Eid al-Fitr, Fronleichnam, Jom Kippur -– wichtige Feiertage für ihre Religionsgemeinschaften. Sineb El Masrar reflektiert, wie diese unterschiedlichen religiösen Festtage den Schul- oder Arbeitsalltag in Deutschland beeinflussen.
Dabei werden religiöse Feiertage, wie wir sie in Deutschland vornehmlich als christliche Feiertage kennen, trotz Anlass oft gar nicht gefeiert. Manchmal nur, wenn kleine Kinder im Haushalt leben und der Osterhase, der zwar nicht zu den zwölf Aposteln gehörte, aber trotzdem – zwecks Tradition - die Schokoeier verstecken muss.
Seit Jahrzehnten dienen diese Feiertage vielen zur Erholung vom Arbeitsalltag. Auf der Couch herumliegen, raus in die Natur fahren oder einfach die Unordnung daheim beseitigen. Manchmal teilen aber auch Christ*innen mitten in Deutschland das gleiche Leid mit Muslim*innen. Angelehnt am Futterneid nenne ich es Feiertagsneid. So erging es mir als Muslimin im mehrheitlich protestantischen Niedersachsen.
Feiertagsneid in der Schule
Meine Mitschüler*innen und ich beneideten stets unsere an einer Hand abzuzählenden katholischen Mitschüler*innen. An Fronleichnam zum Beispiel – das Hochfest des Blutes und Leibes Jesus Christus. Kurz: es geht vor allem um seine Lebendigkeit, weniger um sein Leichnam, obgleich der Name das Gegenteil vermuten lässt. Während wir also in der Grundschule uns in Diktate schreiben übten oder uns später damit abmühten die chemischen Elemente in unsere pubertierenden Gehirne zu hämmern, hatte diese einstellige katholische Gruppe einfach frei. Neidisch waren wir! Wir wollten auch! Immer diese Extrawurst für Katholik*innen! Junge Menschen sind sehr begabt darin das nachzuplappern, was daheim ihre Eltern am Esstisch sticheln.Als Kind muslimischer Eltern war ich Ausnahme und Regel zugleich. Für mich galten die gesetzlichen protestantischen Feiertage. Keine Extras, wie bei einer katholischen Mitschülerin aus der Grundschule zum Beispiel. Durch sie lernte ich zum ersten Mal, dass es verschiedene Christ*innen gab. Für mich als Muslimin, die als Teenager im Ramadan fastete, galt keine Ausnahme. Kein frei, wenn wir Muslime weltweit Eid al-Fitr, das Ende des Ramadan, oder später das Opferfest für drei Tage begingen. Meine Eltern kamen nicht auf die Idee, denn: „Schule ist wichtig, Kind!“
In der Arbeitswelt ist diese Konfessionsdiversität eigentlich kein Problem, wenn nicht sogar ein Vorteil. Ein Journalistenkollege übernahm letztes Jahr einfach mit seinem ebenfalls nicht-christlichen Kollegen die Schichten über die Weihnachtsfeiertage, damit die anderen Kolleg*innen mit ihren Familien feiern konnten. Im Umkehrschluss können Menschen anderer Konfessionen in Absprache sich an den für sie wichtigen Feiertagen frei nehmen.
Religiöse Vielfalt
Über 80 Konfessionen gibt es in Deutschland. Regelmäßig kann Mensch etwas Neues über die Vielfalt in diesem Land lernen. Was unsichtbar schien, wird sichtbar. Deutschland hat eine sehr alte christliche und wie wir vor allem durch den deutsch-jüdischen Festakt 2021 wissen, auch eine 1.700 Jahre jüdische Geschichte. Wenn man das bedenkt, müsste es eigentlich schon längst gesetzliche jüdische Feiertage geben. Neid ist also definitiv kein guter Ratgeber. Dieser hat nicht nur in der Vergangenheit zu viel Leid geführt. Hinzu kommen rund 41 Prozent Konfessionslose. Die Zahl ist vermutlich höher, weil manche Religionsgemeinschaften eher ein Problem damit haben, wenn jemand sagt: Leute, ich bin raus! Das ist mir alles zu unglaubwürdig.Dank unserer Demokratie können wir das christliche Erbe, was sich in den gesetzlichen Feiertagen widerspiegelt, mit der religiösen Vielfalt genauso akzeptieren, wie die zunehmende konfessionslose Weltanschauung. Alles machbar, wenn Mensch sich vom Feiertagsneid verabschiedet.
Wo wir wieder bei meiner katholischen Mitschülerin wären. Rückblickend beneide ich sie nicht. Sie wurde von ihren Eltern recht bald auf ein katholisches Internat geschickt. Dann doch lieber flexible Feiertage nach Absprache.
„Ausgesprochen …“
In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Sineb El Masrar, Susi Bumms, Maximilian Buddenbohm und Marie Leão. Sineb El Masrar schreibt über Einwanderung und die Multi‑Kulti‑Gesellschaft in Deutschland: Was fällt ihr auf, was ist fremd, wo ergeben sich interessante Einsichten?
Mai 2022