Ausgesprochen ... Berlin  PorYes statt PorNo

Frau mit Sonnenbrille
Berliner Szene-Star Susanne Sachsse bei einer Vorstellung des Films "Die Misandristinnen" Foto (Detail): © Everett Collection

Unsere Kolumnistin Margarita Tsomou nimmt uns mit auf eine Auszeichnung der queer-feministischen Pornographie-Szene in Berlin und das Pornfilmfest zeigt: sexuelle Ausdrucksweisen haben viele Facetten und die Vielfalt in diesem Bereich hat ihre Sichtbarkeit verdient.

Auf einer 3 x 5 Meter großen Leinwand des Berliner Theaters wird eine offene Vagina projiziert, an der das Einführen eines Moon-Cups vorgeführt wird. Es läuft lustige Hintergrundmusik, während die Kamera auf den Oberkörper der Darstellerin schwingt. Sie erzählt amüsiert und motiviert von den Vorteilen der Tampon-Alternative. Das Model des Sex-education-Clips heißt Lina Bembe. Sie wird gleich unter tobendem Applaus mit der „Auster“ ausgezeichnet werden – dem Filmpreis der PorYes-Filmawards. Por – was? Ja, Por-Yes statt PorNo. Die PorYes Auszeichnung ist sozusagen der Goldene Bär der queer-feministischen Pornographie – und yes, das gibt es: ausgezeichnet werden hochwertige Pornos, die „vielfältige sexuelle Ausdrucksweisen weiblicher und aller Geschlechter Lust zeigen und in denen Frauen bei der Filmproduktion maßgeblich beteiligt sind“. Mit dem Award soll gezeigt werden, dass es neben der herkömmlichen sexistischen Darstellung von Sexualität auch Porno-Produktionen gibt, die eine positive nicht-diskriminierende, schätzende Haltung zu Lust und Körper zeigen. 
 

Ästhetisch bewusster Porno


Wie jeden Herbst fand dieses Jahr zum sechzehnten Mal auch das Pornfilmfest Berlin statt, das ein reiches Programm an neu produzierten Pornofilmen aller Genres zeigt: Gay und Lesbisch, BDSM, Kink, experimentelle Avantgarde-Erotik oder Retrospektiven historischer Pornofilmmacher*innen. Berlin ist daher quasi das Mekka der politisch und ästhetisch bewussten Pornoszene. 

Auch im feministischen Mainstream ist durchgesickert, dass die Alternative gegen frauenverachtende Repräsentationen von Sexualität kein Pornoverbot ist – also kein PorNo. Mittlerweile haben sich, zumindest in Deutschland Positionen der sexpositiven Traditionen des Feminismus durchgesetzt, die nach alternativen Formen der Darstellung suchen – wo Zärtlichkeit und Erotik, Kinkyness und Queerness, weibliches Empowerment, Handlungsfähigkeit und Lust im Sex in Szene gesetzt werden. Feminismen der PorYes aber auch der Sexarbeiter*innen-Bewegung, die seit den 70ern in den USA und später auch in Deutschland wuchsen, widersetzen sich der herkömmlichen Produktion von Bildern von Sex und der Prägung, die unsere Körper erfahren. Sie kritisieren aber auch die verlogene Sexualmoral, die Frauen lange verweigert hat sexuelle Wesen zu sein und schaffen Orte an denen weibliche Sexualität, ohne Scham, überhaupt erst für uns ausgelebt werden kann. 
 

Berliner Subkultur ebnet den Weg 


Als ich nach Berlin kam, waren diese Positionen eine Offenbarung. Ich war damals an der Vorbereitung der historischen Post-Porn-Konferenz in der Berliner Volksbühne involviert. Zu der Zeit verband sich die Gay-Szene, die schon seit den 80er Jahren immer in Subkulturen ihre eigene Pornoproduktion unterhielten mit „Dritte Welle“ Feminist*innen und Queers um diese Art von queer-feministischen Porno-Aktivismus zu erneuern und ihr eine neue Sichtbarkeit zu geben. Ich hatte die Ehre die interessantesten Figuren kennen zu lernen, die damals ihre Arbeit zeigten: die Schauspielerin Susanne Sachsse, die Choregraph*in Antonia Baehr aka Werner Hirsch, der Filmemacher Bruce La Bruce. Die legendäre feministische Sexarbeiter*in Annie Sprinkle oder den Theoretiker des kontrasexuellen Manifests Paul B. Preciado.  

Dieses Jahr, nach der Lockdown-Zeit, bin ich froh die Gesichter der Szene wieder zu erkennen. Die meisten sind immer noch Subkultur geblieben und irgendwas an ihnen ist anders als bei den queeren Mainstream der Berliner Hipster-Szene. Sie sind älter und vielleicht nicht so hipp. Sie sind es aber, die die Geschichte geschrieben haben, die das Risiko auf sich genommen haben sich der stets marginalisierten Arbeit an der widerständigen Sexualität zu widmen und dabei vielleicht nie zu einem festen Einkommen oder einer gesellschaftlich anerkannten Karriere gekommen sind. Sie sind es aber auch, die den Weg dafür geebnet haben, dass sich heranwachsende Generationen nun wie selbstverständlich non-binär nennen können.
 

„AUSGESPROCHEN …“

In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Margarita Tsomou, Susi Bumms, Maximilian Buddenbohm und Sineb el Masrar. Unsere Berliner Kolumnist*innen werfen sich in „Ausgesprochen … Berlin“ für uns ins Getümmel, berichten über das Leben in der Großstadt und sammeln Alltagsbeobachtungen: in der U-Bahn, im Supermarkt, im Klub.