Gesellschaft Fake News made in Germany



 

Von Thilko Gläßgen

Namentlich ist Stephan Kohn wohl nur wenigen Menschen in Deutschland ein Begriff. Dabei sorgte der Oberregierungsrat aus dem Bundesinnenministerium in diesem Jahr für einen der bisher größten Aufreger im Zusammenhang mit den Maßnahmen der Bundesregierung zur Covid-19-Bekämpfung. Kohn hatte ein Positionspapier mit Briefkopf des Bundesinnenministeriums veröffentlicht, in dem er den Umgang mit der Corona-Pandemie als „globalen Fehlalarm“ bezeichnet. Darin wird behauptet, dass es „zu keinem Zeitpunkt eine über das Normalmaß hinausgehende Gefahr für die Bevölkerung“ gegeben habe. Stattdessen habe sich der Staat „in der Corona-Krise als einer der größten fake-news-Produzenten erwiesen.“

 

Auf 83 Seiten rechnet das SPD-Mitglied mit der deutschen Corona-Politik ab. Rechte Medien sowie Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungsmythen feiern Kohn seither als Whistleblower, der sich getraut hat, die ihrer Ansicht nach wahren Fakten auszusprechen. Einige von Ihnen schlagen ihn sogar fürs Bundesverdienstkreuz vor. Das Innenministerium sah dies anders, entband Kohn von seinen Aufgaben entbunden und erteilte ihm Hausverbot. Bundesinnenminister Horst Seehofer betonte zwar ausdrücklich, dass „jeder seine Meinung auf der Grundlage unserer Verfassung“ haben könne. Allerdings erwecke Kohns Schreiben (unter dem Briefkopf des Ministeriums) den Eindruck, dass es sich um die Meinung des Bundesinnenministeriums handelt und nicht um seine Privatmeinung.

 

Ionuț Codreanu © Ionuț Codreanu Doch nicht nur innerhalb Deutschlands schlug das vermeintlich offizielle Positionspapier hohe Wellen. Galt Deutschland in Rumänien zuvor als Vorbild in der Virusbekämpfung, schien sich das Blatt durch das Positionspapier plötzlich zu wenden. Ionuț Codreanu arbeitet als Medienanalyst für Active Watch, eine rumänische Nichtregierungsorganisation, die sich für freie Kommunikation im öffentlichen Interesse einsetzt. Bei ihm schlug die Nachricht von Kohns Corona-Abrechnung ein wie eine Bombe: „Deutschland ist für uns der Standard der Entwicklung. Wir haben einen Fetisch für deutsche Exporte - und plötzlich kommt diese schockierende Nachricht.“

 

Selbst seriöse Medien hätten daher Kohns Sichtweise unkritisch übernommen, gelte Deutschland in Rumänien doch als Vorbild, was das Covid-19 Management angehe. Medienwissenschaftler Codreanu erklärt die Denke vieler rumänischer Journalistinnen und Journalisten so: „Wenn die deutsche Regierung das sagt, muss es wahr sein.“ Kein einziger Journalist und keine einzige Journalistin hätten die Grundregel beachtet, jede Information oder Nachricht von einer zweiten, unabhängigen Quelle bestätigen zu lassen. Stattdessen „war Kohn ein Held in Rumänien.“

 

Codruța Simina © Codruța Simina Auch die Medienjournalistin Codruța Simina hat das Phänomen deutscher Fake News beobachtet: „Während der Corona-Pandemie habe ich zum ersten Mal bemerkt, dass ein sehr großer Teil der Falschnachrichten aus Deutschland kommt.“ Sie macht hierfür insbesondere den russischen Auslandssender Sputnik verantwortlich: „Sogenannte Experten aus Deutschland werden interviewt. Anschließend werden die Interviews ins Rumänische übersetzt und auf Facebook sehr stark verbreitet.“

 

Einer der größten rumänischen TV-Sender habe einen Artikel komplett übernommen und ganz unverblümt Sputnik aus Quelle angegeben.  Im aktuellen Verfassungsschutzbericht (Seite 286) wird Sputnik vorgeworfen, „die Öffentlichkeit auf subtile Weise zu beeinflussen.“ Auch der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, Frank Überall, erklärt, dass es sich um „keine Informationsmedien, sondern Propagandainstrumente des Kremls“ handle.

 

Damit Menschen in Rumänien ihren Medien wieder vertrauen, engagieren sich Journalistin Simina und Medienwissenschaftler Codreanu gegen Falschnachrichten. Codreanu setzt hierbei auf die Förderung von Medienkompetenz bei Schulkindern und Studierenden: „Wir versuchen, dass sie kritische Fähigkeiten beim Medienkonsum entwickeln.“ Hierfür besuche er Schulen im ganzen Land, in Zeiten von Corona sind aber auch Videokonferenzen als Fortbildungsinstrument etabliert worden.

 

Journalistin Simina veröffentlicht einen wöchentlichen Newsletter und betreibt die Facebookseite Misreport. Hier stellt sie Fake News richtig. Zwar räumt sie diesen damit Raum ein, allerdings nicht allen: „Eine der Regeln ist: Nur Nachrichten, die das Potenzial haben, viral zu gehen, werden richtig gestellt.“ Auch schreibt die 37-Jährige nur über Themen, die sie beweisen kann, die peniblen Recherche nach der Quelle ist ihr wichtig. Mittlerweile abonnieren 1300 Menschen den Newsletter, auf Facebook haben fast 2000 Nutzende Misreport geliked.

 

Die beiden sehen aber auch den Journalismus in der Verantwortung. So erklärt Codreanu: „Gegen Fake News müssen wir vor allem Journalisten trainieren.“ Welche Quelle ist vertrauenswürdig? Wird die Zwei-Quellen-Regel beachtet? Kann die Aussage mit Fakten belegt werden? Es sind Fragen, die sich jede Journalistin und jeder Journalist stellen muss, damit Journalismus besser wird und glaubwürdig bleibt – in Rumänien und weltweit.