Zecken  Geniale Geschöpfe, die wir immer noch nicht überlisten können

Zecke Foto: Erik Karits via unsplash | CC0 1.0

Ich habe mal irgendwo eine interessante Sache gelesen: Zecken könne man bei Transplantationen einsetzen. Sie tragen nämlich Stoffe in sich, die unser Immunsystem „ausschalten“. Deshalb bekommen wir es auch nicht mit, wenn sich eine festsaugt. „Es geht darum, die Evolution zum Vorteil des Menschen zu nutzen“, sagt Jan Perner. Er untersucht Zecken am Institut für Parasitologie des Biologischen Zentrums der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, einem der führenden europäischen Forschungszentren.

Sie verwenden am Institut für Parasitologie angeblich eine künstliche Haut, an der sich die Zecke festsaugt, damit Sie sie untersuchen können.

Ja, das ist unsere Devise: Forschung auf der Grundlage von einem künstlich motiviertem Festsaugen der Zecke. Eine Zecke saugt Blut, und wenn man Experimente machen will, braucht man immer etwas, an dem sie sich festsaugen kann. Der ethische Aspekt ist klar, man braucht nicht hundert Labormäuse. Stattdessen gibt es hundert Hautimitate aus Silikon, auf die wir verschiedene Parfüms sprühen, damit sie zum Beispiel wie ein Reh riechen.

Wessen Idee war das?

Künstliche Haut wurde vor etwa zehn Jahren in der Schweiz entwickelt. Ich fuhr dorthin und lernte, wie man den Prototyp einsetzt. Ich habe erfahren, wie man die Haut benutzt und wie man aus ihr eine „Futterkrippe“ macht, wie wir das nennen, an der sich die Zecken dann problemlos festsaugen können. Es ist auch wichtig, dass sie elastisch und weich genug ist.

Wozu ist das Futtermittel gut außer dem erwähnten ethischen Aspekt?

Wenn man zum Beispiel die Verdauung des aufgesaugten Blutes und damit des Hauptproteins, also des Hämoglobins, untersuchen, dann ist dabei unter anderem interessant, was passieren würde, wenn das Hämoglobin nicht im Blut wäre. Und das lässt sich nur erforschen, wenn man ein künstliches System hat, in das man Blut ohne Hämoglobin gibt. Sie können auch die Auswirkung untersuchen, wenn Sie dem Blut etwas hinzufügen wollen, wie zum Beispiel Antibiotika. Wenn man solche Stoffe einem Lebewesen zuführt, ist das schwieriger zu kontrollieren, weil der Körper sie abbaut. Wenn Sie es in so eine „Futterkrippe“ geben, haben Sie darin die Substanz in der gewünschten Menge und so lange sie wollen.

Und ich nehme an, wenn Sie die Wahl haben, entscheiden Sie sich lieber für die künstliche Haut.

Ja, das ist unter anderem auch bürokratisch einfacher. In der Tschechischen Republik ist das nicht so streng, aber in westlichen Ländern muss man für jedes Tier, das man zu Forschungszwecken verwendet, einen Totenschein ausstellen. Und es gibt strenge Ausschüsse, die Experimente genehmigen müssen.

Was haben Sie zum Beispiel auf künstlicher Haut getestet?

Zum Beispiel eine Substanz, die von einem Unternehmen entwickelt wird. Sie soll Zecken töten.

Wie?

Wenn Sie einen Hund oder eine Katze haben und nicht wollen, dass sie eine Zecke haben, dann haben Sie unter anderem die Möglichkeit, dem Tier einen Stoff namens Fluralaner in Tablettenform geben. Wenn sich die Zecke dann an das Tier heftet, saugt sie Blut, das diesen Wirkstoff enthält und der das Nervensystem der Zecke angreift. Sie stirbt dann und fällt ab.

Und das wird man irgendwann auch an Menschen anwenden können?

Wir haben gerade eine solche Substanz getestet, die für Menschen bestimmt ist. Das Mittel kommt jetzt in die klinischen Testphase, aber ich selbst würde es nicht nehmen. Wir können die Zecke an uns selbst entfernen, also brauchen wir meiner Meinung keine Akarizide, also Pestizide.

Aber nicht immer kann man die Zecke schnell finden. Im Haar oder hinter dem Ohr übersieht man sie leicht.

Ja, das stimmt. Wenn der Stoff einmal frei auf dem Markt verfügbar ist, soll jeder für sich selbst entscheiden.

Jan Perner | Institut für Parasitologie des Biologischen Zentrums der Tschechischen Akademie der Wissenschaften Jan Perner | Institut für Parasitologie des Biologischen Zentrums der Tschechischen Akademie der Wissenschaften | Foto: © privat

Wie lange schon werden Zecken erforscht?

Achtzig Jahre bestimmt. Bereits im Jahr 1939 entstanden schöne wissenschaftliche Artikel, die bis heute zitiert werden.

Und wie weit ist die Forschung heute?

Wir haben immer noch keinen Impfstoff gegen Borreliose. Sehr weit sind wir also noch nicht gekommen.

Woran liegt das?

Wir sind in der Lage, das Protein der Borrelien zu nehmen und ein Vakzin herzustellen. Das Problem ist, dass die Borreliose auf der gesamten Nordhalbkugel vorkommt und in sehr vielfältigen Varianten auftritt. Es gibt also Dutzende dieser Proteine und Unterschiede gibt es nicht nur zwischen den Kontinenten, sondern auch zwischen den Ländern, und selbst im westböhmischen Aš findet man andere Borrelien als im nordostböhmischen Jičín.
 

Eine Zecke verfügt über tausende Proteine, die menschliche Immunreaktionen hemmen oder modulieren und die man sich zunutze machen könnte.“

Schwierig ist also, einen Impfstoff zu entwickeln, der all diese Borrelientypen abdeckt?

Genau. Derzeit wird die Herstellung eines Trägers geprüft, den man sich wie einen Igel vorstellen kann. An ihn binden sich verschiedene Proteine von Borrelien und daraus stellt man dann einen Impfstoff her. Einen anderen Weg brachte kürzlich eine Forschungsgruppe der Universität Yale ins Spiel. In einem Artikel schlugen die Forscher*innen vor, die Vielfalt der Borrelien zu umgehen, indem man auf die Speichelproteine der Zecken abzielt. Der Zecke soll die Lust am Saugen genommen werden, womit gleichzeitig die Übertragung der Borrelien verhindert würde.

Wie wollen die Wissenschaftler*innen in Yale das erreichen?

Sie haben einen so genannten Impfstoffcocktail entwickelt, der neunzehn mRNAs enthält, die für die Codes von neunzehn Zeckenproteinen stehen, gegen die in unserem Körper Antikörper gebildet werden. Diese können sich dann an die neunzehn ausgewählten bioaktiven Substanzen (Proteine) binden, die die Zecke an der Saugstelle in Sie „spuckt“. Mit diesem Impfstoff wird aus dem „unbemerkten“ Zeckenbiss plötzlich so etwas wie ein Mückenstich, und den bemerkt man verdammt gut. Die Zecke kann also nicht mehr unerkannt bleiben. Die Stelle färbt sich rot, juckt, und Sie können die Zecke einfach finden und entfernen, und damit kommt es auch nicht zur Übertragung der Borreliose.

Wie weit sind wir mit diesen beiden Optionen?

Der erwähnte „Igel“-Impfstoff wird gemeinsam von Pfizer und Valneva finanziert und entwickelt und hat die zweite Phase der klinischen Tests abgeschlossen. Man ist versucht zu sagen, dass nun „nur“ noch die dritte Phase aussteht. Es ist jedoch schwer vorauszusehen, wie die Ergebnisse ausfallen werden und wie lange es dann noch dauern könnte, bis der Impfstoff verfügbar ist. Die zweite mRNA-Option steht noch in den Startlöchern, sie ist vorerst nur eine akademische Idee.

Ich habe mal irgendwo gelesen, dass Zecken auch im Dienst einer guten Sache eingesetzt werden können. Wie Sie bereits erwähnt haben, merken wir es nicht, wenn sich eine Zecke festsaugt, weil sie unser Immunsystem „täuschen“ kann. Dieser Effekt käme uns bei Transplantationen entgegen, um die Abwehrreaktion des Körpers gegen ein neues Organ zu vermeiden. Wie weit sind wir davon entfernt, uns diesen Effekt zunutze zu machen?

Dies wird als gelbe Biotechnologie bezeichnet. Das Prinzip besteht darin, dass man einige wirbellose Insekten nimmt, zum Beispiel Fliegen, die abgestorbenes Fleisch aus offenen Wunden fressen, und untersucht, ob sie etwas in ihrem Speichel haben, das Wunden heilt. Es geht darum, die Evolution zum Nutzen des Menschen einzusetzen.

Wie ist das bei Zecken?

Wir sprechen hier von Immunmodulation. Es ist immer vorprogrammiert, wie unser Immunsystem in bestimmten Fällen reagiert. Aber dann kommt eine Zecke und bringt alles durcheinander, überlistet unser Immunsystem. Und wie die Zecke das gemacht hat, beziehungsweise womit, kann für uns nützlich sein.

Und wieder frage ich: Wie weit sind wir in dieser Hinsicht?

Nicht sehr weit. Ganz sicher noch lange nicht so weit, eine Substanz zu haben, die bei Transplantationen eingesetzt werden kann. Aber es gibt bereits ein Unternehmen, dem es gelungen ist, aus dem Speichel von Zecken ein gerinnungshemmendes Protein zu gewinnen, das Thrombosen verhindern könnte. Das Komplizierte an diesem Forschungszweig ist, dass es sich um Proteine handelt, die als medizinische Wirkstoffe eingesetzt werden sollen. Unser Immunsystem ist jedoch so programmiert, dass es in dem Moment eingreift, in dem ein fremdes Protein in unseren Körper gelangt. Deshalb verpacken wir das fremde Protein zum Beispiel in menschliche Proteine, damit unser Immunsystem es nicht erkennt. Zusammenfassend lässt sich also konstatieren, dass die Vorstellung zwar sehr attraktiv ist, aber immunologisch gesehen eine Menge Haken hat. Eine Zecke verfügt jedenfalls über tausende solcher Proteine, die die Produktion von Antikörpern und andere menschliche Immunreaktionen hemmen oder modulieren und die man sich zunutze machen könnte.
 

Ich hatte eine Phase, in der ich amüsiert war, dann fasziniert, aber jetzt, das gestehe ich, bin ich genervt. Trotz allem, was wir wissen, sind wir nicht in der Lage, die Zecke zu überlisten.“

Sind Zecken die einzigen Lebewesen, die unser Immunsystem so gut austricksen können?

Unter den Gliederfüßern gibt es keinen anderen äußeren Parasiten, der so lange an uns saugt wie eine Zecke. Normalerweise ist es so, dass das Tier bereits verschwunden ist, bevor der Körper es richtig bekämpfen kann, etwa wie im Fall einer Mücke. Um eine Woche lang ungestört saugen zu können, hat die Zecke in ihrem Speichel genial entwickelte Proteine, die unser Immunsystem ausschalten können.

Und trotz aller Komplikationen: Lohnt es sich Ihrer Meinung nach, Zeit, Energie und Geld in diese Forschungsrichtung zu investieren?

Akademisch und logisch gesehen macht das Sinn, aber dieser „gelbe“ Weg hat in der Humanmedizin einen schweren Stand. Hier dominiert die chemische Biologie, und das zu Recht. Jede Chemikalie wird – nicht immer, aber in der Regel – spezifischer, sicherer, kontrollierbarer und berechenbarer sein. Aber der Forscher Jindřich Chmelař von der naturwissenschaftlichen Fakultät der Südböhmischen Universität in České Budějovice treibt zum Beispiel seine Idee „from bugs to drugs“ voran. Seiner Meinung nach sollten wir sämtliches „Ungeziefer“ nutzen, um medizische Wirkstoffe herzustellen.

Was fasziniert Sie persönlich an Zecken?

Ich hatte eine Phase, in der ich amüsiert war, dann fasziniert, aber jetzt, das gestehe ich, bin ich genervt. Trotz allem, was wir wissen, sind wir nicht in der Lage, die Zecke zu überlisten. Wir wissen immer noch nicht, wie sie evolutionär entstanden ist, wie sie genau funktioniert, was genau aus dem Blut sie braucht, das heißt, welches die wesentlichen Stoffe für ihr Überleben sind. Wie ich bereits sagte, gibt es immer noch keinen Impfstoff gegen Borreliose. Wahr ist aber auch, dass wir für viele andere, einfachere Organismen ebenfalls keinen Impfstoff haben, oder noch nicht lange – etwa gegen Malaria oder die Schlafkrankheit, die durch Protozoen verursacht werden.

Aber gibt es dennoch etwas, was die Zecke für Sie einzigartig macht?

Vielleicht, dass die Zecke offenbar ein Bakterium in sich trägt, das ihr ermöglicht, zu existieren.

Was bedeutet das: „ermöglicht, zu existieren“?

Das nennt man einen Symbionten. Standardmäßig ist es so, dass nichtbakterielle Organismen, wie zum Beispiel wir selbst, aus vielen komplexen Zellen bestehen. In diesen gibt es einen Zellkern, Mitochondrien und andere Organellen. Offenbar hat die Zecke ein Bakterium in ihren Mitochondrien versteckt, wahrscheinlich eine Art Fabrik für etwas, das sie aus dem Blut selbst nicht bekommen kann. Sie hat einfach ein Bakterium, das ihr die Existenz ermöglicht.

Und das ist nicht üblich?

Die Blattlaus zum Beispiel hat auch Symbionten in den Zellen, aber nicht in den Organellen. Es ist üblich, dass symbiotische Bakterien außerhalb der Zellen leben. Wir haben zum Beispiel Bakterien im Darm. Ein Symbiont in einer Zellorganelle ist also überhaupt nicht üblich, und direkt in den Mitochondrien schon gar nicht. Auch das Mitochondrium ist ursprünglich ein Bakterium. Es ist also ein Bakterium in einem Bakterium. Das ist einmalig.

Und was könnte uns diese Erkenntnis nützen?

Ich werde jetzt nur noch phantasieren. Stellen Sie sich vor, Sie schlucken eine Pille. Die Aufnahme in den Verdauungstrakt ist einfach. Aber manchmal besteht die Herausforderung darin, die Substanz in den Blutkreislauf zu bringen, manchmal direkt in ein bestimmtes Organ. Und die schwierigste Aufgabe ist es, die Substanz in die Mitochondrien zu bekommen. Und die Bakterien in den Zecken sind dazu in der Lage. Genauer gesagt, wird an sie irgendein Protein gebunden sein, das ihnen den Eintritt in die Mitochondrien ermöglicht. Und dieses Protein könnten wir gut gebrauchen.
 

Jan Perner (*1986) studierte Molekularbiologie und Biochemie an der Südböhmischen Universität in České Budějovice. Seit 2010 arbeitet er am Institut für Parasitologie des Biologischen Zentrums der Tschechischen Akademie der Wissenschaften. Sein Forschungsgebiet ist die molekulare Physiologie von Zecken und übertragenen Krankheitserregern. Im Jahr 2018 erhielt er den Otto-Wichterle-Preis. Mit diesem Preis werden vielversprechende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter 35 Jahre ausgezeichnet, die auf ihrem Gebiet Spitzenleistungen erbringen. 2021 erhielt Perner den Preis der Tschechischen Gelehrtengesellschaft. Die wissenschaftliche Gemeinschaft honoriert Perners neue experimentelle Ansätze, die die Forschungen zur Zeckenphysiologie erheblich vorangebracht haben. Er leistet auch einen wichtigen Beitrag zur Suche nach wirksamen Mitteln zur Bekämpfung von Zecken und den von ihnen übertragenen Krankheiten.

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