Soziale Netzwerke & (Auto-)Zensur  Eine Sackgasse wie das Luftschiff oder die Minidisk

Luftschiff Amundsen, um 1900 Foto: George Grantham Bain Collection | Library of Congress, Washington, D.C. | Public domain

Beschneidet (Auto-)Zensur die Meinungsvielfalt? Macht ein medialer Mainstream Kritik an der Mehrheitsmeinung mundtot? Die Schriftstellerin Petra Hůlová glaubt das und macht als Schuldige die sozialen Netzwerke aus. Sind die nur ein Irrtum in unserer Entwicklung?

In seiner Antwort Seien wir nicht zu faul! widerspricht JÁDU-Chefredakteur Patrick Hamouz der These Petra Hůlovás, dass ein vermeintliches Mainstream-Narrativ die Meinungspluralität gefährden würde.

Unser kompletter öffentlicher Raum wird unbewohnbar für diejenigen, die sein Mainstream-Narrativ nicht teilen. Beispielhaft dafür steht der schon zwei Jahre andauernde mediale Covid-Mainstream, der jegliche Kritik als Desinformationskampagne deklassifiziert, und neuerdings auch der Mainstream zum Krieg in der Ukraine. Als ob es eine Meinung, die nicht derjenigen der Mehrheit entspricht, am besten erst gar nicht geben sollte. Als habe sich das (fälschlicherweise) Voltaire zugeschriebene Motto „Ich missbillige, was Du sagst, aber ich werde bis zum Tod Dein Recht verteidigen, es zu sagen“ abgenutzt, als sei es alt geworden und habe seine Gültigkeit verloren. Der imaginäre Sargnagel für diese ethische Maxime ist seit Kurzem die juristische Belangung derjenigen, die Unterstützung für Putins Invasion der Ukraine zum Ausdruck bringen. Dies begann die tschechische Justiz unter Anwendung des Paragrafen zur Rechtfertigung von Völkermord zu ahnden.

Ich habe Angst vor der drohenden Zensur und vielleicht noch mehr vor einer Autozensur, die nur zu leicht zu unserer zweiten Natur werden kann.“

Diesen Trend anzuhalten, ist für mich von fundamentaler Bedeutung – nicht, weil ich einverstanden wäre mit der Meinung der Verteidiger*innen von Putins nicht zu verteidigender Politik, sondern weil die Beschneidung unserer Meinungsfreiheit mir aufrichtig Angst macht. Ich habe Angst vor der drohenden Zensur und vielleicht noch mehr vor einer Autozensur, die nur zu leicht zu unserer zweiten Natur werden kann.

Kryptokommunismus

In gewisser Weise begann das gleich nach der Samtenen Revolution mit der Angst, das Etikett „Kryptokommunist*in“ verpasst zu bekommen, das jeder und jedem mit einer politisch linken Meinung drohte. Ebenso glatt wie die Angst vor Covid in die Angst vor dem Krieg überging, führte die Autozensur dieses Typs schon in das Scherbengericht der cancel culture, beziehungsweise in das Diktat des Schutzes vor unzulässigen Beleidigungen und der Verspottung von Minderheiten.

Solche Praktiken, die zum Schweigen bringen sollen, schlagen mit guten Absichten um sich, und so klingt die Guillotine der gesetzlichen Ahndung über den Köpfen von Putins Bewunderern im Grunde logisch. Sie sind nur die Fortführung von Tendenzen, die die Mainstream-Medien schon während der Pandemie vorantrieben. Deren aggressive Rhetorik half, das Prinzip der Nulltoleranz gegenüber einer abweichenden Meinung im öffentlichen Raum zu etablieren. Während der zurückliegenden zwei Jahre haben wir es einfach zur Perfektion gebracht in unserem vorauseilenden Verständnis für eine Zensur im Namen eines höheren Wohls. Die Sperrung der Social-media-Konten all derer, die der politische Mainstream für gesellschaftlich gefährlich hält, das Blocken ihrer Videos und Auswahlkriterien, wen man in den sozialen Netzwerken straflos beschimpfen darf, ist Teil eines Trends, der andere Meinungen disqualifiziert. Auf seine Weise spiegelt er das wider, wovon er deklariert sich distanzieren zu wollen: von den Zuständen in Putins unfreiem Russland, wo es wiederum gegen das Gesetz ist, das zu behaupten, was man über den Krieg in der Ukraine bei uns sagt.

Das Argument, eine „außergewöhnliche Situation“ erfordere „außergewöhnliche Maßnahmen“ hält nicht Stand. Sowohl wegen berüchtigter historischer Parallelen als auch, weil wir durch das Entfernen ausgewählter Stimmen die Büchse der Pandora öffnen und damit den Weg in die Hölle betreten, der mit guten Absichten gepflastert ist. Denn wenn es illegal ist, Putins Politik zu verteidigen, ist es nur eine Frage der Zeit, welche verrufenen Standpunkte und Meinungen später noch dazu gepackt werden. Und es geht nicht nur um die Zukunft: Wenn Putin oder Trump auf dem Index der sozialen Netzwerke stehen, mit welchem Recht fehlen dort all die anderen?

Zurück im Schnellkochtopf

Diesen Trend zu ändern, wird verständlicherweise nicht einfach sein. Eine solche jahrelange Tradition ist wie ein fahrender Zug. Wenn wir darüber hinaus die Anfänge der „Säuberung des öffentlichen Raums“ in den postrevolutionären Scherbengerichten über Personen mit linken Weltanschauungen sehen, und diesem Mundtotmachen bereits die Zensur der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik vorausging, dann handelt es sich nicht etwa um Jahre, sondern um Jahrzehnte. Und nicht einmal davor war es offenbar um so viel besser. Nichtsdestotrotz galt in Tschechien – und das trotz der Marginalisierung linker Meinungen – noch bis vor relativ Kurzem das erwähnte „Voltairsche“ Credo und niemand hat es in Zweifel gezogen. Wahrscheinlich auch deswegen, weil die Zeit der verhassten kommunistischen Zensur damals noch frischer war. Aber dann ist jedenfalls irgendetwas passiert und wir verloren die Fähigkeit mit unseren unterschiedlichen Meinungen nebeneinander zu leben.

Wir haben uns als Gesellschaft in eine fremde Firma stopfen lassen und ärgern uns, dass sie uns nicht dient und man dort nicht atmen kann.“

Man muss gar nicht besonders findig sein, um für die hasserfüllte Form des gegenwärtigen Zustands der öffentlichen Debatte die sozialen Netzwerke als Schuldige auszumachen. Sie, und mitnichten die Gestalt unserer Welt, sind diese „außergewöhnliche Situation“, die „außergewöhnliche Maßnahmen“ erfordert. Es ist allerdings eine Illusion, dass Zensur eine solche Maßnahme sein könnte. Zensur betrifft nämlich nur den Inhalt, aber nicht das Prinzip, das dem Funktionieren von sozialen Netzwerken zugrunde liegt. Diese sind nämlich kein öffentlicher Ort, sondern privatwirtschaftliche Körperschaften, die Gewinn generieren sollen. Die Algorithmen, die ihre Funktionsweise darstellen, haben kein anderes Ziel. Das Ziel des öffentlichen Raumes ist hingegen dessen Kultivierung mittels des Austauschs von Meinungen. Kurz gesagt kam es hier zu einem kolossalen Irrtum: zu einer Verwechslung nur aufgrund der äußerlichen Ähnlichkeit. Wir haben uns als Gesellschaft in eine fremde Firma stopfen lassen und ärgern uns, dass sie uns nicht dient und man dort nicht atmen kann.

Meine Vision ist eine Regression in die Zeiten, als wir als Gesellschaft nicht in einem Schnellkochtopf gelebt haben. Das muss jetzt nur richtig angepackt werden.

Antisoziale Triebe entfernen

Bisher gehen wir meistens immer noch davon aus, es würde genügen, für die sozialen Netzwerke einen schlauen Besen zu erschaffen, der an vielen Stellen gleichzeitig die Unordnung ausfegt, irgendeinen weiteren Algorithmus darauf abzustimmen, und gegebenenfalls die Zensor-Rolle des Staates zu stärken. Einen intelligenten Algorithmus, der dann von allein antisoziale Triebe ausmacht und sie entfernt, noch bevor sie im Netzwerk Wurzeln schlagen können, und auf den Rest setzen wir Paragraphen an. Als hätten wir nur die Wahl zwischen einen Reich voller Lügen und Verleumdungen und einer neuen hybriden Totalität. Dabei ist die Schwäche der Netzwerke nicht primär der Content, sondern ihre Funktionsweise. Das Businessmodell ist nur ein Teilproblem. Von elementarer Bedeutung ist die Tatsache, dass die Netzwerke nicht nur die beispiellos schnelle Verbreitung von Informationen ermöglichen, sondern in erster Linie von Emotionen, die diese globalen Geysire der Leidenschaften generieren, oft ausgelöst von dem sprichwörtlichen Flügelschlag eines Schmetterlings. Das Problem der sozialen Netzwerke ist nicht der Ausschluss von Putins und Trumps, sondern das Management der Leidenschaften.

Und Paragraphen werden dabei uns nicht helfen können. Die Selbstentzündung explosiver Gemische aus sich aneinander reibenden Wörtern kommt dabei aber immer häufiger vor. Es entstehen nicht existierende unsinnige Kontexte von nicht existierenden Realitäten, in denen der erste Funken im Verbrennungsmotor nicht notwendigerweise von einer gezielten Desinformation stammt, sondern zum Beispiel ein von irgendjemandem auf Twitter vorgebrachtes Irgendwas ist, eine Spekulation oder eine Schlagzeile, die eine Bedeutungsverschiebung evoziert. Was folgt, ist eine planetenweite Diskussion, die die ganze Angelegenheit noch weiter verkompliziert, vorantreibt und verwirrt.

Wir haben gedacht, dass wir uns mit der Vereinfachung von allem auch das Leben leichter machen. Dass das nicht so ist, sollte uns zu einer entsprechenden Reflexion führen.“

Das Ganze geht auch ohne Videos, die mehrere Jahre ununterbrochenen Schauens erfordern, es handelt sich um einen Wortorkan während einigen aufeinanderfolgenden Tagen oder Stunden und davon finden Unmengen gleichzeitig statt. Über den Grad der Arroganz und Vulgarität, die außerhalb der sozialen Netzwerke unvorstellbar wäre, gar nicht zu sprechen, ebenso wenig wie über die künstliche Radikalisierung von nicht miteinander kommunizierenden Blasen. Das Auffinden jedweder Realität ist unter diesen Bedingungen eine Illusion – nicht nur wegen der Geschwindigkeit und dem Umfang an Kontexten und Daten, sondern in erster Linie, weil es sich dabei oft erst gar nicht um eine Realität handelt, nicht einmal ganz zu Anfang. Und als wäre das alles nicht schon genug, wissen wir doch schon seit langem, das wir als menschliche Wesen nicht rational funktionieren.

Es reicht, danke

Das war im Übrigen schon immer so, nur war Kommunikation nie so einfach und die Welt nie so eng verknüpft. Wir haben gedacht, dass wir uns mit der Vereinfachung von allem auch das Leben leichter machen. Dass das nicht so ist, sollte uns zu einer entsprechenden Reflexion führen, zum Ableiten logischer Konsequenzen und ihrer Überführung in die Praxis.

Oder: Das war ja alles sehr schön, aber jetzt ist es genug. Genug der Radikalisierung, genug des Gleichmachens der Mehrheitsmeinung und des anschließenden Bedarfs zu lynchen. Man muss hinzufügen, dass eine Vision der Regression als solche schon lange kein Alleinstellungsmerkmal von verbitterten Boomern mehr ist, sondern Teil des Konzeptes von einer weniger komplexen und lokaleren Welt, in der wir uns besser fühlen und die wir besser verstehen. Seien wir uns bewusst, dass das Internet erst seit ein paar Jahren hier ist. Ein Bruchteil von irgendetwas hinter dem Zehntelstrich, seit unsere Art existiert.

Ich weiß, dass es wie eine Utopie erscheint mit den sozialen Netzwerken aufzuhören, eine Utopie, die vielen sicher naiv vorkommt. Auf ihre Art ist sie auch naiv. Aber in einer Welt, die nicht aufhört uns zu überraschen und die sich immer wieder den Vorhersagen von Experten widersetzt, ist eine solche Ambition weniger gewagt, als es noch vor einigen Jahren den Anschein hatte.

Und wenn wir die hypothetische Frage, wer die Abschaltung der sozialen Netzwerke vorhergesehen hat, neben die Fragen stellen, wer Covid und wer einen Krieg in Europa vorhergesagt hat, hört sich das schließlich sogar relativ glaubhaft an. Diese Möglichkeit, dass sich die sozialen Netzwerke in die Geschichte nur als eine der Sackgassen unserer Entwicklung einschreiben, als etwas, das wir nach seinem anfänglich großen Ruhm schließlich bewusst in den Mülleimer geschmissen haben, ähnlich wie das Luftschiff, die Minidisk oder das Netbook. Darüber hinaus wissen wir aus unserer Covid-Erfahrung, dass es auf seine Art möglich ist von einem Tag auf den anderen den Betrieb der Welt anzuhalten, und dass jeder Schock sich schließlich setzt.

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