sich immer mehr von seiner Prinzessin und seinem Zuhause. Wie es sich für eine Frau ihres Ranges gehörte, ließ die Prinzessin die ständige Abwesenheit und die andauernden Affären ihres Mannes einige Zeit über sich ergehen. Doch eines Tages waren die Einsamkeit und der Schmerz größer als die sozialen Normen und Pflichten, und sie verliebte sich in einen der edelsten und anmutigsten Krieger des Stammes. Zu ihrem großen Glück erwiderte der Krieger diese Liebe bedingungslos.

Die Verliebten konnten sich nicht so oft sehen, wie sie gerne gewollt hätten, da zu dieser Zeit auch der Häuptling unter den Seinen weilte. Außerdem vermutete er irgendetwas und ließ die Prinzessin von einer alten Frau beschatten. So entdeckte die Alte eines Nachts die Liebenden und berichtete dem Häuptling davon.

Am nächsten Tag ließ der Häuptling ein großes Fest zu Ehren seiner Frau veranstalten. Der Prinzessin wurde ein lecker zubereitetes Herz serviert. Kaum hatte sie den letzten Bissen genommen, brachen die Anwesenden – allen voran der Häuptling – in schallendes Gelächter aus. Da verstand die Prinzessin, was passiert war: Man hatte ihren Liebhaber getötet und ihr sein Herz als Festmahl vorgesetzt.

Völlig verzweifelt flüchtete sie mit ihrer kleinen Tochter in Richtung Guatavita. Es war fast Mitternacht, als die beiden bei der Lagune ankamen, und vom Ufer her stiegen dicke Nebelschwaden empor. Die Prinzessin warf ihrer kleinen Tochter einen letzten, liebevollen Blick zu und stürzte sich mit ihr ins Wasser.

Laguna Del Guatavita; Foto: Masanalv; CC BY 3.0Als der Häuptling hörte, was passiert war, rannte er zur Lagune und rief den Namen seiner Frau, ohne jedoch mehr als die Stille der Nacht als Antwort zu bekommen. Sofort ließ er nach den Schamanen rufen, damit diese nach der Prinzessin suchten. Die weisen Männer versuchten mit Beschwörungsformeln und speziellen Riten herauszufinden, was mit der Frau und ihrer Tochter passiert war. Ein Schamane stieg in die Tiefen der Lagune herab, kehrte kurze Zeit später mit der Leiche des Mädchens zurück und verkündete, dass die Prinzessin im Königreich des Wassers glücklich und am Leben war.

Seit jener Nacht erscheint die Prinzessin immer bei Vollmond im dichten Nebel der Lagune, um sich die Sorgen und Bitten ihres Volkes anzuhören. Somit wurde die Lagune zu einem heiligen Ort, an dem später auch die berühmte Legende von El Dorado ihren Ursprung fand.

Volkstümliche Überlieferung
deutsch von Elena Mancuso