Sprechstunde – die Sprachkolumne  Verschleierungstaktik

Hamburger Rathausmarkt: Teilnehmerinnen von „Handmaidsriot” mit einer Aktion gegen Femizide
Hamburger Rathausmarkt: Teilnehmerinnen von „Handmaidsriot” mit einer Aktion gegen Femizide Foto (Detail): © picture-alliance/ dpa | Georg Wendt

Unangenehme Tatsachen sprachlich glätten und beschönigen – das gelingt mit dem Stilmittel Euphemismus. Bettina Wilpert lüftet die Hüllen und fragt, was hinter den Umschreibungen stecken könnte. Unbedingt genau auf die Wörter schauen, ist ihr Rat. Gerade bei politisch heiklen Themen.
 

Mit 13 Jahren fuhr ich das erste Mal nach Berlin. Mit dem Regionalzug tuckerten meine Mutter und ich von Oberbayern aus in die Hauptstadt. Aus geplanten zehn Stunden wurden zwölf, als der Zug irgendwo zwischen Landshut und Hof auf der Strecke zum Stehen kam. Im vollgestopften, nicht klimatisierten Zug teilte uns der Schaffner mit, dass es einen „Personenschaden“ gegeben habe und die Weiterfahrt sich auf unbestimmte Zeit verzögere. Diesen Begriff hörte ich damals zum ersten Mal. Ich weiß noch, wie ungläubig ich war, als meine Mutter mir frei heraus erklärte, „jemand hätte sich vor den Zug geschmissen“.

Das Sterben wird nicht benannt

„Personenschaden“: Solch ein Euphemismus findet sich immer wieder in unserem Sprachgebrauch. Der Duden definiert dieses Stilmittel wie folgt: Es ist eine „beschönigende, verhüllende, mildernde Umschreibung für ein anstößiges oder unangenehmes Wort“. Vor allem bei gesellschaftlich tabuisierten Themen, die mit Scham verbunden sind, kommen Euphemismen zum Einsatz. So wird beispielsweise das Wort „ableben“ verwendet, um nicht „sterben“ sagen zu müssen.

Aufgefallen ist mir, dass Euphemismen häufig in Gebrauch sind, um eine bestimmte Weltsicht zu propagieren. Da heißt es dann verschleiernd, ein Soldat sei „gefallen“, statt: Er ist getötet worden. Auch menschliche Opfer, die bei kriegerischen Handlungen zu Tode kommen, werden durch Hüllwörter verdinglicht: Sterben beispielsweise bei einem militärischen Angriff unbeabsichtigt Zivilist*innen, ist von „Kollateralschäden“ die Rede.

Teilweise bis heute hat sich in der deutschen Geschichtsschreibung der Begriff „Euthanasie“ gehalten. Das ist hierzulande besonders problematisch, wurden doch während der NS-Diktatur unter der Überschrift Euthanasie mehr als 200.000 Menschen in dafür eingerichteten Tötungsanstalten ermordet. Der Begriff war ganz klar eine euphemistische Bezeichnung für die geplante und systematische Tötung insbesondere von körperlich und psychisch kranken Personen.

Strukturell statt individuell

Auch Morde, die aufgrund patriarchaler Gewalt stattfinden, werden oft euphemistisch umschrieben. Bringen Männer (oft ihnen nahestehende) Frauen um, weil sie Frauen sind, ist in manchen Medien selbst im Jahr 2025 teilweise noch von „Beziehungstat“ oder „Familientragödie“ die Rede. Eine exakte Bezeichnung für diese Tötung von Frauen und Mädchen als extreme Form von geschlechtsbezogener Gewalt wäre jedoch das Wort Femizid. Hier gilt: Nur der korrekte Begriff kann sichtbar machen, dass es sich um ein strukturelles und keinesfalls individuelles Problem handelt: Laut einer Recherche der Wochenzeitschrift Die Zeit wurden 2024 104 Frauen von Ehemännern, Partnern oder Ex-Partnern getötet. Laut dem Bundesinnenministerium kam es sogar fast jeden Tag des Jahres zu einem Femizid.

Auch wenn es um Tiere geht, wird man nicht explizit. So heißt es etwa in der Jägersprache, dass Wildtiere „entnommen“ werden. Das bedeutet nicht etwa, dass man einen Bären fängt und ihn woanders wieder aussetzt. Sondern das heißt, dass man ihn tötet, vermutlich erschießt.

Die Methoden der Rechtsextremen

Um ihre politische Meinung wirkungsvoll zu verbreiten, bedienen sich rechtsextreme Kreise ebenfalls der Beschönigungen. Anfang 2024 kam es bundesweit zu Demonstrationen. Eine Recherche des Medienunternehmens Correctiv hatte ergeben, dass bei einem Geheimtreffen von Rechtsextremisten, zu dem sich unter anderen auch AfD-Mitglieder gesellt hatten, die Deportation von Millionen von Menschen aus Deutschland geplant worden war. Verharmlosend bezeichnete die extreme Rechte dieses Vorhaben als „Remigration“. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Migrationsforschung und beschreibt die freiwillige Rückkehr von Menschen in ihre Heimatregion.

Der extremen Rechten steht die sogenannte Lebensschutz-Bewegung nahe – genau genommen müsste sie Abtreibungsgegner*innen-Bewegung heißen. „Lebensschutz“ vermittelt den Eindruck, als wären nur die, die sich unter dieser Fahne versammeln, am Schutz von Leben interessiert. Damit wird impliziert, dass Feminist*innen, die für ein Recht auf Abtreibung einstehen, sich etwa für den Tod behinderter Kinder aussprechen würden.

Genau hinschauen!

Gemäß einem autoritären Politiker wie dem US-Präsidenten Donald Trump wird etwas wahr, wenn man es nur oft genug äußert und bekräftigt – so funktioniert auch sein Konzept der steten Falschbehauptungen. Und beispielsweise die Rechtsextremen haben ein großes Interesse daran, dass sich ihre „alternative Fakten“ (Unwort des Jahres 2017) in der öffentlichen Auseinandersetzung durchsetzen. Es lohnt sich also, bei manchen, oft zunächst harmlos daherkommenden Wörtern genau hinzuschauen – gerade, wenn es um politisch umstrittene und umkämpfte Themen geht.

 

Sprechstunde – die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.

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