Ausgesprochen...bildlich  Auf wessen Rücken

Gezeichnet: Viele Gorillas, die sich an den Händen halten
Solidarischer Arbeitskampf Illustration: © Susi Bumms

Wie kann es sein, dass ein Mitarbeiter eines Lieferdiensts entlassen wird, nur weil er wenige Minuten zu spät kommt? Und warum ist die Organisation in Gewerkschaften so wichtig? Susi Bumms guckt sich das diesen Monat einmal genauer an.

Die Arbeitsbedingungen, die die Lieferant*innen von Lieferdiensten wie Gorillas schildern, sind schlecht: falsche oder späte Bezahlung, unbezahlte Überstunden oder ein so hoher Zeitdruck, dass es teils unmöglich ist, auf Toilette zu gehen. Sie erzählen von kaputten Fahrrädern und davon, dass die Räder keine Gepäckträger haben, sodass die Fahrer*innen die schweren Rucksäcke auf dem Rücken tragen müssen. Gezeichnet: ein Gorilla auf einem Fahrrad mit einem riesigen Rucksack auf dem Rücken Auf wessen Rücken | Illustration: © Susi Bumms

Der wilde Streik

Als im Juni 2021 ein Lieferant wenige Minuten zu spät zu seiner Schicht kam und allein aus diesem Grund entlassen wurde, solidarisierten sich seine Kolleg*innen mit ihm und streikten.

Streiken ist ein Arbeitnehmer*innenrecht. Allerdings, und das ist für dieses Set-up wichtig, ist ein Streik nur dann juristisch zulässig, wenn von einer Gewerkschaft dazu aufgerufen wurde. Arbeitnehmer*innen, die in diesem Rahmen streiken, darf nicht gekündigt werden. Gewerkschaften sind betriebsunabhängige Zusammenschlüsse von Arbeitnehmer*innen, um Ihre Interessen gebündelter gegenüber Arbeitgebern durchzusetzen.

Die Angestellten dieses jungen Plattform-Unternehmens waren jedoch noch nicht gewerkschaftlich organisiert – was bei schnell wachsenden Start-Ups und befristeten Verträgen auch schwierig ist.

Die folgenden Streiks waren somit wahrscheinlich „wilde Streiks“ und in Deutschland, anders als in anderen Ländern, damit nicht arbeitnehmerrechtlich geschützt. Das Management von Gorillas entließ daraufhin mehr als 300 Mitarbeiter*innen, die an jenen Streiks teilgenommen hatten.

Gezeichnet: Zwei Lieferant*innen, eine Person trägt einen Rucksack mit Colaflaschen, hinter der anderen ist ein Schild, auf dem steht: „Mutter der Mann mit den Cokes ist da“ Mutter der Mann mit den Cokes ist da | Illustration: © Susi Bumms
Daraufhin begannen Angestellte bei Gorillas mit der Gründung eines Betriebsrats, ein weiteres Werkzeug zur Interessensdurchsetzung – auch ihnen wurde gekündigt. Für alle, die Betriebsräte nicht kennen: Anders als eine Gewerkschaft ist dieser nicht für eine ganze Branche aktiv, sondern kümmert sich nur um betriebsinterne Anliegen. Jenen Angestellten, die einen Betriebsrat gründen wollen, zu kündigen, ist keine neue oder einmalig vorkommende Sache- es hat sogar ein Fachwort: Union Busting.

Ob nun auf den Straßen deutscher Großstädte in zehn Jahren mehr oder weniger Fahrradkuriere unterwegs sein werden, sich das Modell durchsetzt oder nicht – hier geht es um lang und hart erkämpfte Arbeitnehmer*innenrechte und darum, dass diese auch für prekäre, neue Jobs bei jungen, investorenfinanzierten Plattformunternehmen gelten.

Das ist wichtig: Die Außenkommunikation vieler solcher Unternehmen ist modern, großstädtisch und hip, die Werbung ist voller popkultureller Referenzen oder bezieht sich auf Social Media Trends. Der Slogan „Mutter, der Mann mit den Cokes ist da“ spielt zum Beispiel auf den Song „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“ von Falco an. Diese lockere Kommunikation darf aber nicht verbergen, wer hier ausgenutzt wird: Viele Lieferant*innen sind keine deutschen Muttersprachler*innen, weswegen ihnen der Zugang zu vielen anderen (Neben-) Jobs verwehrt wird. Gezeichnet: Viele Gorillas, die sich an den Händen halten Solidarischer Arbeitskampf | Illustration: © Susi Bumms

Der Kampf geht weiter

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschied, dass die Mitarbeitenden von Gorillas ihre Betriebsratswahl fortsetzen dürfen. Ende November wurden 19 Personen in den neu geschaffenen Betriebsrat gewählt. Das Gorillas-Management plant nun, die Rechtmäßigkeit dieser Wahl juristisch anzufechten. In Köln, wo ich lebe, werden neue Lieferanten*innen mit folgenden Worten gesucht: „We need the best bikers in Cologne to help us change the world!“ Was wirklich die Welt verändert: der anhaltende Arbeitskampf der ehemaligen und aktuellen Angestellten.

Ich gratuliere auf jeden Fall zur Gründung des Betriebsrats!
 

„Ausgesprochen...“

In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben und malen im wöchentlichen Wechsel Susi Bumms, Maximilian Buddenbohm, Sineb el Masrar und Magrita Tsomou.
Susi Bumms beobachtet in "Ausgesprochen...bildlich" Popkultur und Politik und kommentiert diese in Bildern.