Ozan Zakariya Keskinkılıç hat mit „Hundesohn“ einen vielbeachteten Debütroman hingelegt und gleich mehrere Preise gewonnen. Im Interview erzählt er, wie Schreiben zum Erkundungsprozess wurde, wo sich Glauben und Begehren berühren und wieso Verwandlung manchmal monströs sein muss.
Seine Sprache ist sinnlich wie ein Vorspiel, rhythmisch wie ein Gedicht und wohlriechend wie Salbei und Thymian. Als Lyriker und Wissenschaftler vereint Ozan Zakariya Keskinkılıç in Hundesohn poetische Intensitäten mit einem genauen Blick auf muslimisch-queere Lebenswelten. Im Roman bewegt sich Zeko zwischen Freitagsgebet und Grindr-Dates, während er Hassan herbeisehnt. Doch Hassan ist nicht nur seine Sommerliebe aus Adana, sondern auch der titelgebende Hundesohn. Daher haben wir zunächst gefragt …Ozan Zakariya Keskinkılıç, wer oder was ist eigentlich ein Hundesohn?
Es ist ein Schimpfname aus dem Arabischen, Ibn-al-Kelb, und Türkischen, Köpek oğlu köpek. Irgendwann tauchte das Wort im Deutschen auf, es ist vor allem negativ konnotiert. Ein Hundesohn ist schmutzig, frech und dumm, er soll gehorchen und sich unterwerfen. Er wird verstoßen und gezüchtigt.
Im Roman wird der Begriff vom Protagonisten Zeko allerdings umgedeutet.
Zeko verbindet mit einem Hund auch etwas Liebevolles. Mich fasziniert das Zusammenspiel der beiden Extreme: einerseits das zärtliche, andererseits das gewaltvolle Potenzial.
Zeko zählt die Tage bis zum Wiedersehen mit Hassan. Was ist das für eine Sehnsucht?
Er entwickelt eine Besessenheit für Hassan, ähnlich wie der Landvermesser K. für das Schloss bei Kafka, der in Hundesohn quasi einen Gastauftritt hat. Es geht mir um Grenzräume und Außenseiter, die auf der Suche sind nach Zugehörigkeit und der Erfüllung großer Sehnsüchte. Hassan wird für Zeko zur Projektionsfläche, nicht nur für sein sexuelles Begehren, sondern auch dafür, jemand anderes zu sein.
Sobald sich ein Begehren erfüllt, löst sich die Spannung, die es nährt, in Luft auf. Zeko befriedigt zwar seine Lust, er trifft verschiedene Liebhaber, verzehrt sich nach ihnen, er ist körperlich völlig präsent – und dennoch ist er gleichzeitig abwesend, weil er an Hassan denkt, vergleicht und regelrecht nach ihm ruft. Das Begehren zu Hassan begleitet uns als unerfüllbare Konstante in der Geschichte.
Ist Hassan so ideal, wie Zeko ihn sich vorstellt?
Natürlich nicht. Zeko spürt das auch. Hassan ist widersprüchlich: dominant, abweisend, aber auch liebevoll. Liebe und Hass liegen hier nah beieinander. Deshalb wechseln sich im Roman auch schöne und schmerzhafte Erinnerungen ab.
Bei diesem Pendelspiel bewegt sich Zeko zwischen Freitagsgebet und Grindr-Dates. Was verbindet Sex und Glaube bei Zeko?
Es ist nicht nur eine Liebesgeschichte zwischen Zeko und Hassan, sondern auch zwischen Zeko und seinem Gott. Nicht nur Hassan ist ständig anwesend, Gott ist es auch. Die Sehnsucht zu Gott spiegelt sich in der Beziehung zu geliebten Menschen. Beides sind Formen der Hingabe.
Es gibt viele Formen, Glauben und Begehren zu leben jenseits normativer Vorstellungen.
Weil der Islam oft als Inbegriff der Homofeindlichkeit gelesen wird. Queere Muslime stehen unter doppeltem Druck, von außen und von innen. Immer müssen sie sich erklären, von allen möglichen Seiten werden sie zur Zielscheibe genommen für Ablehnung und Hass, für Ignoranz und Gewalt. Deswegen ist diese Schnittstellenerfahrung auch so brutal. Dabei gibt es viele Formen, Glauben und Begehren zu leben jenseits normativer Vorstellungen.
Zeko geht auch in die Kirche, auf den Beichtstuhl. Was verspricht er sich davon?
Er spielt mit der Erwartung, sich offenbaren zu müssen. In der Beichte hat er nichts zu beichten, lügt und beichtet am Ende doch. Das ist eine Reaktion auf eine säkulare Dominanzkultur, die andauernde Authentizität einfordert und Zeko will sich dem entziehen.
Dennoch ist Zeko nicht frei von Normdruck. Wie geht er mit Anpassung und Verwandlung um?
Anpassung bedeutet, eine Norm zu imitieren, um zu existieren. Verwandlung dagegen bedeutet, hin- und herwechseln zu können, dem vermeintlichen Ideal nicht auf den Leim zu gehen, sondern sich vielleicht sogar in ein Monster zu verwandeln. Verwandlung bietet daher auch die Möglichkeit, sich zu befreien.
Wovon mussten Sie sich beim Schreiben des Romans befreien? Und welche Verwandlung mussten Sie dabei eingehen?
Ich habe geschrieben, ohne zu wissen, wohin es geht. Ich habe die Kontrolle abgegeben. Das war der Schock. Mit den verschiedenen Stimmen in meinem Kopf war am Ende wichtig, die literarische Stimme gewinnen zu lassen. Früher war ich ein ängstlicher Schreibender, habe zu viel Risikomanagement betrieben. Doch in den letzten Jahren hat sich das verändert. Schreiben ist für mich ein Erkundungsprozess geworden.
Ich schreibe an einem neuen Gedichtband und meinem zweiten Roman. Aktuell beschäftige ich mich mit verschiedenen Mythologien, ihren Bildern und Funktionen. Mich interessiert, welche Verwandtschaft zwischen Figuren besteht, aber auch wie wir neue Fabelwesen und Kreaturen erschaffen, die uns etwas über das Menschsein lehren. Ich habe mich intensiv mit Şahmaran beschäftigt, vergleichbar mit der griechischen Medusa. Halb Mensch, halb Schlange. Şahmaran ist für die queere Bewegung in der Türkei eine Ikone geworden. Diese Grenzübertritte zwischen Mensch und Tier faszinieren mich weiterhin.
Im Sommer 2026 sind Sie Stipendiat der Kulturakademie Tarabya. Was planen Sie dort?
Ich glaube an eine enge Beziehung zwischen Text, Raum und dem Körper. In Istanbul werde ich mich mit anderen Autor*innen austauschen und Autor*innen lesen, die sich mit der Stadt befasst und aus ihr heraus geschrieben haben. Und natürlich werde ich den Ort hin und wieder verlassen. Schreiben bedeutet, in Nähe und in Distanz gehen zu können. Man muss sich in alle Richtungen verwandeln, raus und hinein. Mal schauen, welche Texte daraus entstehen.
Berlin: Suhrkamp, 2025, 219 S.
ISBN: 978-3-518-43254-9
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe.
November 2025