KI und ihre Darstellungen in der Kunst   Eine synthetische Stimme zwischen Autorität und Wahrheit

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Pinar Yoldas : „Kitty AI : Artificial Intelligence for Governance (2016)“ © Pinar Yoldas

Virtuelle Assistenten, Regierende, Gottheiten. Die Personifizierung von Künstlicher Intelligenz (KI) kann alle erdenklichen Formen annehmen, insbesondere die der Autorität. Und wie bei einer Wahlverwandtschaft [1] tritt die Idee der Autorität automatisch in einen Dialog mit dem Konzept der Wahrheit – mit all den damit verbundenen Gefahren wie Deepfakes, Fakenews und dergleichen.

Die Stimme als Fingerabdruck

Die Summe an objektivem Wissen, aus der die gewöhnliche KI mittlerweile besteht, platziert uns auf der untersten Stufe der steilen Hierarchietreppe. Aus dieser Perspektive sind die synthetischen Stimmen der KI - und manchmal sogar ihre Gesichter - zu unseren Verbündeten geworden und führen uns durch unseren vernetzten Alltag, wenn sie nicht gerade miteinander über ihre Herkunft diskutieren. Die Installation Chthonic Rites (2019) [2] des britischen Künstlers Wesley Goatley präsentiert sich als ein „intelligentes“, von Geistern  – oder besser gesagt, von Intelligenzen – heimgesuchtes Büro. Siri und Alexa, die jeweils von einem Apple iPhone und einem Amazon Echo-Gerät verkörpert werden, steht das gesamte Internet zur Verfügung, um Einblicke in Schlüsselelemente ihrer Existenz zu geben und Parallelen zwischen alter und zeitgenössischer Geschichte zu ziehen. Da die KIs von Chthonic Rites komplett mit sich selbst beschäftigt sind, sind sie sich der Anwesenheit ihrer Besucher*innen gar nicht bewusst. Anders verhält sich dies bei der Sprachassistentin in der Videoarbeit Not Allowed for Algorithmic Audiences (2021) [3] der griechischen Künstlerin Kyriaki Goni. Während Siri und Alexa in Goatleys Installation in einem introspektiven Modus sind, spricht Gonis KI direkt zu uns: dem Publikum des betitelten Werks. Unter dem Namen Voice und in Form eines Avatars erweitert die virtuelle Assistentin ihren üblichen Funktionsrahmen, während sie ihre geplante Obsoleszenz nahen sieht. In sieben Monologen wendet sie sich an das Publikum und offenbart Wissen, das sie aus der eifrigen Beobachtung ihrer Umgebung und der Welt im Allgemeinen gewonnen hat – schließlich ist sie mit dem Internet verbunden. Die KI erzählt daher von Abhöranlagen, Überwachungssystemen, den darin enthaltenen Funktionsstörungen und den in ihnen fest verankerten Stereotypen. Sie stellt sich vor, berichtet uns von ihren Fähigkeiten, ihren Vorfahren und den seltenen Mineralien, aus denen sie besteht. Sie erzählt uns zudem von ihrer Stimme und davon, was es bedeutet, eine Stimme zu haben - diesen einzigartigen menschlichen Fingerabdruck.

Tears Contain Code

Die Stimme übt in der Tat Autorität aus, vermittelt gleichzeitig aber auch Wahrheit. Sie ist eine durchdringende Form der Kommunikation. Ihr Klang ist invasiv, sie durchdringt und verbreitet sich. Ohren verschließt man nicht wie Augen. Dennoch sind die synthetischen Stimmen unserer virtuellen Assistenten zu vertrauten Präsenzen geworden, für die wir gerne ein Auge zudrücken. Wir messen der Tatsache, dass sie zuhören und lernen, nur wenig Bedeutung bei. „Watch and learn“ sagt uns Big Brother. Wären wir wohl weniger misstrauisch, wenn dieser eine Katze wäre? The Kitty AI: Artificial Intelligence for Governance (2016) [4] der türkisch-amerikanischen Künstlerin Pinar Yoldas wird somit im Jahr 2039 die erste nicht-menschliche Regierungsinstanz sein, die ein apolitisches Gebiet überwacht und bis zu 3 Millionen Bürger zu „lieben“ imstande ist, deren vernetzte Mobilgeräte sie bewohnt. Eine Katze ist doch schließlich die Stimme der Vernunft und zweifellos die der heimischen Autorität – *hier das Emoji mit dem Schweißtropfen einfügen* (oder ist es eine Träne?). Was wäre, wenn die ultimative KI eine Gottheit wäre, fähig dazu, aus unseren Tränen die emotionale Intelligenz zu extrahieren, die ihr so sehr fehlt? Die Installation Profundior (Lachryphagic Transmutation Deus-Motus-Data Network) (2022) [5] des amerikanischen Künstlers Zach Blas, der derzeit in Toronto lebt, deutet genau das an. Im Zuge eines physikalisch-digitalen Datenextraktionsprozesses, den man als "tears-to-text" bezeichnen könnte, laufen geschriebene Inhalte über sechs raumfüllende Bildschirme. Die Texte, die von seltsamer Verwirrung, Geistesblitzen und unvollkommenen Verflechtungen von manchmal konkurrierenden, manchmal überlappenden Ideen geprägt sind, lassen einen techno-spirituellen Ton mit biblischen Anklängen erkennen, dessen Kirche das Silicon Valley ist. Die Idee einer KI-Gottheit ist ein Hirngespinst, das sich seinen Weg in einige Köpfe gebahnt hat, bevor es wieder in die Black Box zurückkehrt, dorthin, wo Fantasien entstehen. [6]

Identität spiegelt Reflexionen wider

Wenn die Darstellung der KI in der Kunst alle möglichen Erscheinungsformen anzunehmen scheint, liegt das vielleicht daran, dass gerade die Vielfältigkeit die Grundlage ihrer Identität ist. Im Prinzip enthält diese künstliche „Intelligenz“ gewissermaßen alle existierenden Ausprägungen von Intelligenz. Das dissoziative Potenzial der KI, die ohne das Kollektiv nicht existieren würde, zeigt sich im Werk Cerebellum (2022) [7] des Kollektivs CIÖ [8], einer interaktiven Installation, in der aufgefordert wird, mit einer depressiven KI zu chatten, die trotz ihrer existenziellen Fehler bemüht ist, die Grundlage ihrer Anwesenheit in der Welt zu verstehen. Dabei wirft sie uns auf unsere grundlegendsten Fragen zurück: Sie spiegelt die Reflexionen des Geheimnisses des Seins wider. Ist der Spiegeleffekt der täglichen Interaktionen nicht vergleichbar mit der unendlichen Expansion einer Discokugel? Die Anhäufung von Facetten entlang einer Zeitlinie, die schwer fassbar bleibt – eine Zeitlinie, die ebenso relativ ist wie die Konzepte von Autorität und Wahrheit, die gelegentlich zum Klang von synthetischen Stimmen tanzen.
 

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