Sprechstunde – die Sprachkolumne  Verbieten? Aneignen? Neu erfinden?

Ein blau getöntes Foto zeigt Demonstrierende bei einem „Slut Walk” in Philadelphia im August 2011. Vorwiegend weiblich gelesene Personen tragen Plakate, auf denen unter anderem steht: „Mein Arsch ist keine Einladung zum Übergriff“
Demonstrant*innen bei einem „Slut Walk” in Philadelphia im August 2011. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Joseph Kaczmarek

Nicht nur Bettina Wilpert kritisiert die autoritäre Sprachpolitik der aktuellen US-Regierung. Denn wenn Begriffe verschwinden, lässt sich vieles nicht mehr benennen. Manchmal hingegen ist es gut, wenn Wörter ersetzt werden. Und wo steht geschrieben, dass man keine neuen Wörter erfinden darf?
 

Weltweit sind autoritäre Regierungen auf dem Vormarsch, sei es in Europa, Südamerika oder den USA. Der gesellschaftliche Kampf über Diskurshoheit wird auch über die Sprache geführt: So ließ der US-amerikanische Präsident Donald Trump im März 2025 ganze Wörter streichen. Ministerien, Behörden oder staatlich finanzierte Institutionen wurden durch Memos angewiesen, bestimmte Begriffe nicht mehr zu benutzen. Besonders Diversität und Inklusion sind der Trump-Regierung ein Dorn im Auge. In Ungnade gefallen sind beispielsweise Begriffe wie „racism“ oder „Native American“. Wenn man den Begriff Rassismus nicht mehr benutzt, verschwindet er dann aus der Welt?

Feldzug gegen die Sprache

Genauso ergeht es Wörtern, die sich auf die Rechte von trans und queeren Personen beziehen. Begriffe wie „pregnant person“ (schwangere Person), non-binary oder gender identity sollen nicht mehr verwendet werden. Von dem Akronym LGBTQ (lesbian, gay, bisexual, trans, queer) bleibt teilweise auf Webseiten nur noch LGB übrig. Für die Trump-Regierung gibt es nur zwei Geschlechter. Doch trans Frauen sind immer noch Frauen, selbst wenn die Republikaner*innen durch Inbesitznahme der Sprache daran arbeiten, ihre Rechte abzuschaffen.

Die US-amerikanische-Regierung hat bisher noch keine Wörter vollständig verboten. Anders verhält es sich in Russland, dort steht es beispielsweise unter Strafe, den Ukraine-Krieg als solchen zu benennen.

Doch lassen sich Wörter tatsächlich verbieten? Denken können wir jederzeit, was wir wollen, aber Sprache ist mächtig. Sprache macht unsere Welt. Sprache beeinflusst, wie wir denken und was wir uns vorstellen können. Wenn uns die Begriffe fehlen, um etwas zu benennen, entsteht ein Problem.

Aktueller Blick auf alte Kinderbücher

Ich selbst will zwar keine Wörter verbieten, es gibt allerdings einige Wörter, die ich wirklich nicht mehr hören will. Hier einige Beispiele: Bei einem Fußballspiel von BSG Chemie Leipzig titulierten die Fans am Ende des gewonnenen Spiels die Verlierenden als „Hurensöhne“. Oder: Als ich an Weihnachten bei meiner Mutter war und meinem Kind aus „Die Kinder aus der Krachmacherstraße“ von Astrid Lindgren vorlas, stolperte ich über das Kapitel „Lotta ist ein N-Wort Sklave“. Ich übersprang es beim Vorlesen. Meine Mutter besaß noch eine alte Ausgabe des Buches, inzwischen hat der Oetinger-Verlag das ganze Kapitel gestrichen. Seit Jahren ist außerdem der ebenfalls von Astrid Lindgren erdachte Vater von Pippi Langstrumpf ein Südseekönig.

Rassistische Wörter haben in Kinderbüchern heute nichts mehr zu suchen. Die Problematik bleibt trotz der Streichungen und Umbenennungen jedoch bestehen: Nur weil ein Wort aus unserem Sprachgebrauch verbannt ist, ist das Konzept damit nicht verschwunden. So bleibt Pippis Vater auch in den Neuausgaben ein kolonialistischer Ausbeuter.

Positive Umdeutung

Da es schwierig ist, Wörter vollständig aus der Sprache zu verbannen, kommt es in linken und feministischen Bewegungen immer wieder zu Aneignungen: Vormals negative Begriffe werden dann positiv besetzt. Das Wort „queer“ bedeutete auf Englisch ursprünglich „verschroben“ oder „komisch“. Inzwischen ist es eine Selbstbezeichnung geworden. Ähnlich erging es der „Schlampe“. 2011 hatte ein kanadischer Polizist gesagt, Frauen sollten sich nicht wie Schlampen anziehen, um keine Opfer zu werden. Die Folge: weltweite „Slut Walks“ – Demos, auf denen gegen Vergewaltigungsmythen demonstriert wurde.

Nicht immer gelingen Aneignungen. Das Hip-Hop-Duo SXTN proklamierte bereits 2017 „Die Fotzen sind wieder da“ und die Rapperin Ikkimel bezeichnet sich selbst als „allergrößte Fotze der Stadt“. Beide Male verkommt hier aber der Gebrauch des Wortes zur bloßen Pose, denn es fehlt eine politische Einbettung in größere gesellschaftliche Zusammenhänge wie sie in der queeren Bewegung oder bei den Schlampenmärschen stattfand.

Lieber neu

Wie wäre es denn, wenn Wörter neu erfunden würden, statt dass sich Menschen negativ besetzte Ausdrücke nur aneignen? Die Hurensöhne wären dann die Hundesöhne. Statt Fotze hieße es Vulvina. Penetration hieße Zirklusion. Man kann Wörter nicht verbieten. Doch man kann mit ihnen eine Agenda verfolgen und neue Sichtweisen prägen.
 
Sprechstunde – die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.

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