Natürliche Bestattungen  Zu den Wurzeln des Baums

Der erste tschechische Naturfriedhof Wald der Erinnerungen (Les vzpomínek)
Der erste tschechische Naturfriedhof Wald der Erinnerungen (Les vzpomínek) Foto: © Ke kořenům

Schon seit einiger Zeit gibt es in der tschechischen Gesellschaft eine Krise der Bestattungsrituale. Dabei helfen uns gerade Rituale, Umbruchsphasen im Leben, wie Hochzeit, Schwangerschaft und Tod, vollumfänglich zu durchleben und anzunehmen. Warum entscheiden sich so viele Familien dafür, die Beisetzung wegzulassen? 

Olga Nešporová vom Forschungsinstitut für Arbeit und Soziales (VÚPSV) weist darauf hin, dass ein Großteil der Bevölkerung der Tschechischen Republik eine Einäscherung ohne Beisetzung bevorzugt, insbesondere in Böhmen, wo nur die Hälfte der Verstorbenen eine Beisetzung erfährt. Auch im europäischen Vergleich ragt die Tschechische Republik mit der Anzahl der Einäscherungen ohne Beisetzung heraus.

Dafür mag es viele Gründe geben, aber die Unpersönlichkeit der Bestattung unter dem Taktstock eines Bestattungsunternehmens zählt sicherlich zu den Hauptgründen. Angehörige haben nur zwanzig Minuten Zeit in der Trauerhalle Abschied zu nehmen, wobei es vorkommt, dass im Hintergrund schon die Hinterbliebenen einer weiteren verstorbenen Person warten, die Familie bleibt vor der Zeremonie meist getrennt von den anderen und sitzt währenddessen in der ersten Reihe, üblich sind schwarze Kleidung, Kränze aus Kunststoff, rührselige Musik und ein*e Trauerredner*in, welche*r die verstorbene Person gar nicht kannte. 

Auch wenn die Hinterbliebenen das Meiste davon bei der Bestattung beeinflussen können, muss eine Beerdigung im Sarg maximal sieben Tage nach dem Tod vollzogen werden, worauf nicht jede*r vorbereitet ist. Nur die Wenigsten wissen, dass es möglich ist, den Leichnam für eine Tagespauschale einfrieren zu lassen und sich für die Vorbereitung der Trauerzeremonie mehr Zeit zu nehmen oder den Körper einäschern zu lassen und später Abschied zu nehmen.

Rückkehr zu Naturbestattungen

Um persönlichere Bestattungen bemühen sich unter anderem Befürworter der Naturbestattungen. Auch wenn Naturbestattungen schon seit Tausenden von Jahren praktiziert werden, haben westliche Gesellschaften diese Praxis durch den Bau von Gruften und Mausoleen unterbrochen. Oder durch die Salbung, welche den natürlichen Verwesungsprozess des Körpers verlangsamt. Als Startpunkt für die Rückkehr zu Naturbestattungen wird die Entstehung der britischen Organisation Natural Death Centre im Jahr 1991 gehalten. Der Gründer und Vater der Idee Nicholas Albery wurde von der Bewegung für natürliche Geburten inspiriert. Sein Gedanke: ähnlich wie eine Geburt kann auch der Tod im Familienkreis in häuslicher Umgebung stattfinden.

Zwei Jahre nach der Gründung der Organisation entstand der erste Naturfriedhof. Es handelte sich um die Erweiterung eines traditionellen viktorianischen Friedhofs im mittelalterlichen Städtchen Carlisle. Der Verwalter Ken West ließ hier erstmals anstelle von Grabsteinen Bäume pflanzen. Heute gibt es in Großbritannien mehr als 270 Naturfriedhöfe.
Der erste tschechische Naturfriedhof Wald der Erinnerungen (Les vzpomínek)

Der erste tschechische Naturfriedhof Wald der Erinnerungen (Les vzpomínek) | Foto: © Ke kořenům

 

Zu den Wurzeln

21 Jahre später, im Jahr 2012, gelangte das Konzept der Naturbestattung offiziell auch in die Tschechische Republik. Zu den Pionierinnen gehören Blanka Javorová, Alžběta Slavík Živá und Monika Suchánska, die Gründerinnen der Organisation Ke kořenům (Zu den Wurzeln), zu welcher mittlerweile acht Bestatterinnen gehören. Ihr Bestreben ist es, Bestattungen zu gestalten, die sinnvoll, schön, heilend und ökologisch sind. Sie möchten Familien, Kollektive und die Gesellschaft inspirieren und dabei unterstützen, aktiv eine gesunde Kultur des Abschiednehmens aufzubauen.

Unter ihren Händen wurde der erste tschechische Naturfriedhof zum Leben erweckt, der Teil eines traditionellen Friedhofs im Prager Stadtteil Ďáblice ist. Im sogenannten Wald der Erinnerung stehen statt Grabsteinen hochgewachsene Ahornbäume, Linden oder Vogelkirschen, an deren Wurzeln Asche verstreut werden kann. Im Wald kann auch die Trauerzeremonie selbst stattfinden. Die Hinterbliebenen sitzen im Halbkreis um eine mit Wasser gefüllte Sandsteinskulptur, die sogenannte Nussschale, herum. Sie können brennende Kerzen schwimmen lassen und Erinnerungen an die verstorbene Person teilen – von dem Platz aus, an dem sie gerade sind. So muss niemand an einem Rednerpult stehen.

Im Verlauf der Jahre entstanden weitere Naturfriedhöfe – das Tal der Erinnerung in Brno, der Wald der Erinnerung in Olomouc, der Waldfriedhof in Plzeň und im September 2023 der Wiesenfriedhof wiederum in Prag-Ďáblice, welcher vorläufig der einzige Naturfriedhof in der Tschechischen Republik ist, auf dem Erdbestattungen des ganzen Körpers möglich sind. Haben die Menschen Interesse an Naturbestattungen? „Wir können über die Generationen hinweg ein steigendes Interesse feststellen,“ meint eine der Bestatterinnen Ivka Hasová, in einem Gespräch mit JÁDU. „Es gibt zum Beispiel eine starke Nachfrage nach den Beisetzungen im Wald der Erinnerungen in Prag. Das hängt auch mit der großen Unterstützung vonseiten des Betreibers, der Prager Friedhofs- und Bestattungsverwaltung, zusammen. Sie informiert regelmäßig über diese Möglichkeit der Bestattung und ruft auch weitere, daran anknüpfende Projekte ins Leben. Im Falle des Naturfriedhofs in Brno muss man dagegen lange nach einer entsprechenden Erwähnung auf der Webseite der Friedhofsverwaltung der Stadt suchen,“ fügt sie mit einem Seufzer hinzu. „An dem Ort, an dem es die Hinterbliebenen also am meisten erwarten würden, erfahren sie nicht, dass diese Form der Beisetzung verfügbar ist. Verständlicherweise ist das Interesse dann gering.“
Ivka Hasová

Ivka Hasová | Foto © Jana Bergerová


Naturfriedhöfe können auch zur Entstehung von Naturreservaten führen und somit zum Naturschutz beitragen. Ein Beispiel hierfür ist die Gründung des ersten US-amerikanischen grünen Friedhofs im Ramsey Creek Preserve im Jahr 1996. Er entstand mit dem Ziel, das Friedhofsgewerbe für den Schutz und die Erneuerung des Bodens zu nutzen, sowie gemeinnützige Organisationen, Bildung, Kunst und wissenschaftliche Forschung zu finanzieren, und um günstigere und sinnvollere Möglichkeiten der Bestattung zu schaffen. Aber auch traditionelle Friedhöfe sind nicht zu verachten, schließlich sind es oft die einzigen größeren Grünflächen in der Stadt, die unzähligen Vögeln und Insekten ein Zuhause bieten.

Ökologische Dimension
Einer der wichtigsten Aspekte der Naturbestattungen ist es, größtmögliche Rücksicht auf die Natur zu nehmen. Habt ihr schonmal darüber nachgedacht, was das Bestattungswesen für Auswirkungen auf die Umwelt hat? Nehmen wir das Beispiel Särge. In der Tschechischen Republik, genau wie in vielen anderen Ländern, werden diese am häufigsten aus gebeiztem oder lackiertem Holz hergestellt, was die Zersetzung erschwert. Abgesehen davon ist das Futter oft aus künstlichen Textilien mit Leder- oder Plastikgriffen und -verzierungen gestaltet. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass ein luxuriöserer Sarg US-amerikanischen Typs aus Stahl, Zink oder Kupfer, mit Brokat und Samt gefüttert, eine noch größere Belastung darstellt (auch wenn gerade der US-amerikanische Stil seit dem 19. Jahrhundert Betongruften sind, die in die Erde versenkt werden, ursprünglich zum Schutz vor Grabräubern). Auch Urnen sind so entworfen, dass sie wahrscheinlich sogar einem Nuklearkrieg standhalten.

Auch die Trauerzeremonie wird von einer Flut aus Plastikkränzen und chemisch behandelten Blumen begleitet, welche per Flugzeug vom anderen Ende der Welt importiert werden müssen, ganz zu schweigen von den unzähligen Plastikkerzen, deren Verbrauch am Allerseelentag sprunghaft in die Höhe steigt. Und falls ihr die Einäscherung für die ökologischere Variante zur Grabbeisetzung haltet, muss ich euch enttäuschen. Die Einäscherung birgt eigene Probleme. Nicht nur, dass diese eine große Menge Energie verbraucht, während des Verbrennungsprozesses werden auch Treibhausgase und Quecksilber freigesetzt, welche vor allem von Amalgam-Zahnfüllungen und Herzschrittmachern stammen.

Welche Alternativen bieten Naturbestattungen? Wenn es schon ein Sarg sein muss, wird er aus leicht abbaubaren Naturmaterialien hergestellt, wie Reisig, Bambus, FSC zertifiziertes Holz, oder auch gehärtetes recyceltes Papier oder Karton, auf das auch etwas geschrieben oder gemalt werden kann. Umweltfreundlich sind auch Urnen und wollene Totenhemden.

Nach Plastikkränzen und Kunststoffblumen sucht man hier vergeblich. „Bei der Naturbestattung regen wir die Hinterbliebenen deshalb dazu an, sich auch in die Ausgestaltung der Trauerfeier einzubringen, indem sie selbst einen Strauß mit Wildblumen aus der freien Natur binden und diesen ohne Plastikschleifen zum Begräbnis mitbringen,“ erklärt Ivka Hasová. „Einen Blumenstrauß zusammenzustellen kann nämlich auch ein heilender Prozess sein. Wenn sich die Familie doch einen größeren Blumenschmuck wünscht, können wir sie mit ökologischen Blumenläden in Verbindung setzen.“
Der erste tschechische Naturfriedhof Wald der Erinnerungen (Les vzpomínek)

Der erste tschechische Naturfriedhof Wald der Erinnerungen (Les vzpomínek) | Foto: © Ke kořenům

Leinwandtuch statt Sarg

Auf Naturfriedhöfen findet ihr auch weder Grabsteine noch -platten. Grauer oder schwarzer Granit kommt aus Indien oder China und hat somit einen großen ökologischen Fußabdruck. Stattdessen werden an die Baumstämme Holztafeln mit den Namen der Verstorbenen gehängt und statt Grabplatten wachsen auf den Gräbern frisch gepflanzte Blumen, Sträucher oder Bäume.

Während Asche verstreut oder mit der Erlaubnis des Grundeigentümers im Boden vergraben werden kann, so ist es mit einem Leichnam komplizierter. „Die Gesetze ermöglichen derzeit lediglich die Feuerbestattung oder die Beisetzung des Leichnams in einem Sarg in ein Grab, das sich auf einem Friedhof befinden muss,“ erläutert Ivka Hasová. „Diese beiden Formen sind aber aus Sicht der Umwelt nicht gerade ideal.“ 

Adam Vokáč, Gründer des Vereins Poslední stopa (Die letzte Spur) und Öko-Totengräber auf dem Wiesenfriedhof in Prag-Ďáblice, kann sich vorstellen, dass Körper ohne Sarg begraben werden könnten. „Ich denke, dass ein Begräbnis als solches ein viel größeres Erlebnis sein kann, wenn der Körper nur in Leinwandtuch gewickelt ist. Ich glaube, man kann darin dann viel besser die Umrisse der Person sehen und durch den Stoff auch berühren,“ sagt er im Podcast Smrtelníka. „Noch dazu ist es viel billiger. Und auch die Erde nimmt ihn viel besser auf.“
Und was ist mit der Einäscherung? „Es gibt eine ökologische Alternative: die sogenannte Reerdigung. Dabei kommt es zu keinerlei toxischen Verbindungen. Der Leichnam wird natürlich zersetzt und verwandelt sich in nährstoffreichen Kompost. Dieser kann dann in die Erde gegeben werden, die durch die Nährstoffe angereichert wird. Dieses Verfahren wartet in Tschechien allerdings noch auf die gesetzliche Genehmigung. In anderen Ländern Europas ist es bereits erlaubt. Das erste derartige europäische Projekt ist das deutsche Meine Erde,“ sagt Ivka Hasová. „Das umweltfreundlichste Verfahren, das bisher in Tschechien möglich ist, ist den Leichnam auf dem Wiesenfriedhof in Prag beizusetzen,“ fügt sie hinzu. Für die gesetzliche Genehmigung der Reerdigung setzt sich der Verein Poslední stopa ein.

Tod als Teil des Lebens

Naturbestattungen kann man auch noch aus einer anderen Sicht betrachten: einer spirituellen. Blanka Javorová deckt in ihrer Magisterarbeit Až umřu, zasaďte na mně jabloň (Wenn ich sterbe, pflanzt einen Apfelbaum auf mir, 2012) die wichtige Rolle von Naturbestattungen als geteilter sozialer Rahmen für das Verstehen und Annehmen des Todes auf. Gerade der ökologische Blick, der den Naturbestattungen zugrunde liegt, bietet eine neue Perspektive, wie wir nicht nur auf unser Leben und unseren Platz auf der Erde blicken können, sondern auch auf unseren Tod. Es ist eine Perspektive, die uns trotz der Unterschiede verbinden kann.

Blanka Javorová zufolge stiften Naturbestattungen auch eine Hoffnung, die den Menschen außerhalb eines religiösen Rahmens fehlen kann. Hoffnung worin? Dass das Leben der Verstorbenen weitergehen kann, wenn auch in anderer Form. Aus der Erde mit der Beimischung der sterblichen Überreste der verstorbenen Person kann neues Leben wachsen. Hoffnung sieht sie darin, dass die sterbende Person mit der Wahl einer Naturbestattung „Leben bewahrt, ihm einen Platz schafft und es nährt“.

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