Ausgesprochen ... integriert  Liebgewonnene Bräuche aus dem Land der Eltern

Kabylische Frauen in traditionellen Gewändern bereiten Couscous in Algerien zu.
Couscous ist das Nationalgericht in vielen Maghreb-Ländern, darunter Algerien, Marokko, Tunesien und Libyen. Auf Antrag von vier Maghreb-Ländern wurden die Praktiken im Zusammenhang mit der Herstellung und dem Verzehr von Couscous offiziell in die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO für 2020 aufgenommen. Foto (Detail): Billal Bensalem © picture alliance / NurPhoto

Oft zeigen sich auch bei der zweiten oder dritten Generation eingewanderter Familien noch Spuren mitgeführter Bräuche. Sineb El Masrar diskutiert, wie sich Traditionen im Laufe der Zeit wandeln können und warum man kein Betonklotz sein sollte.

Seit Menschen sich von einem Fleck zum anderen bewegen und sich niederlassen, wandert auch immer etwas von dem alten Leben dieser Menschen mit ihnen mit. Es sind Bräuche, Rezepte, Lieder, Anekdoten von Familienangehörigen oder einer Gruppe, denen sie sich zugehörig fühlen.

Manche kulturelle Praktiken entstehen aus einer Mischung persönlicher Interessen und sozialem Druck. Wenn wir heute auf die erste Einwanderer*innengeneration blicken und ihre hier in Deutschland geborenen und sozialisierten Nachkommen und damit auf die zweite, dritte und auch vierte Generation einer eingewanderten Familie, lassen sich immer Spuren von den mitgeführten Bräuche finden.

Freitag ist Couscous-Tag

Als jemand die marokkanische Wurzeln hat und die Tochter zweier Marokkaner*innen ist und somit die zweite Generation dieser Familie darstellt, sind auch an mir ein paar marokkanische Bräuche hängengeblieben. Obwohl ich weder in Marokko geboren wurde, noch lange Zeit in Marokko gelebt habe. Dennoch ist an einem Freitag, der als muslimisch heiliger Wochentag mit dem christlichen Sonntag vergleichbar ist, Couscous-Tag. Das ist zum einen recht marokkanisch und zum anderen städteübergreifend ein Brauch, den Marokkaner*innen sowohl in den Küstenstädten des Landes zelebrieren, wie auch im Atlasgebirge oder in Ostmarokko.

Aber, wie so oft sind kulturelle Bräuche nichts Statisches. Sie sind menschengemacht und Menschen passen sich an, vermischen ihre Traditionen mit den Bräuchen und den Leuten vor Ort. Denn wer von einem Fleck zum anderen Fleck zieht, lernt auch die Gebräuche der Menschen vor Ort kennen - ob Mensch will oder nicht. Entscheidend ist, bringt Mensch das Interesse auf, sich für andere Kulturen zu öffnen oder ist er/sie lieber wie ein Betonklotz, der sich nicht vom Platz fortbewegt. Schlicht unflexibel, schwerfällig und grau. Bekanntlich geben Bräuche aus der alten Heimat Orientierung in einer Welt, die einem auch 20 oder 50 Jahre nach der Einwanderung fremd geblieben ist.

Bräuche aus einer archaischen Gesellschaft

Aber genau das ist das Problem von Betonklötzen. Während sich die Welt um sie herum füreinander interessiert, sich neu erfindet und bunter und vielfältiger wird, verbleibt der Betonklotz geistig an einem Fleck. Schwerfällig und weiterhin grau, meist allein und wenig einladend. Verantwortlich für diese Inflexibilität sind meist jene Bräuche und Traditionen, die den destruktiven Teil einer Kultur ausmachen. Bräuche, die in einer patriarchalen und archaischen Gesellschaft Sinn ergaben und identitätsstiftend waren, aber bereits in der Vergangenheit durchaus für persönliches Unglück sorgten. Denn eine Verheiratung beispielsweise, sei sie aus Zwang oder arrangiert, mag aus strategischen Gründen vielleicht Sinn machen,  weil sich die Besitzverhältnisse beider Familien positiv auf die Erbverhältnisse auswirken oder Religionskonflikte vermieden werden sollen. Aber eine solche Hochzeit erzeugte auch schon in den damaligen Zeiten Unzufriedenheit.

So ist es mehr als angebracht, jenen Teil einer Kultur, egal ob neu mitgebracht oder nicht, auf destruktive Traditionen und Bräuche zu überprüfen – also auf die Frage hin, ob Zwang und persönliches Unglück zur Umsetzung in Kauf genommen wird. So gibt es je nach Familie mit Einwanderungsgeschichte jene, die wie Betonklötze vor allem sich selbst und ihren Lieben im Weg stehen und andere, die schon längt begriffen haben, dass kulturelle Eigenheiten immer und gerade bei Wanderungsbewegungen dynamisch sind.

So mag der marokkanische Freitags-Couscous eine feste Tradition sein, aber entscheidend bleibt, ihn mit seinen Lieben zu genießen. Sogar in einer vegetarischen oder veganen Version. Hauptsache alle verbringen eine gute Zeit. Zwanglos!


 

„AUSGESPROCHEN …“

In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Sineb El Masrar, Susi Bumms, Maximilian Buddenbohm und Şeyda Kurt. El Masrar schreibt über Einwanderung und die Multi‑Kulti‑Gesellschaft in Deutschland: Was fällt ihr auf, was ist fremd, wo ergeben sich interessante Einsichten?