Aktuelle Musik aus Deutschland  Popcast #6/2025

Popcast #6/2025 Jako Jako
Jako Jako Jako Jako © Katja Ruge

mit Musik von: 

Anika | Sacred Bones Records
Sophia Kennedy | City Slang
Meese & Hell | Buback
Beirut | Pompeii Rec
Jako Jako | Mute
Autorin und Sprecherin (Deutsch): Angie Portmann

 
Where are you taking me
Oh Rodeo
Your antlers pierce the fig tree branch
Don't you like it when you dream it
If you want it stop longing for it
Sophia Kennedy, „Rodeo“
Sophia Kennedy

Sophia Kennedy | © Marvin Hesse

Die Verbindung von experimentellen Pop mit emotionaler Tiefe und poetischer Verspieltheit ist Sophia Kennedys —und ihres Produzenten Mense Reents‘— Markenzeichen. Auf ihrem neuen Album Squeeze Me stellt die Hambugerin ihren stilsicheren Art-Pop kompetent aus so verschiedenen Elementen wie French House, Bossa oder Elektro-Soul zusammen. Die surrealistischen Bilder, die sie in ihren Texten entwirft, sind von magischem Realismus und zutiefst dunklem Humor geprägt, sie stellen einen Kontrapunkt zu den geerdeten Kompositionen dar und verleihen dem Album seine Seele. Das Ergebnis sind 10 bewegende Popstücke, die in ihrer Melancholie und Verspieltheit noch lange nachhallen.
 
This is a space for you
Anika
Anika

Anika | © Nastya Plastinova

Anika, die deutsch-britische Musikerin und ehemalige Journalistin, ist zurück mit ihrem dritten Studioalbum Abyss – einer so politischen wie persönlichen Arbeit. Sie verpackt ihre Wut und Verwirrung über den Zustand der Welt in zehn rohe und kraftvolle Tracks, die mehr noch als auf den Vorgänger-Veröffentlichungen die Energie von College Rock und die Stimmung düsterer Elektronik nutzen, um ihre eindringliche, fordernde Stimme zu unterstützen. Es geht um Desinformation, den politischen Rechtsruck in vielen Ländern des globalen Nordens, dem Zerfall demokratischer Strukturen und den Kämpfen marginalisierter Gruppen, das Album ist mehr politisches Manifest als musikalisches Statement, auch wenn seine Dringlichkeit einen hellen Streifen Hoffnung an den Horizont projiziert.
 
Meese X Hell

Meese X Hell | © Ullrich

Der Berliner bildende Künstler Jonathan Meese und Münchens jet-settender DJ Star Hell fordern als das Duo Meese X Hell ihr Publikum ganz schön heraus. Auf ihrem Album Gesamklärwerk Deutschland generieren sie zu Kraftwerk-artigen Klängen „retrofuturistische Zukunftsmusik für unsere dürftige deutsche Gegenwart“ (Uwe Schütte im amüsanten Presseinfo) zusammen. Nachdem sie auf ihrem ersten Album noch eine wilde Reise durch die unterschiedlichsten Stile elektronischer Musik, von EBM bis schwingendem House, gewagt hatten, haben sie ihre Anliegen und künstlerischen Strategien jetzt klarer formuliert: Aus einer radikalen künstlerischen Position heraus üben sie mittels reduzierter Elektrosounds Fundamentalkritik an der bundesdeutschen Realität, schwingen sich aber gleichzeitig mit der These, dass die reinigende Kraft der (ihrer) Kunst imstande sei, all diese Nickeligkeiten der Gegenwart zu lösen, zu wohlwollend-patriarchalischen Rettern des Plebs auf. Dazu kann man stehen wie man will, Spaß bringen tut es schon.
Kept outside these city walls
The tiger sang to me
From the wreckage of eternity
To his Caspian Sea
Beirut, „Caspian Tiger“
Beirut

Beirut | © tbaagency/Zach Condon

Musikalische Literaturvertonungen sind im Gegensatz zu –verfilmungen eher die Ausnahme. Ein sehr rühmliches Beispiel für diese seltene Kunst ist das neue Album von Zach Condon alias Beirut, der auf A Study of Losses das fantastische Buch der deutschen Autorin Judith Schalanski Verzeichnis einiger Verluste zu Musik werden lässt. Jedem Kapitel, das jeweils von einem im Laufe der Weltgeschichte verlorengegangenen Ding handelt, sei es der Kaspische Tiger oder Sapphos Liebeslieder, widmet er ein Lied. Mit großer Geste und dem für ihn typischen Pathos in der Stimme, großzügig orchestriert und vielspurig produziert, werden die aus der Realität gelöschten Gegenstände musikalisch wieder zum Leben erweckt. Unter Verwendung süßlicher Choräle, barocker Arrangements, Modularsyntheiszer, vintage Saiteninstruments, Glockenspiel, you name it. Introspektiv, poetisch und voller feiner Details — A Study Of Losses fügt Schalanskys Geschichten eine Dimension hinzu und baut eine Brücke aus der –verlorenen– Vergangenheit.
 
Jako Jako

Jako Jako | © Katja Ruge

Berghain Residentin, Modular-Synthesizer-Spezialistin, DJ und Produzentin Sibel Koçer alias Jako Jako, hat während eines Aufenthalts in Vietnam zur Zeit der Feierlichkeiten des Tết- Lunar New Year ihr neues Album Tết 41 geschaffen, eine magische Melange aus minimalistischen Synthesizern und field samples, kurzen Audio-Snippets aus der Umgebung, die sie bei den Feiern aufgenommen hat. In den luftigen Arrangements fängt sie die Atmosphäre, Gerüche und Geräusche des vietnamesischen Frühlings ein und vertont diese kürzlich unternommenen Reise mit und zu den Wurzeln ihrer vietnamesischen Mutter. Die Stücke sind klanggewordene Erinnerungen an ihre Eindrücke aus dieser für sie fremden Heimat, das Dokument der Suche nach einem Teil ihrer Identität und für die Zuhörenden das faszinierende Erlebnis einer bilderlosen Geschichte in Millionen von Farben.