Inklusion im Schulwesen erregt in Tschechien nach wie vor die Gemüter. Vielen Pädogog*innen, Politiker*innen und Eltern zufolge seien manche Kinder einfach eine Belastung für den Unterricht. In der Schule im mittelböhmischen Milovice ist man hingegen der Meinung, dass alle Kinder in die Schule gehören. Deshalb gibt es dort eine Inklusionskoodinatorin. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass alle Kinder, auch die mit verschiedenen Behinderungen und sonstigen Schwierigkeiten, gemeinsam in der Klasse möglichst zufrieden sind.
In der Nähe des Bahnhofs von Milovice stehen sich an der Straße zwei Gebäude gegenüber, eines kleiner, eines größer, beide mit einem großen Garten. In das eine gehen die Erst- und Zweitklässler*innen, in das zweite gehen alle anderen Schüler*innen bis zur neunten Klasse. Von der Straße aus gesehen scheint es eine ganz normale Grundschule [in Tschechien geht die Grundschule bis zur neunten Klasse, Anm. d. Red.] in einer Kleinstadt zu sein.Beide Schulgebäude sind noch leer, die Kinder genießen irgendwo draußen die letzten heißen Augusttage. Es ist das Ende der Ferien, nur die pädagogische Belegschaft hat sich hier schon versammelt, um sich auf das neue Schuljahr vorzubereiten. „Ich habe hier einen Unterrichtsplan für die Assistentinnen, aber ich muss ihn noch einmal ganz überarbeiten. Im letzten Moment haben wir noch einige Kinder aufgenommen, die eine Assistenz brauchen, also muss ich herausfinden, ob wir sie unter die vorhandenen Assistentinnen aufteilen können, oder ob wir neue suchen müssen“, sagt Jana Bezuchová in ihrem Arbeitszimmer.
Die Inklusionskoordinatorin hat diese Funktion an der T.G. Masaryk-Grundschule Milovice bereits seit zehn Jahren inne und hat zuvor schon fünf Jahre lang unterrichtet. Sie absolvierte die Berufsschule, aber nach dem Abitur wurde sie nicht gleich an der Hochschule angenommen. „Ich fing damals als Vertretung an der Grundschule in Pečky an, ungefähr dreißig Kilometer von hier“, erzählt Jana Bezuchová. Das war im Jahr 1998. Die heute nicht mehr existierende Arbeitsstelle bestand darin, abwesende Lehrkräfte zu vertreten.
Ihre Hochschulbildung – konkret die Pädagogik – schloss sie dann über das Fernstudium ab. Vor fünfzehn Jahren ging sie von Pečky in das mittelböhmische Milovice, wo sie in der ersten Stufe [erste bis fünfte Klasse, Anm. d. Red.] unterrichtet. Ein wichtiger Moment kam vor zehn Jahren, als die Schuldirektorin Lada Flachsová (übrigens eine ausgebildete Sonderpädagogin, die daher die Bedürfnisse von Kindern mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf versteht) ihr eine Weiterbildung zur Inklusionskoodinatorin von der gemeinnützigen Organisation Rytmus anbot.
Rytmus ist spezialisiert auf die Unterstützung von gehandicapten Personen und setzte sich dafür eins, diese Funktion an tschechischen Schulen zu etablieren. „Ich habe oft unterschiedliche Kurse zu diesem Thema belegt, daher wusste die Direktorin, dass ich dem zugeneigt war. In jeder Klasse gibt es immer ein Kind, das man verstehen und dem man helfen muss, weil etwas nicht so gut läuft. Und das hat mich dazu angespornt, mich ständig weiterzubilden, neue Wege zu suchen“, erinnert sich Bezuchová.
Nach diesem Kurs wurde sie zur Inklusionskoordinatorin an der Schule in Milovice und ist es bis heute. Aber da wir diese Funktion nicht im Gesetz über pädagogische Fachkräfte finden, muss sie ihre vierzig Stunden pro Woche als Lehrerin ableisten und als Koordinatorin dann in ihrer Freizeit arbeiten (für die Arbeit erhält sie Geld in Form von Bonusprämien).
Sie riefen sogar aus Prag an
Im Laufe der Jahre hat sich in der Stadt und Umgebung herumgesprochen, dass die Inklusion an der Schule in Milovice gut klappt. Dies führte dazu – wie es auch bei anderen Schulen in Tschechien der Fall ist, die dieser Thematik gegenüber ähnlich offen sind –, dass sich immer häufiger Familien und pädagogisch-psychologische Beratungsstellen mit Kindern, die einen sensibleren Ansatz brauchen, an die Schule wandten. Einmal riefen sogar Eltern aus Prag an. Nach ihren Erfahrungen in der Hauptstadt waren sie auf der Suche nach einer Schule, auf der ihr Sohn sicher aufgehoben ist. „Es freut uns, dass wir so einen guten Ruf haben. Doch die Anzahl dieser Kinder nimmt jedes Jahr zu“, stellt die Koordinatorin fest.In die Schule in Milovice gingen bereits Kinder mit Rollstuhl, mit einer Autismus-Spektrum-Störung, mit einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung, mit einer Verhaltensstörung, aber auch Kinder von Ausländer*innen. Das ist aber noch nicht alles – der inklusive Ansatz richtet sich auch an besonders begabte Kinder (an der Schule in Milovice gibt es auch eine Koordinatorin, die sich um besonders begabte Kinder kümmert), Kinder aus dysfunktionalen Familien, aber auch an Kinder, die sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden, die zum Beispiel die Scheidung der Eltern oder einen Todesfall in der Familie zu bewältigen haben. „Darum sage ich im September zu Schuljahresbeginn immer zu allen Eltern, sie sollen mir während des Schuljahres Bescheid geben, wenn irgendwelche ungewöhnlichen Dinge zu Hause passieren“, beschreibt Jana Bezuchová ihre Taktik.
Und in Milovice geschieht noch etwas anderes. Wenn die Pädagog*innen bemerken, dass ein Kind keine Fortschritte macht, wenn sich seine Lernfähigkeit verschlechtert, wenn es Ärger bereitet oder eine schwierige Phase durchmacht, arbeiten sie einen sogenannten pädagogischen Förderplan aus. Wenn das Kind sich zum Beispiel beim Diktat schwer tut und der Verdacht auf eine Dysgraphie besteht, halten sie mit den Eltern Rücksprache, erstellen einen Förderplan und die Eltern vereinbaren in der Zwischenzeit einen Termin bei einer pädagogisch-psychologischen Beratungsstelle. Doch heute dauert es in der Regel ein halbes Jahr, bis man einen Termin bei der Beratungsstelle bekommt (laut der letztjährigen Statistik des Bildungsministeriums betreut im gesamtstaatlichen Durchschnitt ein Mitarbeiter der Beratungsstelle insgesamt 224 Kinder pro Jahr). Bis sich die mögliche Störung bestätigt und die Beratungsstelle entsprechende Maßnahmen empfiehlt, „befolgt“ man in Milovice den ausgearbeiteten Plan, ohne dass das Kind in dieser Zwischenzeit schlechte Noten bekommt oder unnötigem Stress ausgesetzt wird.
Die Aufgaben einer Sonderpädagogin
Inklusion richtet sich auch an Kinder, die „Ärger machen“ – was oft die Familiensituation widerspiegelt. Jana Bezuchová und ihre Kolleginnen beobachten während des Schuljahres etwa, ob ein Kind Spuren von Schlägen aufweist oder ob nie ein Pausenbrot dabei hat. In der zweiten Stufe von der sechsten bis zur neunten Klasse sucht man wiederum Lösungen für das Schulschwänzen. „In solchen Fällen versuchen wir uns mit den Eltern zu treffen und zu besprechen, wie wir die Situation verbessern können. Wenn solche Treffen nicht funktionieren und die Probleme in der Familie ernst sind, sage ich ihnen, dass ich den sozialrechtlichen Kinderschutz einschalte“, sagt Jana Bezuchová und gibt an, dass das Treffen mit der Sozialbehörde normalerweise sehr gut funktioniert.In Milovice steht für diese Art von Problemen neuerdings jemand von der Organisation Society for all (früher Česká společnost pro inkluzivní vzdělávání – Tschechische Gesellschaft für inklusive Bildung) zur Verfügung. „Es ist eigentlich ein Sozialarbeiter, dessen Aufgabe es ist, vor allem mit den Familien zu kommunizieren, herauszufinden, mit welchen aktuellen Problemen sie zu tun haben“, erklärt Jana Bezuchová. Letztes Jahr halfen sie auf dieser Weise zum Beispiel einer Familie, einen größeren Rollstuhl für ihren Sohn und auch einen Behindertenausweis zu erhalten, den sie immer noch nicht hatten.
Diese Stelle einer Sozialpädagogin ist genauso wie die der Inklusionskoordinatorin nicht im Gesetz verankert, obwohl darüber im Schulministerium zuweilen gesprochen wird. Derzeit haben die tschechischen Schulen eine Erziehungsberaterin, die als Lehrerin arbeitet, aber im Rahmen eines verringerten Stundenvolumens den Rest ihrer Arbeitszeit verhaltensschwierigen Schülern widmen kann. Schulpsycholog*innen gibt es heute an den Schulen nur dann, wenn die Schulleitung Geld von anderswo auftreibt, zum Beispiel aus EU-Fördermitteln, (und wenn es gelingt, jemanden zu finden, der diese Arbeit gerne übernehmen würde). Eine weitere Person, die an der Schule arbeiten könnte, wäre eine Präventionsbeauftragte – aber auch diese Funktion finden wir nicht im Gesetz über pädagogische Fachkräfte, also unterrichtet diejenige, die als Präventionsbeauftragte arbeitet, zugleich Vollzeit (eine zusätzliche Voraussetzung ist es, eine Ausbildung als Präventionsbeauftragte im Ausmaß von 250 Stunden zu absolvieren).
Alle diese Funktionen sollten sich laut der Anordnung des Bildungsministeriums als Teil einer Schulberatungsstelle regelmäßig treffen. Das machen sie in Milovice. „Damit ein Kind die nötige Betreuung bekommt, ist eine regelmäßige Zusammenarbeit des ganzen Teams nötig – die Klassenlehrerinnen, Assistentinnen, Sonderpädagoginnen und je nach Diagnose auch weitere Fachkräfte aus der Schulberatungsstelle“, sagt Schuldirektorin Lada Flachsová in ihrem Büro. Sehr oft ist auch eine Diskussion mit den restlichen Lehrkräften erforderlich. „Es ist sehr schwierig, einen Termin zu finden, an dem alle können, denn wir unterrichten am Vormittag, die Präventionsbeauftragte hat keine Entlastung in ihrer Arbeitszeit, die Assistentin assistiert und ist am Nachmittag im Hort oder hat woanders eine Arbeit, die Schulpsychologin ist nur zwei Tage bei uns an der Schule“, schildert Lada Flachsová die Realität.
Weiterassistieren, aber ohne Vollzeitstelle
Die Inklusionskoordinatorin in Milovice trifft sich regelmäßig mit „ihren“ Assistentinnen. Eine Assistenz bekommt ein Kind dann, wenn die pädagogisch-psychologische Beratungsstelle sie genehmigt. Hier gibt es ebenfalls einige Schwierigkeiten. Die, die eine Assistentin benötigen, bekommen sie gewöhnlich nicht für die gesamte Unterrichtsdauer. Am häufigsten wird sie in Fächern wie Tschechisch, Mathematik oder Englisch eingesetzt, in der zweiten Stufe kommen noch Physik oder Chemie hinzu. In Kunsterziehung oder in Musikerziehung sagt die Beratungsstelle, dass es werde keine Assistentin benötigt. „Eigentlich haben wir hier derzeit keine Assistentin, die eine Vollzeitstelle hätte, sodass sie ein Kind über die gesamte Unterrichtsdauer betreuen könnte“, konstatiert Jana Bezuchová.Im letzten Jahr gab es in Milovice zwanzig Assistentinnen, zwei von ihnen hatten einen Beschäftigungsumfang von dreißig Wochenstunden, die anderen hatten weniger. Oft ist es so, dass eine Assistentin mehrere Schüler betreut, eine weitere Variante ist es, dass sie nachmittags im Hort arbeitet. Oder es ist so, dass sie für den Nachmittag eine andere Arbeit findet – zum Beispiel Nachhilfe oder Kinderbetreuung. In der Regel haben Interesse an dieser Arbeit Frauen, die zu Hause kleine Kinder haben und denen es gut passt, wenn sie am Nachmittag zu Hause sind. Oder es bewerben sich an der Schule Studierende von pädagogischen Fakultäten, um neben dem Studium etwas dazuzuverdienen.
Derzeit beträgt das durchschnittliche Nettogehalt eines Assistenten 21.000 Tschechische Kronen (knapp 830 Euro). „Im Frühjahr bekommen wir recht viele Lebensläufe zugeschickt, aber viele Interessenten schreckt das Gehalt ab. Ein Problem ist auch, dass wir die endgültige Zahl der Assistenzstunden erst Ende August oder sogar erst Anfang September wissen“, merkt Jana Bezuchová an.
Die Kinder bekommen die Assistenz von der pädagogisch-psychologischen Beratungsstelle für ein Jahr, manchmal auch für zwei Jahre genehmigt. Nach dem Ablauf dieser Zeit prüft die Beratungsstelle, ob die Anzahl der Assistentenstunden ausreicht oder nicht und abhängig davon wird die Anzahl der Stunden entweder erhöht oder verringert. „Eigentlich bleibt nichts anderes übrig als zu hoffen, dass es irgendwie klappt“, seufzt die Inklusionskoordinatorin in Milovice.
Bei den Treffen mit den Assistentinnen bespricht Jana Bezuchová, wie es den bestimmten betreuten Kindern geht, die Assistentinnen tauschen untereinander ihre Erfahrungen oder Hilfsmittel aus, die sich als wirksam erwiesen haben. Im Laufe der Zeit wurde der Koordinatorin bewusst, dass größere Sitzungen nicht immer das Beste sind. Man hat wenig Raum, um zu reden und um sich mitzuteilen, vor vielen Leuten will man nicht sagen, was vielleicht nicht gelungen ist.
Ein sicherer Raum ist nicht nur für die Kinder aus der Schule, sondern auch für die Erwachsenen notwendig. Die Sitzungen werden also auf unterschiedliche Weise verkleinert. Manchmal treffen sich nur die Assistentinnen mit Kindern, die die gleichen Probleme haben. Dann zum Beispiel nur die Assistentinnen aus dem gleichen Jahrgang. „Es wäre toll, wenn die Assistentinnen besser bezahlt wären, denn dann würden uns nicht so viele verlassen. Die Fluktuation ist wirklich sehr hoch, die meisten halten es hier nur ein paar Jahre aus. Dieses Jahr haben uns vier verlassen, drei neue sind gekommen. Wenn sie also etwas lernen, sammeln sie Erfahrungen und gehen weg.“
Trotz der schlecht bezahlten Arbeit nimmt die Zahl der Assistent*innen an tschechischen Schulen jedes Jahr zu, was auch im vergangenen Jahr im Bildungsministerium eine Diskussion darüber auslöste, ob das Zuteilungssystem der Assistenzkräfte geändert werden sollte, da das staatliche Budget nicht mehr ausreicht (im Jahr 2020 gab es an Grundschulen insgesamt 10.880 Assistenzkräfte, 2023 waren es bereits 14.122). Diesen Vorschlag befürchteten unter anderem auch die inklusionsfreundlichen Schulen. Doch der Vorschlag blieb – zumindest vorerst – nur ein Vorschlag.
Wohin mit ihnen?
Die Inklusion ist in Tschechien schon seit Jahren ein brenzliges Thema. Dafür ist unter anderem eine große Kampagne der Boulevardzeitung Blesk, die vor acht Jahren unter dem Titel „Stop der schädlichen Inklusion“ lief, und auch die wiederholten Äußerungen des Ex-Präsidenten Miloš Zeman und weiteren Konservativen Schuld, die meinen, dass diese Kinder nur glücklich unter „ihresgleichen“ wären.Kinder mit mittelschweren oder schweren geistigen Behinderungen oder mit komplexeren kombinierten Beeinträchtigungen werden bis heute weiterhin am häufigsten in Sonderschulen unterrichtet. Laut den Statistiken des Ministeriums nimmt die Zahl dieser Kinder in den Regelschulen nicht zu. Was zunimmt, ist die Zahl der Assistenzkräfte für diese Kinder.
Fragezeichen gibt es hinsichtlich der Nützlichkeit der Inklusion in Grenzfällen, also bei Kindern mit leichten geistigen Behinderungen. Wohin gehören sie? Schulen haben auch ein Problem mit Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen, ADHD oder sogenannten Verhaltensstörungen und auch mit Kindern aus sogenanntem anregungsarmem Milieu. Untersuchungen, beispielsweise der Tschechischen Schulinspektion, zeigen jedoch, dass das Problem gar nicht so sehr darin besteht, wo diese Schüler*innen hingehören, sondern eher darin, ob sich mit den auf diese Weise zusammengesetzten Klassen arbeiten lässt. Eine Reihe von Lehrer*innen, so zeigen es die Analysen, haben nicht die nötigen Kompetenzen und die nötige Unterstützung vonseiten der Schule, um diese Kinder in das Kollektiv zu integrieren.
Tatsache ist, dass sich pädagogische Fakultäten weiterhin stark auf Didaktik und auf Kenntnisse in Fächern fokussieren, die die künftigen Absolvent*innen unterrichten sollen. Was die Kinder betrifft, wie die Dynamik des Klassenkollektivs funktioniert, wie man mit dem Klima in der Klasse umgehen soll, wie man Konflikte löst oder wie man die Zusammenarbeit mit den künftigen Pädagog*innen unterstützt, erfahren sie nur sporadisch oder sehr theoretisch. Praxisblöcke an Schulen gibt es während des Studiums gibt es nicht gerade viele. Zugleich gibt es zwar eine Verpflichtung der Lehrenden sich auch während ihrer Praxis weiterzubilden –dies geschieht aber häufig nicht.
Was die Unterstützung betrifft, so ist es so, dass die Schulen – wie oben erwähnt – zwar ihre eigenen Schulberatungsstellen haben, doch der Staat weigert sich, die notwendigen Fachkräfte und deren Arbeitsstellen zu bezahlen. Die außerschulischen pädagogisch-psychologischen Beratungsstellen sind seit langem überlastet und zugleich fehlt eine zentrale Leitung und Methodik, die ihre Arbeit in der gesamten Republik vereinheitlichen würde. „Die Überlastung der Beratungsstellen ist offensichtlich. Es könnte helfen, wenn die Schulberatungsstelle die Kompetenz erhalten würde, eine Grunduntersuchung der Schüler durchzuführen“, schlägt die Direktorin der Schule in Milovice vor. Ihr zufolge bleiben die Besuche der Mitarbeiter*innen aus den pädagogisch-psychologischen Beratungsstellen aus (sie haben dies zwar in ihrer Stellenbeschreibung, doch wie die Realität zeigt, haben sie dafür keine Zeit).
Nur langsam entstehen hierzulande auch multidisziplinäre Teams, in denen eine Kinderpsychologin, eine Krankenschwester, eine Sozialarbeiterin, eine Sonderpädagogin (und gegebenenfalls eine Psychiaterin) arbeiten. Diese Teams sind in der Lage, Familien bei Problemen zu helfen, die sie nicht mehr allein bewältigen können – zugleich sind sie vorbereitet, Schulen zu unterstützen, damit Kinder sie problemlos besuchen können. „Solche Teams sind in der Lage, schnell auf Probleme zu reagieren, die gerade erst beginnen. Und es zeigt sich, dass dann die Intervention eines Psychiaters viel weniger nötig ist, weil das Problem schon zu Beginn erkannt und rechtzeitig gelöst werden kann,“ stellte vor einiger Zeit die aktuelle Regierungsbeauftragte für Menschenrechte Klára Šimáčková Laurenčíková fest.
Wir können nicht alles
Aber nicht alles schaffen sie in Milovice. Sie geben zu, dass sie weiterhin nicht wissen, wie sie mit Kindern umgehen sollen, die nicht ins Kollektiv passen, die auffallen, sich nicht in die Klasse integrieren und manchmal aggressiv sind. Plötzliche Ereignisse und Krisensituationen oder eine markante Andersartigkeit kann man laut Bezuchová anderen Kindern, vor allem jenen, die bereits in die zweite Stufe, ab der sechsten Klasse und höher, gehen, schwerer erklären. Es sei auch schwer zu erklären, warum ein Mitschüler nach anderen Regeln funktioniert oder eine größere Nachsicht erfährt. „Wir wissen nicht wirklich, wie wir es ihnen erklären sollen, obwohl wir uns darum bemühen. Trotz der Mühe spürt man in der Klasse, dass es noch nicht ganz in Ordnung ist, dass es irgendwo hakt. Die Mitschüler und auch die Lehrkäfte machen sich Sorgen, dass wieder etwas passiert.“In der ersten Stufe, also in den ersten fünf Jahrgängen, ist es einfacher. „Dort gibt es einen Lehrer, der die ganze Zeit mit ihnen zusammen ist, der viel Raum und Zeit hat, alles zu beobachten, was in der Klasse geschieht und der die Probleme mit den Schülern besprechen kann. Die zweite Stufe ist schon um einiges anstrengender – die Lehrer wechseln sich ab, jeder hat einen anderen Ansatz. Außerdem sind noch nicht einmal an unserer Schule alle der Inklusion gegenüber gewogen“, merkt Bezuchová an.
Es wäre laut der Schulleitung in Milovice ideal, wenn es in diesem Trubel, bei diesen Problemen und dem anstrengenden Unterricht stets zwei Personen in der Klasse gäbe: ein Lehrer und eine pädagogische Assistenz. „Wenn der Assistent und der Pädagoge ein gutes Team bilden, so kommt es der ganzen Klasse und auch ihnen selbst zugute“, davon ist Lada Flachsová überzeugt. Derzeit wird die Situation dadurch erschwert, dass die Assistentin für ein bestimmtes Kind in der Klasse zuständig ist, das heißt die Assistentin wurde von der psychologisch-pädagogischen Beratungsstelle einem Kind zugeteilt. Zugleich sollte die Assistentin aber eine „Assistenz des Unterrichtenden“ sein, also der Lehrkraft beim Unterrichten der ganzen Klasse helfen. Jedoch kommt es in der Praxis sehr auf die Fähigkeiten und den Willen der einzelnen Pädagoginnen und Assistentinnen an. Außerdem – wie bereits erwähnt– ist die Assistentin nicht ständig in der Klasse.
Die Bedeutung der Assistentinnen bezeugt auch eine Geschichte aus Milovice. Vor einiger Zeit landete eine interessante Forderung der Lehrerinnen auf dem Schreibtisch von Jana Bezuchová: sie wollten, dass die Assistentinnen Kenntnisse in den Fächern haben sollen, in denen sie assistieren. „Ich beschloss die Kinder zu fragen, die von den Assistentinnen betreut werden, was sie davon halten, und habe ihnen Fragebögen ausgeteilt.“ Die Kinder schrieben, dass es ihnen völlig egal sei, ob die anwesende Assistentin etwas von Physik verstehe, sie es aber schätzen, dass ständig jemand in der Nähe sei, an den sie sich jederzeit wenden können. „Es kam dabei eigentlich heraus, dass die Kinder zum Beispiel ihre Klassenlehrerin nur paar Mal die Woche sehen. Wenn sie die Lehrerin suchen, müssen sie in der Pause vor ihrem Büro warten, doch häufig hat sie nicht allzu viel Zeit. Die Assistentin hingegen hat für sie immer Zeit.“
Auch ein*e Psycholog*in wäre der Direktorin zufolge in jeder Schule sehr förderlich. „Selbstverletzung der Schüler, Probleme im Kollektiv, Probleme zu Hause, Soziophobien, Depressionen... Wer sonst könnte diese Probleme mit den Schülern besprechen und dem im Klassenkollektiv vorbeugen? Die Lehrer versucht zu helfen, doch er bekommt nicht genug Zeit und manchmal weiß er zu einem bestimmten Thema keinen Rat. Warum gibt es also keine Schulpsychologen? Weil es eine anspruchsvolle Arbeit für ein lächerliches Gehalt ist,“ beantwortet Lada Flachsová ihre eigene Frage.
Trotz all dieser Schwierigkeiten lässt man in Milovice nicht nach und vertritt schon seit einigen Jahren unermüdlich den Gedanken, dass jedes Kind in ihrer Schule seinen Platz hat. „Es geht uns darum, dass jeder die Chance bekommt, ein Erfolgserlebnis zu haben,“ sagt Jana Bezuchová und fährt fort: „Und darum lernen wir ständig, zu entdecken, wie jemand ist und was er braucht, und gemeinsam mit ihm suchen wir seinen Weg.“
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Oktober 2024