Aktuelle Musik aus Deutschland  Popcast #2/2025

Die Goldenen Zitronen
Die Goldenen Zitronen © Frank Egel

Diesen Monat mit Musik von:

B O D I E S | Grönland
Sinem | Fun in the Church
Yu | Yu
Die Goldenen Zitronen | Buback
Das Format | Paulapaulplatten
Autorin und Sprecherin (Deutsch): Angie Portmann

© Buback
 
Baut doch eine Mauer
um den scheiß Kontinent
Die Gefahr scheint euch real um euer
scheiß letztes Hemd
„Gebt doch endlich zu, euch fällt sonst nichts mehr ein“, Die Goldenen Zitronen im Jahre 2019 als Kommentar zu der Flüchtlingspolitik der Europäischen Union

B O D I E S © Anja Feßler

B O D I E S ist die kreative Schöpfung der in Berlin lebenden australischen Sängerin, Songwriterin und Produzentin Kat Frankie. Auf der Bühne präsentiert Frankie mit sieben brillanten Sängerinnen, darunter die geniale Albertine Sarges (die aufmerksame Popcast-Lesende bereits kennen und alle anderen unbedingt mal nachschauen sollten) eine A-cappella-Performance darüber, was es bedeutet, aus Materie zu bestehen. Die sphärischen Choräle der Gruppe, verletzlich aber robust, kontrastieren ihre zeitlosen Schönheit und Harmonie mit den melancholischen Texten und wirken an vielen Stellen wie ein trotziger Gegenentwurf zu der Absurdität und Grausamkeit der Gegenwart. Neben klassisch anmutenden Passagen ist das Album aber auch geprägt von melancholischen Passagen zwischen Pop und Soul, welche eine beeindruckende Bandbreite der Mitglieder aufzeigen.

Sinem © Gülbin Ünlü

Dass die als Gastarbeiter*innen in den Sechzigerjahren ins deutsche Land gelockten türkischen Menschen über die Jahre in der Fremde eine solide Subkultur etabliert hatten, mit eigenen Liedern und Stars, die millionenfach gehört, aber in der eigentlichen Heimat kaum zur Kenntnis genommen wurden, war lange nicht bekannt, und kam erst vor ein paar Jahren ans Licht, in Form gut recherchierter Sammlungen wie Songs of Gastarbeiter von Imran Ayata & Bülent Kullukcu oder der tollen Doku Liebe, D-Mark und Tod (noch bis 13. Februar kostenlos in unserem Goethe-on-demand-Kanal zu sehen). Eine zweite Generation dieser Künstler*innen macht sich jetzt auf, Vergangenheit und Gegenwart zu vereinen. So auch die in Oberbayern aufgewachsene Sängerin mit türkischen Wurzeln Sinem Arslan Ströbel, die auf ihrem Debutalbum Köşk mit den Münchnern Tagar von den Friends of Gas (Gitarre) und Tom Wu (Schlagzeug, Loops) klassische türkische Popsongs neu, schärfer und moderner, interpretiert. Dabei entdeckt man, wie schon bei Derya Yildirim und ihrer Grup Simsek, eine eingängige und aufregende Musik, die schon längst die deutsche Kultur hätte bereichern müssen. Es ist gut, dass dies jetzt endlich geschieht, und wie Sinem selbst sagt, „jetzt alles endlich zusammenkommt“.
 

Yu © Kevin Leno

 
Ich bin erst zwanzig und ich check nicht was passiert
Um mich herum die ganze Welt sie explodiert
Alles macht BOOM BOOM alles geht kaputt
Wie im Cartoon es fliegt alles in die Luft
(Yu, „Safe Psychopathen“)
Kämpferische politische Positionen bezieht seit einigen Monaten, zunächst nur auf TikTok, der erst einundzwanzigjährige Yunus Emre Can aka Yu aus einem Dorf bei Köln. Ob gegen Nazis, oder in der Kapitalismuskritik, über mentale Gesundheit oder für Rechte für Transpersonen, mit drastischen Worten und einprägsamem Pop hat er sich in der Sprache seiner Generation einen Platz in der deutschen Indieszene erarbeitet. Jetzt erscheint sein von ihm selbst durchweg co-produziertes Debutalbum Please Hold The Line, und es ist mehr als nur eine Sammlung der bereits bekannten Tracks geworden. Ob als Rapper, Punk, Crooner oder Chansonier, Yu schlüpft mühelos in die verschiedensten Rollen und behält, dank seiner beeindruckend reifen Stimme, immer die Kontrolle. Glücklicherweise bleibt auch bei leicht schwankender Qualität der Kompositionen das Energielevel enorm. Die Revolte wird zur Party, der Festivalsommer winkt.

Die Goldenen Zitronen © Die Goldenen Zitronen

Micky Mäuse
Nikoläuse
Pfortenwächter der Partyschleuse
(Die Goldenen Zitronen, „Lied der Stimmungshochhalter“, 2006)
Im Jahre 1984 gründeten sich in Hamburg Die Goldenen Zitronen, eine untypische Punkband, denen es soziale Gerechtigkeit ging und deren beißender Humor sich gegen das spießige Deutschtum und die Bourgeoisie der „Pfeffersäcke“ wandte, eine gelungene Mischung aus nervöser punkiger Energie und sozialistischem Kampfgeist. Die Band ist bis heute aktiv, ihre Energie wirkt unverbraucht und ihre Haltung ungebeugt, auch wenn das letzte Album schon ein paar Jahre zurück liegt. Diese Folge des Popcasts wagt eine Rückschau auf 40 Jahre „Goldies“; 13 Alben, in denen sie immer wieder Stellung nehmen zu einschneidenden tagespolitischen Geschehnissen und der Politik im Allgemeinen, der Flüchtlingspolitik Deutschlands und Europas, dem alltäglichen und systemischen Rassismus, dem alles überschattenden Kapitalismus und der Lethargie und Unwillen der politischen Klasse, sich ihm zu widersetzen. Musikalisch haben sie sich von Rockabilly-gefärbtem Punkrock zu elektronischen Miniaturen entwickelt, was aber ihrer Intensität keinen Abbruch getan hat und man erkennt sie mit Leichtigkeit aus Millionen heraus durch die mehr gerufenen als gesungenen Vocals von Schorsch Kamerum, der immer ein wenig wie ein trotziger Beschwerdeführer klingt.  Der beachtliche Katalog birgt einige mitreißende Perlen, von denen allerdings noch keine sonderliche kommerzielle Erfolge mit sich brachte. Bei ihren legendären Shows treten sie in bunten Fantasiekostümen auf, wie stolze Könige in einem sozialistischen Märchen aus Tausenduneine Nacht. Die Popcast Redaktion wirft einen großen Strauß in Richtung Goldies und freut sich schon auf die nächsten 40 Jahre.

Das Format © Manuel Nieberle

Wenn das deine Lösung ist,
will ich mein Problem zurück
(Das Format, „Lösung“)
Auf Vinyl erscheinen die Veröffentlichungen des Augsburger Noiserock-Trios Das Format, was auch nicht verwunderlich ist, denn den Inhaber*innen ihrer Plattenfirma gehört auch ein Presswerk. Ansonsten rumpeln sie munter los, die drei Musiker aus dem  Süden. Sie sind unzufrieden und tun das auch mit großem Gelärm und ungebremster Spielfreude kund. Dabei haben sie eine eindrucksvolle Bandbreite von wüstem Garagenrock bis hin zu melancholischem Shoegaze im Repetoire und ein gutes Gespür für mitreißende Hooks und effiziente Arrangements: Kein Ton ist zu viel, keine Passage zu lang, das Album behält trotz seiner großen Bandbreite immer die Spannung. Eine Band, die garantiert auch live ein Erlebnis ist!

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