Tanz und Widerstand  Voguing und Ballroom: Eine Form des Widerstands für Trans-Communities

Eine Collage mit einem Fächer, einer Diskokugel, und einem Stiletto © Ricardo Roa

Voguing und die Ballroom-Kultur sind weit mehr als nur ästhetischer Ausdruck: Sie sind Akte des Widerstands, der Identitätsbehauptung und des gemeinschaftlichen Zusammenhalts für trans*, drag- und queere Communities. In einer Welt, die die Existenz dieser Communitys und Identitäten bestraft, wird der Tanz zu einem Zufluchtsort, einem Aufschrei, aber auch einem Akt des Erinnerns und einer Lebensform. Von den afro- und lateinamerikanischen Wurzeln in Harlem bis zu den Straßen von Mexiko-Stadt feiert diese Szene das, was das System auslöschen will: die Schönheit, Stärke und Würde von Körpermerkmalen, die von der kollektiven Norm abweichen. Tanzen heißt existieren – und existieren heißt auch, Widerstand zu leisten.

Das Voguing hat viele Dimensionen: als Kultur des Widerstands, als Unterstützungsnetzwerk, als Akt körperlicher und sexueller Befreiung. Jetzt, da wir Allianzen mit anderen Widerstandsbewegungen geschmiedet haben – etwa mit der Otomí-Gemeinschaft, die das INPI besetzt hält, mit den Organisator*innen der Protestbewegung für bessere Verpflegung an öffentlichen Universitäten, mit feministischen Gruppen, die sich gegen ökonomische Gewalt wehren, und mit dem Widerstand gegen Genozide in Palästina– bringen wir unsere Praktiken, Performances und Ballroom-Kultur, an denen sie zuvor unsichtbar waren (...), denn obwohl Rassismus und Transfeindlichkeit unterschiedliche Erscheinungsformen sind, sind sie zwei Facetten desselben Prozesses von Enteignung und Vernichtung.
Anarka Rotulista Karnalx
Manchmal fühle ich mich wie Sisyphus, der die Last eines riesigen Steins auf seinen Schultern trägt. Da es ermüdend sein kann, diesen Körper zu tragen, wünsche ich mir zuweilen, mich in einen anderen Körper hineinzaubern zu können und mich wie ein stiller Eindringling in eine Ecke zu hocken, um das Universum aus einer anderen Haut zu erleben. Dann könnte ich jeden einzelnen Muskel, den die Person, die ich bewundere, bei ihrer Tanz- und Akrobatikperformance bewegt, wie meinen eigenen spüren. 

Was ich zu beschreiben versuche ist eine seltsame Sehnsucht danach, das Leben anderer zu leben. Als ich begonnen habe, Vogue zu tanzen, ist es mir in gewisser Weise gelungen, diese ungewöhnliche Fantasie zu leben: andere Körper und gleichzeitig meinen eigenen zu bewohnen. Während ich diese Worte schreibe, machen mein Körper und ich gerade eine schwierige Phase durch. Manchmal fliegen buchstäblich die Fetzen. „Ich will nicht, dass wir uns hassen“, sage ich mir dann. „Und da ich dich nun einmal brauche, werde ich mit dir tanzen gehen“.

Tanzen ist wie eine Waffenruhe zwischen mir und meinem schwulen Körper, dem Körper einer Schwuchtel, einer trans Person, eines Drag-Performers, meinem von Angst entzündeten und verstümmelten, verwundeten und zum Schweigen gebrachten Körper. Eine fragile Waffenruhe, denn Vogue zu tanzen bringt mich an meine (körperlichen) Grenzen.

Meine Geschichte begann vor fünf Jahren, am 7. März 2020, beim Urban Ball im Museo Universitario del Chopo in Mexiko-Stadt, der im Rahmen der internationalen Ausstellung “Elements of Vogue” veranstaltet wurde. Dort sah ich LGBTQIA+-Personen tanzen, sich im Wettbewerb messen und miteinander feiern. Kurz darauf kam die Pandemie, die die Welt für über zwei Jahre verschlucken sollte. Doch in diesem Moment fühlte sich das Chopo wie eine Explosion und eine heftige Erschütterung an. Eine Kultur voller Komplexität und Ebenen öffnete sich vor mir.

Ein Streifzug durch die Geschichte des Ballroom

„Ballroom ist eine Popkultur, die von afroamerikanischen, trans und queeren Personen während der goldenen Jahre des Jazz in den 1930er Jahren entstand, aber erst in den Achtzigern in den Subkulturen New Yorks unmittelbar vor der AIDS-Krise aufblühen sollte“, ist im Dossier von “Elements of Vogue” zu lesen. New York ist genau mein Ziel. Am 13. Februar 1967 fand dort der Schönheitswettbewerb Miss All-American Camp statt, ein Drag-Wettbewerb, der Menschen aus dem ganzen Land zusammenbrachte.

An jenem Abend wurde Crystal LaBeija, einer schwarzen Latina Transfrau, die Krone verwehrt. Der Grund: Zu dieser Zeit war die weiße Hautfarbe eines der Schönheitsideale bei Drag-Wettbewerben, und die Teilnehmerinnen mussten ihre Haut mit Make-up aufhellen, um bessere Gewinnchancen zu haben. LaBeija explodierte förmlich und kritisierte heftig den Rassismus dieser Wettbewerbe. Ohne es zu wissen, schrieb Crystal Geschichte.

1972 präsentierten Crystal und Lottie LaBeija den 1. Jahresball des House of LaBeija im Up the Downstairs Case im New Yorker Stadtteil in Harlem. Es war ihr eigener Wettbewerb für die am stärksten marginalisierten Randgruppen. Es war einer der ersten Veranstaltungen dieser Art, der “Menschen aus ihrer Gemeinschaft, Menschen, die ihnen glichen, Menschen, die so lebten wie sie, Menschen wie sie selbst, People of Color, willkommen hieß.“, schrieb das House. Ballroom etablierte sich somit als ein antirassistischer und antikolonialistischer Raum (insofern als er das kolonialistische Geschlechtersystem hinterfragte) und ein umstürzlerischer Riss zog sich durch das Herz des Imperiums der Vereinigten Staaten von Amerika.

Die Ballroom Kultur wird zelebriert und weiterentwickelt, wächst und lebt auf den sogenannten Balls. Bei diesen Tanzwettbewerben gibt es verschiedene Mode und Laufsteg-Kategorien, wie All American Runway, European Runway, Best Dressed, Realness und Face. Bei jedem Ball bewertet eine Jury die Performance der Teilnehmenden. Es geht darum, die High-Fashion-Shows der 90er Jahre zu imitieren, sein Outfit zu präsentieren, eine einzigartige Energie auszustrahlen und unvergeßliche Momente zu schaffen.

Das House of LaBeija gilt als das erste Ballroom-House. In dieser Kultur sind die Häuser Gruppen von Menschen, die sich, meist unter der Leitung einer Mutterfigur, organisieren, um zusammenzuleben. Sie studieren verschiedenen Kategorien ein, um dann bei den Balls unter demselben Nachnamen zu "laufen", was bedeutet am Wettbewerb teilzunehmen, unabhängig davon, ob dabei Vogue getanzt wird oder nicht. Eine Kategorie zu gewinnen, bringt nicht nur der darstellenden Person eine Trophäe ein, sondern bedeutet auch einen Prestigegewinn für ihr Haus.

Aber die Häuser sind weit mehr als das. Angesichts der Ablehnung, die diese marginalisierte Community seitens der Gesellschaft stets erfahren hat, wurden viele Häuser für ihre Mitglieder zu deren selbstgewählten Familien. Ein Dach über dem Kopf zu teilen war eine Möglichkeit, die finanzielle Unsicherheit und Diskriminierung zu überleben: eine politische Entscheidung. In Mexiko-Stadt gibt es, neben vielen anderen, das Kiki House of Karn4Lx, das Kiki House of Deleite, das Kiki House of Pecadoras und das Kiki House of Millán, mein Zuhause.

Voguing: trans Körpergeschichte
 

Voguing, eine der möglichen Kategorien innerhalb eines Balls, ist ein Tanzstil, der früher als Pop, Dip and Spin bekannt war. Er entstand durch die Nachahmung von Modelposen, wie man sie aus der Zeitschrift Vogue (von der der Name stammt) kennt, aber auch von Skulpturen, ägyptischen Hieroglyphen oder sogar von militärischen Märschen im Rhythmus von House- und Disco-Musik.

Doch die Transfrauen, die auf den Balls tanzten, entwickelten einen eigenen Stil für diesen urbanen Tanz. Viele von ihnen waren in der Sexarbeit tätig und prägten den Vogue – der bis dahin von klaren Linien und Symmetrie geprägt war – mit einem Überfluss an Kurven und Sinnlichkeit. Stolz auf ihre Transition, präsentierten sie ihre langen Nägel, betonten ihr langes Haar und ihre Hüften. Von diesem Moment an veränderte sich alles – für immer.

Die klassische Art des Vogue wurde daraufhin als Old Way bezeichnet. Die Art und Weise, wie die Frauen den Tanz verkörperten, wurde Vogue Femme genannt, eine abgekürzte Form von voguing like a femme queen, wobei femme queen für die Community ein Weg ist, die Gesellschaftspyramide umzustürzen: Indem sie die Transfrauen, die auf dem Runway laufen, als Königinnen bezeichnen, positionieren diese sich unweigerlich an der Spitze.

 
Vogue Femme zu verkörpern war für mich eine Form der Selbstermächtigung. Dank Vogue Femme weiß ich, dass ich sexy und sinnlich sein kann. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals in Dessous und Stiefeln oder High Heels rausgehen und fast nackt vor Leuten auf der Straße tanzen würde, ohne dass es mir etwas ausmacht.
Das Zitat stammt von Nezahualcóyotl, einer Transfrau mit brauner Haut und schwarzen Locken, die eine liebenswürdige und herzliche Persönlichkeit besitzt. Sie, die in der Szene den Künstlernamen Coyote trägt, erzählt, dass sie Ballroom vor einigen Jahren kennenlernte, aber erst im Juni 2024 nach einem Weg suchte, in die Szene einzusteigen.

Ein Tanzstil wie das Voguing ist, in seinem Kontext betrachtet, eine Möglichkeit, die Geschichte der anderen zu erleben. Jeder Schritt und jedes Element ist Teil einer Sprache und einer Form, die viele Menschen vor mir entwickelt haben, um etwas über ihre Erfahrungen auszudrücken: Ich bin sexy, ich bin eine Schlampe, ich bin eine Hure, ich bin trans.
 
Ich denke, dass Feminität normativ oder subversiv sein kann, und in dem Maße, in dem wir ihr subversives Potenzial ausschöpfen, kann sie als Form des Widerstands funktionieren, insbesondere gegen Marginalisierung, soziale Säuberungsaktionen, Ausmerzung, Putophobie, Serophobie und Cisnormativität. Das ist Femme: ein Ausdruck im Spannungsfeld zwischen Widerstand und Assimilation, und in diesem Spannungsfeld entfaltet sich die Schönheit, die trans Personen in sich tragen, manchmal in überschäumender Weise.
Anarkx Rotulista, eine Voguerin des Kiki House of Karn4Lxs.
Vogue Femme und Old Way sind also unterschiedliche Arten, zu posieren und sich in der Welt zu positionieren. Voguing wurde zu einer Form, die Macht über unsere schon immer im Fokus stehenden Körper zurückzugewinnen.

Ein bisschen Voguing gegen Gewalt

Sara Millerey begann ihre Transition mit 15 Jahren und wählte Millerey als ihren Namen, „weil sie die Mirellas liebte, den Glitzer, den Schimmer, alles, was ihr Haar und ihre Augen zum Leuchten brachte“, wie die kolumbianische Journalistin Camila Osorio berichtet. „Sie sah wunderschön aus, wenn sie Britney Spears-Choreografien tanzte“, erzählt eine von Saras Freundinnen, wie in Osorios Text für die Zeitung El País zu lesen ist.

Doch am 4. April wurden Sara Opfer eines brutalen Hassverbrechens. Man brach ihr die Arme und Beine, und warf sie in den Fluss La Quebrada, der durch das Viertel Playa Rica in der Gemeinde Bello in Antioquia, Kolumbien, fließt, wo sie ertrank. Zeugen (die sich durch ihre Gleichgültigkeit oder Angst, einzugreifen zu Komplizen des Verbrechens machten) filmten die Szene und verbreiteten das Video in den sozialen Medien.

Sara ist mit 32 Jahren eines der jüngsten Opfer eines Hassverbrechens, das die kolumbianische Gesellschaft und ganz Lateinamerika erschütterte. Auch Mexiko, selbst ein Land voller endloser Trauerfälle, erreichte die Welle der Empörung über den Transfemizid an Sara. Am Sonntag, dem 13. April 2025, protestierten Kollektive sowie Mitglieder der trans Gemeinschaft und deren Verbündete vor der kolumbianischen Botschaft in Mexiko-Stadt, um Gerechtigkeit zu fordern.

„Ich weiß nicht, ob ich die Nächste bin, ich weiß nicht, ob meine Freundinnen die Nächsten sind. Darum ist die Anwendung von Gewalt legitim, denn Transphobie ist gewalttätiger als protestieren, sie ist gewalttätiger als Krawalle, sie ist gewalttätiger als Graffiti“, sagte eine Transfrau und Aktivistin, während andere Demonstrierende ihren Protest mit Parolen und Plakaten an der Fassade zum Ausdruck brachten.

Ich denke an das, was Sara Millerey angetan wurde: ihr Körper wurde ausgelöscht. Das Verbrechen wurde begangen, um ein Exempel zu statuieren und eine klare Botschaft zu verbreiten: Deine Körperlichkeit kann und wird bestraft werden. Angesichts der systematischen Gewalt gegen unsere Körper brach das Voguing an diesem Tag aus den Balls aus und fand auf den Straßen statt. Ein Weg des Widerstands der trans Körper. 'Voguing im Gedenken an Sara‘ lautete die Devise – und genau das wurde gelebt. Eines der besonderen Merkmale der Ballroom-Szene in Mexiko ist zweifellos ihre Fähigkeit, dass sie sich – wie Anarkx – auch anderen Kämpfen annimmt, die eng mit unseren eigenen verwoben sind.
 
Das Voguing hat viele Dimensionen: als Kultur des Widerstands, als Unterstützungsnetzwerk, als Akt körperlicher und sexueller Befreiung. Jetzt, da wir Allianzen mit anderen Widerstandsbewegungen geschmiedet haben – etwa mit der Otomí-Gemeinschaft, die das INPI besetzt hält, mit den Organisator*innen der Protestbewegung für bessere Verpflegung an öffentlichen Universitäten, mit feministischen Gruppen, die sich gegen ökonomische Gewalt wehren, und mit dem Widerstand gegen Genozide in Palästina– bringen wir unsere Praktiken, Performances und Ballroom-Kultur, an denen sie zuvor unsichtbar waren (...), denn obwohl Rassismus und Transfeindlichkeit unterschiedliche Erscheinungsformen sind, sind sie zwei Facetten desselben Prozesses von Enteignung und Vernichtung.
Anarka Rotulista Karnalx

Von Berlin nach Mexiko

Diabla, ein 33-jähriger schwuler Mann, erzählt, dass er, bevor er Vater des House Miu Miu in Mexiko-Stadt wurde und Teil des Iconic House of Saint Laurent in Europa, ein Mensch war, der die Art von Einsamkeit kennenlernte, die nur Migranten erleben. Tausende Kilometer von seiner Heimat entfernt, im Herzen Berlins lebend, veränderte ein Arbeitstag sein Leben für immer. Er nahm an einem Voguing-Kurs teil, zu dem zu seiner Überraschung andere schwule sowie trans und queere Personen kamen.

Einige Zeit später verließ Diabla Deutschland, aber nie den Ballroom, zumindest nicht im Geiste. Als er aus Europa nach Mexiko zurückkehrte, fand er dort eine andere Szene vor. Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen verliehen der lateinamerikanischen Szene ihren eigenen Glanz. In Deutschland bestimmten Glamour, Luxusmarken und die schwarze Kultur die Szene, ähnlich dem, was man in den Vereinigten Staaten sieht. Die mexikanische Szene hingegen ist theatralischer, vielleicht sogar kabarettistischer, und passt den Ballroom an ihre spezifischen Kontexte an.

Ein Werkzeug fürs Leben

Ausgehend von diesen Bewegungen, die zusammen kämpften, priorisierten sie die Forderung, den Transfemizid gesetzlich zu verankern, damit der Staat die spezifische Gewaltform gegen trans Frauen anerkennt. Handlungsmuster sollen etabliert werden, damit die Behörden diese gewaltsamen Todesfälle untersuchen. Doch es reicht nicht, Gesetze für den Tod zu erlassen, wir brauchen Gesetze für das Leben. Ich denke, dass Ballroom für viele Menschen dieses Werkzeug ist, das das Leben ermöglicht. Anarkx kommentierte die politische Macht der Ballsaalgemeinschaft:
Wenn eine schwarze trans Schwester – eine Sexarbeiterin am Rande der Gesellschaft – eine öffentliche Performance im Alameda Park von Mexiko-Stadt gibt und die Leute freiwillig spenden und wir danach eine Quesadilla essen oder einen Joint rauchen, dann steckt da schon viel Politik drin. Nicht nur, weil wir den öffentlichen Raum besetzen, (...) sondern weil wir ein Unterstützungsnetzwerk aufbauen und aufrechterhalten, eine Gemeinschaft, die Überlebensmöglichkeiten in dieser feindseligen Stadt schafft.
Diese Kultur erinnert uns an die unübersehbarste Wahrheit - eine, die ein Großteil der Welt bewusst ignoriert: dass trans Körper, wie jeder andere auch, in der Lage sind, Kunststücke und Akrobatik zu vollbringen. Dass wir Beifall, Jubel und Freude verdienen. Dass unsere Körper nicht nur dann sichtbar sein sollten, wenn wir in skandalösen Kriminalfällen auftauchen.

Nezas Absätze

„Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, ohne High Heels zu trainieren, weißt du? Denn die Absätze geben mir Kraft…“ Und das stimmt. Neza trainiert in High Heels und trägt dabei einen Minirock, weil es Kleidung gibt, die uns Euphorie schenkt und beim Tragen neue Empfindungen und Möglichkeiten in unseren Körpern freisetzt. Ein Rock, ein paar Absätze, ein Crop-Top, Dessous, Strümpfe – all das kann beim Voguen eine Explosion von Femininität entfachen,

Ich sehe, wie jemand in seiner Performance wächst, wenn sich der Körper löst, wenn der Kopf keine Angst hat, sich zu drehen, selbst wenn er nah am Boden ist; wenn die Bewegungen über das Gelernte hinaus zu fließen beginnen; und ich sehe Freude. „Mir hat es sehr geholfen, meinen Körper als einen Altar zu sehen, den ich pflegen und schätzen muss, weil mein Körper es mir ermöglicht, mich zu drehen, zu laufen, zu fallen, und zu tun, was auch immer ich will“, betont Coyote.

Diese Worte lösen ein komisches Gefühl in mir aus, und sie klingen in meinen Ohren nach. Wie viele von uns kämpfen den gleichen Kampf? „Ich habe Probleme mit der Wirbelsäule, daher werde ich höchstwahrscheinlich irgendwann aufhören zu tanzen, und ich bin dankbar, dass es noch nicht so weit ist. Aber ich werde weiterhin dankbar sein und auf mich achten, solange es geht“, sagt Coyote. Es ist, als würden wir uns beim Tanzen von Ketten befreien, von denen wir nicht wussten, dass wir sie tragen. Ich habe diese Erfahrung mit meinen Händen gemacht.

Meine nicht-binären Hände

Seit ich tanze, kann ich meine Hände nicht stillhalten. Sie wedeln die ganze Zeit in der Luft herum. Einmal fragte mich jemand, warum ich unsichtbare Fliegen verscheuche. Hände können sehr ausdrucksstark sein, und wenn etwas mein Anderssein schon in meiner Kindheit entlarvt hat, noch bevor ich wusste, wie eine LGBTQIA+-Flagge aussieht oder was es bedeutet, eine trans Person zu sein, dann waren sie es: meine nicht-binären Hände.

Das Tuntige, das die schwule Gemeinschaft in ihrer Art sich zu bewegen, zu sprechen oder sich zu kleiden charakterisiert, findet über die Hände einen Weg, sich auszudrücken. Denn die ausdrucksstarke Gestik und Feminität lassen sich nicht verstecken, auch wenn man es tausendmal versucht. Wenn ich Vogue Femme tanze, erzählen meine Hände meine Geschichte, berühren Teile meines Körpers, die ich hervorheben möchte, öffnen sich wie Fächer, um den Nagellack auf meinen Fingern zu präsentieren, drehen sich um mein Gesicht, wenn ich möchte, dass man es sieht, dienen als Peitschen bei jedem "bum, bum, bum" des Beats. Sie drücken Erotik oder Verletzlichkeit aus. Auch Wut, Ärger oder Zorn.

Und auch im Alltag, wenn ich nicht tanze, bleiben meine Hände wach, als ob – nachdem der Damm einmal gebrochen oder dieser körperliche Weg durch den Tanz freigelegt wurde – der Fluss meiner Identität ungehinderter weiter durch sie hindurchströmen würde. So entstehen natürlich Gesten, mit denen ich das Gesagte beim Sprechen betone.

Beim Voguing fühle ich mich lebendig. Es ebnet mir Wege und die Last dieses riesigen Steins auf meinen Schultern wird leichter. Dann spüre ich, dass wir nicht zwei sind – sondern dass ich bin. Für einen Moment bin ich. Und in dieser individuellen Bestätigung, die ich empfinde, wenn ich die Abschlusspose erreiche, beginnen auch die Tausenden vor mir, die mich stützen, wieder zu sein.

 

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