Gesellschaft Und du bist? Einzigartig.

Sie ist bunt und gut gelaunt, sie zeigt Haltung und Bein. Dennis Hurler sorgt als Dragqueen Pasta Parisa im Garry-Klein-Club regelmäßig für Stimmung. Es ist mehr als nur eine Show. Es ist ein Statement gegen Stereotype und Normen. 

Von Pia Eichinger

Pasta Parisa Pia Eichinger
Noch zehn Minuten bis zum Auftritt. Sie eilen die Stufen hoch. Graue, massive Wände umgeben das Trio. Nur der laute Beat durchdringt den Raum und lässt hinter der weißen Tür eine andere Welt erahnen. Viele Fragen durchschwirren die Köpfe der Anwesenden: Wer bläst die Schwimmflügel auf? Wer holt die Sonnencreme? Schnelle Schritte. Dann ist der Erste fort. Soll noch ein Stuhl auf die Bühne? Jetzt verschwindet auch der Zweite. Zurück bleibt Pasta Parisa. Sie atmet tief ein, ihr dünner Mantel schwebt knapp über dem Boden. Für einen kurzen Moment schließt sie die Augen, um die Choreografie noch einmal zu verinnerlichen. Fünf Minuten bis zum Auftritt. Stuhl, Sonnencreme, aufgepustete Schwimmflügel: Dennis Gutmann und Jan Sabater Vinals sind zurückgekehrt. Und zwar erfolgreich. Ohne Requisiten würde der Show einfach ein Teil fehlen. Das Thema: Spring Break. Eine Minute bis zum Auftritt. Schnell den Mantel zurecht zupfen, damit das Publikum das darunterliegende Outfit nicht zu früh errät. Ausatmen und losgehen. Mit erhobenem Haupt schreitet Parisa voran, dicht gefolgt von ihren Freunden. Von der vorigen Anspannung keine Spur mehr. Alle Blicke sind auf sie gerichtet. Der Beat wird laut. Die Masse jubelt. Die Queen hat den Raum betreten.
 
Ungeschminkt heißt der junge Mann Dennis Hurler. Zweimal im Monat tritt er als Pasta Parisa im Münchner Harry-Klein-Club auf, der sich jeden Mittwoch in das Garry-Klein verwandelt. Für Hurler fing der Abend bereits vor neun Stunden an, in einer kleinen Wohnung in Giesing, München. Hier leben drei Personen: Tarik Bühler, Dennis Hurler und Pasta Parisa. So fühlt es sich zumindest für Bühler an. Seit knapp einem Jahr wohnt das Paar zusammen. Womit Hurler sein Geld verdient, hat ihn nie gestört: „Ich habe mich richtig gefreut, dass ich eine Dragqueen persönlich kenne und sie sogar mein Freund ist. An was ich mich gewöhnen musste, ist der Platz, den er einnimmt.“
 
Glitzer, Glamour und Brusthaare
 
Pasta Parisa Pia Eichinger Von Perücken in allen Längen und Farben über rote Pumps und neon-pinke Stiefel bis zu karierten Zweiteilern und Lederoutfits mit Tüllrock: Die kleine Wohnung ist bunt. Denn hier findet sie statt: Die Verwandlung in eine zweite Persönlichkeit, die eine Welt voller Glitzer und Glamour offenbart. Mehrmals die Woche wird der 24-Jährige zu der Dragqueen Pasta Parisa, sei es bei seiner Show im Café Nil, zur Midnightshow im Garry Klein oder auch in Clubs in Zürich und Wien. Und bei so vielen Auftritten, kann man nicht jedes Mal das gleiche Outfit tragen.
 
Doch nicht nur Kleidung gehört zum Drag-Sein dazu, auch das Make-Up darf nicht fehlen. Pinsel und Puder, Lippenstift und Lidschatten, Mascara und Moisturizer. Kreuz und quer liegen sie über den Esstisch verteilt. Hurler erkennt Ordnung in dem Chaos. Er greift zum Klebestift, denn, wo jetzt die Augenbrauen sind, soll später ein Farbenspiel aus blau und lila sein Gesicht zieren. Mit schnellen Handgriffen und konzentriertem Blick in die aufgestellten Spiegel, setzt sich nach und nach sein Look zusammen. Zwischendrin ein Schluck Wein. Er nimmt sich Zeit.
 
Schon als Kind liebte es der gebürtige Schwabe, in andere Rollen zu schlüpfen: „Ich habe mich oft vor den Spiegel gestellt und eine Show in meinem Zimmer aufgeführt, ähnlich wie im Garry heute.“ Mit seinem Schlafanzug als Bühnenoutfit und einem zusammengewickelten T-Shirt auf dem Kopf tanzte er im Schutz seines Kinderzimmers. Dort, wo Hurler er selbst sein konnte. Denn in dem 400-Einwohner-Dorf bei Ballmertshofen versuchten Menschen ihm einzureden, „so wie die anderen Jungs zu sein.“ Als er mit 17 Jahren an einer Schauspielschule in Ulm vorsprach, fing er an, bewusst gegen die Erwartungen anderer zu gehen: „Ich wollte mein eigenes Leben leben.“
 
Es klingelt an der Tür. Dennis Gutmann betritt die Wohnung. Er begleitet Hurler heute ins Garry-Klein - zusammen mit Jan Sabater Vinals, der vor Ort auf sie wartet.  Auch sie treten dort regelmäßig als Dragqueens unter den Namen Dean de Ville und Janisha Jones auf. Ein kurzes Küsschen auf die Wange, dann muss Hurler wieder zurück an die Arbeit. Ein paar falsche Wimpern und eine Menge Glitzer später steht die Queen in der Mitte des Raumes. Rote Locken fallen über ihre Schultern, der karierte Zweiteiler: eng und bauchfrei. Selbstbewusst stolziert sie mit den gelben Stiefeln durch die Wohnung. „Oh, yes!“
 
Eine Superheldin mit High Heels
Pasta Parisa Pia Eichinger  
Hier steht sie: Pasta Parisa, eine Kunstfigur, doch in ihrem Wesen so real, wie sie nur sein könnte. Ihr Markenzeichen: Rote Lippen und ein dicker Lidstrich, Bart und Brusthaare. Für Drag gibt es keine Vorschriften. Das Anders-Sein macht es schließlich aus, das Verschwimmen von Stereotypen und Gender-Rollen, die Möglichkeit sich selbst zu verwirklichen und etwas zu verändern. Dabei ist Parisa besonders wichtig, „Botschaften mitzugeben und durch diese rebellische Nudel, die ich werde, den Leuten zu zeigen: Es ist okay, wie ihr seid, an was ihr glaubt und wovon ihr träumt.“ Gutmann schaut auf die Uhr: „In einer Viertelstunde musst du da sein.“ Parisa packt die Requisiten für ihre Show in einen kleinen Koffer. Das Taxi ist da, die Reise kann beginnen.
 
Die Reise an den Ort, wo Hurler seine eigene Superheldin erschuf: Pasta Parisa. Und mit ihr nicht nur den „Queen of the Night Contest 2016“, sondern auch Vertrauen in sich selbst gewann. Sie zeigt auf das Muscheltattoo auf ihrem Oberarm. Das kleine Dorf ihrer Kindheit hielt sie in der Schale, in München kann sie endlich die Perle sein.
 
Doch auch hier erlebt sie, dass ihre Identität nicht immer akzeptiert wird: „Kaum fange ich an zu denken, Dragqueens sind in der Gesellschaft endlich willkommen, wird über Angriffe auf die LGBTQ-Community berichtet.“ Sie hofft auf eine Zeit, in der sich niemand outen muss, in der Drags ohne Angst U-Bahn fahren und Männer auf der Straße Händchen halten können, ohne bedroht zu werden, „weil es egal ist, was man anzieht und auf wen man steht.“ Und genau das ist ihre Mission: Ob Frau mit Bart oder Mann mit Lidstrich, „jeder Mensch ist einzigartig. Ich möchte bewusst gegen Stereotype gehen, was als typisch feminin und maskulin gilt.“
 
23:00 Uhr. Der Club öffnet offiziell. Für Pasta Parisa heißt das raus an den Eingang und Gäste begrüßen. Die erste Traube von Männern tummelt sich um die Dragqueen, während sie fleißig Shots verteilt: „Cheers Gentlemen!“ Sie heben die kleinen Gläser in die Luft und stoßen gemeinsam an. Innerhalb von wenigen Minuten sind die ersten Shots weg. Runde zwei. Mit einem strahlenden Lächeln begrüßt sie den nächsten Schwung an Männern: „Hey, möchtet ihr Schnaps?“ „Mh, nicht sicher“, antwortet ein dunkelhaariger Mann verlegen. Parisas Lächeln wird größer: „Mein Schätzchen, das war keine ernste Frage.“
 
Sechs Runden Shots später, geht es auf der nächsten Etage weiter. Gäste animieren. Der Raum ist klein, die Decke mit flauschigem Kunstfell überzogen. Bunte Lichter tanzen über den Boden, während sich die Clubbesucher Schulter an Schulter zu den Beats bewegen. Gemeinsam hinter der Bar kreisen Parisa, Gutmann und Vinals die Hüften. Wie in einem einstudierten Tanz heben sie die Hände gleichzeitig nach oben: „Put your hands up!“ Dafür wird Parisa nicht bezahlt, denn es ist nicht Teil der Show, aber sie macht es, weil sie ihre Arbeit liebt: „Wer keinen Spaß an Drag hat, ist am Ende des Tages nur ein normaler Mann in Frauenklamotten.“ Die Zuschauer sollen sehen, „die feiert sich gerade selbst so sehr, dass möchte ich auch.“ Wenn sie anfangen sich selbst zu akzeptieren und wohlzufühlen, unabhängig von Geschlecht, Körpergröße oder Hautfarbe, „dann ist es der Job schon wert. Und natürlich jede Sekunde auf der Bühne“, fügt sie grinsend hinzu. Dort fühle sie sich unbesiegbar.
 
„Baby, I´m a badass“
 
Bevor die Show beginnt, macht Parisa noch einen kurzen Abstecher nach draußen: Die Beruhigungszigarette vor dem Auftritt. „Lampenfieber habe ich immer!“ Sie bläst den Rauch in die kalte Winternacht. „Es ist nicht mehr so schlimm wie am Anfang, aber wenn man irgendwann gar nicht mehr aufgeregt ist, macht man irgendwas falsch.“
 
Dann endlich der Auftritt, auf den alle gewartet haben. Für einen Augenblick ist nur das aufgeregte Murmeln der Gäste zu hören. Der erste Ton von Demi Lovato´s Song „Cool for the summer“ erklingt. Draußen mag es kalt sein, aber mit ihrem Auftritt möchte Parisa die Gäste zum Schwitzen bringen. Langsam zieht sie an dem grünen Band, das ihre Hüften umschließt. „Don´t tell your mother.“ Mit verführerischem Blick, nähert sie sich dem Publikum. „Kiss one another.“ Langsam dreht sie der Masse den Rücken zu. “We´re cool for the summer!” Parisa reißt sich den Mantel vom Körper. Mit einem knappen Badeanzug, wirbelt sie auf der Bühne von der einen Ecke zur anderen. Sie zieht die Schwimmflügel über ihre Oberarme, nimmt die Sonnencreme in die Hand und breitet die Arme aus. Ihre Hüften schwingen zum Takt, rund 300 Hände klatschen mit. Der Refrain wird laut, sie schüttet die Creme über ihre Brust. Handys und Hände schnellen in die Luft und strecken sich in Richtung der Dragqueen. „Geile Show“, schreit einer aus der Menge, ein anderer benutzt keine Worte, sondern zieht gleich sein weißes Shirt aus und tanzt zur Musik. Dann ist das Lied zu Ende.
 
Der Abend hat gerade erst begonnen. „Das Garry ist mein Wohnzimmer, die Leute meine Familie“, schwärmt die 24-Jährige. Sie schwingt ihr linkes Bein auf den Tresen, dann das rechte. Drag zu sein hat sie nie bereut. Mit selbstbewusstem Blick starrt sie in das Publikum, ihre roten Lippen formen den Text: „Baby, I´m a badass!“