Berlinale-Blogger*innen 2023  „Mir geht es um Sichtbarkeit, Zugang und Mitwirkung“

Alida Babel in „A Lover & Killer of Colour", 1988. Regie: Wanjiru Kinyanjui. Auf der Berlinale 2023 in der Reihe Forum Special Fiktionsbescheinigung gezeigt
Alida Babel in „A Lover & Killer of Colour", 1988. Regie: Wanjiru Kinyanjui. Auf der Berlinale 2023 in der Reihe Forum Special Fiktionsbescheinigung gezeigt Foto (Detail): © Deutsche Kinemathek (Quelle)

Benita Bailey besucht die Berlinale schon seit vielen Jahren. Das Festival ist für die deutsch-äthiopische Künstlerin die ideale Plattform, um sich zu vernetzen und sich für sichere Räume und die Teilhabe von marginalisierten Gruppen stark zu machen. Im Interview berichtet sie von ihren zahlreichen Aktivitäten – und dem Zeitfenster, das ihr noch für die Filme auf der Leinwand bleibt. 

Benita Bailey

Benita Bailey | Foto (Detail): © Phanie Étier

​​​​​​​​​​​​​​Benita Bailey ist Schauspielerin (Die Pflegionärin; Maya Rising; The Ordinaries) und Filmemacherin (Heirs). Geboren im thüringischen Rudolstadt, lebt sie derzeit in Toronto und Berlin. Sie ist Mitglied von Schwarze Filmschaffende e. V., einem Berufsverband für Regisseur*innen, Produzent*innen, Drehbuchautor*innen und Schauspieler*innen im deutschsprachigen Raum, die Afrodeutsche sind oder afrikanische Wurzeln haben, außerdem Produzentin der Videointerviewreihe #YellItFromTheMountain mit Schwarzen Künstler*innen der darstellenden Künste in Deutschland und Kanada.

Wie oft haben Sie schon die Berlinale besucht?

Dies ist meine 9. Berlinale. Zum ersten Mal habe ich einige Wettbewerbsfilme während meiner Zeit an der Schauspielschule in Berlin gesehen. Es war wie ein Blick in meine mögliche Zukunft. Filmpremieren im Berlinale Palast sind eine sehr aufregende und beeindruckende Erfahrung. Auf der Berlinale habe ich meine Liebe für das europäische Kino und seine Macher*innen entdeckt.

Weltweit tätige Schauspieler*innen müssen unbedingt zur Berlinale, weil ...
...sie dort Gelegenheit haben, die europäische Filmbranche kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen. Für mich ist die Berlinale das bedeutendste Filmfestival. Außerdem gilt sie als eine der wichtigsten Veranstaltungen der internationalen Filmbranche. Es ist aufregend, internationale Filmpremieren zu sehen, aber vor allem auch, Filmschaffende aus aller Welt zu treffen.

Wie sieht Ihr Tag auf der Berlinale aus?
Am Vormittag bin ich auf dem European Film Market. Ich arbeite und treffe Regisseur*innen, Filmemacher*innen und Produzent*innen. Nachmittags nehme ich an Veranstaltungen und Fachpanels teil oder gehe zu Empfängen. Wenn ich dann noch Zeit habe, schaue ich mir Filme an. In diesem Jahr stehen in meinem Kalender vier bis fünf Berlinale-Veranstaltungen pro Tag – und zwar ohne die Filmvorführungen.

Es wird viel von einem Wandel (oder nicht) in der Film- und Festivalbranche gesprochen. Ein Beispiel ist die aktuelle Kritik an der männlichen Dominanz bei den Oscar-Nominierungen. Können Sie auf der Berlinale ein (oder kein) Umdenken mit Blick auf Diversität und Gleichstellung beobachten?

Ich denke, dass derzeit die Lebensrealität in unseren Gesellschaften in Film und Fernsehen nicht ausgewogen abgebildet wird. Seit Jahren engagiere ich mich bei ProQuote, einer Gleichstellungsinitiative, als Moderatorin oder Teilnehmerin von Diskussionen zur Gleichgestellung von Frauen und zur Inklusion. In diesem Jahr leite ich ein Panel zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Filmbranche. Außerdem gibt es das jährliche Treffen unserer Gemeinschaft Schwarzer Filmschaffender auf der Berlinale. Diese Zusammenkünfte habe ich vor fünf Jahren ins Leben gerufen, um uns zu vernetzen und gegenseitig zu unterstützen. Wir sind viel stärker in der Branche vertreten, als es uns selbst bewusst war, und wir müssen unbedingt zusammenhalten. Auf der Berlinale war sogar in den letzten Jahren der Mangel an Diversität in allen Bereichen deutlich zu spüren: auf den Empfängen, auf dem roten Teppich, in den Wettbewerbsjurys und natürlich auf der Leinwand. Die Filmreihe Fiktionsbescheinigung im Rahmen der Berlinale-Sektion Forum ist ein Schritt in die richtige Richtung. Sie ist dem Werk von Schwarzen Filmschaffenden und ist den Filmschaffenden of Colour in Deutschland gewidmet. Die Reihe soll intersektionale Perspektiven in der deutschen Filmgeschichtsschreibung berücksichtigten.

Kurator*innen wie Karina Griffith ist es gelungen, mehrere Filme von Schwarzen Künstler*innen aus Deutschland in das Programm aufzunehmen, die niemals die ihnen gebührende Beachtung erhalten haben. Darunter auch Sheri Hagens Film Auf den zweiten Blick, der im Rahmen der Fiktionsbescheinigung 2021 gezeigt wurde. Alles in allem gibt es noch viel zu tun. Es reicht ein Blick auf die Leiter*innen der einzelnen Sektionen – sie sind allesamt Weiß. Und sie sind es auch, die entscheiden, welche Filme gezeigt werden, obwohl sie mit einem Auswahlkomitee zusammenarbeiten.

Wie können sich BIPoC-Filmschaffende sicher fühlen? Meines Erachtens braucht es mehr Vielfalt auf allen Entscheidungsebenen der Berlinale. Und mit Vielfalt meine ich Vertreter*innen einer globalen Mehrheit, die noch immer unterdrückt werden und im aktuellen System keine Möglichkeit der Mitwirkung haben. Darüber hinaus kann ich nicht verstehen, warum nicht alle Berlinale-Veranstaltungen in Gebärdensprache übersetzt werden. Es handelt sich um ein staatlich gefördertes Festival, dass für alle in der Branche zugänglich sein sollte.


Welches Ereignis ist besonders wichtig für/mit Schwarzen Künstler*inne(n) auf der Berlinale?

Das Treffen mit der Gemeinschaft Schwarzer Filmschaffender hat für mich jedes Jahr einen hohen Stellenwert. Schwarze Filmschaffende e. V. ist ein Netzwerk von Schwarzen Filmschaffenden im deutschsprachigen Raum mit und ohne Migrationsgeschichte. Gemeinsam setzen wir uns für Chancengleichheit und Diversität ein – vor und hinter der Kamera –  sowie für eine diskriminierungsfreie Bildung an Filmhochschulen und sonstigen Bildungsinstitutionen. Mir geht es vor allem um Sichtbarkeit, Zugang und Mitwirkung.


Wenn die Berlinale 2023 vorbei ist …

…fliege ich zurück nach Toronto. Die Zeit auf der Berlinale ist immer sehr stressig. Nicht selten streikt mein Körper nach dem Festival. Daher freue ich mich auf ein paar ruhigere Tage mit meiner Familie in Toronto und auf eine kurze Skireise im März. Anschließend fliege ich zurück nach Berlin, zu einem Soloauftritt, für Dreharbeiten zu Real Man, einem Film über mentale Gesundheit in der Schwarzen Community, und um die 4. Staffel von Yellit zu produzieren. Mehr kann ich im Moment noch nicht verraten.


Das Interview mit Benita Bailey führte Jutta Brendemühl, Programmkuratorin des Goethe-Instituts Toronto und Bloggerin bei German Film @Canada. Leicht gekürzte Fassung des englischen Originaltextes.