Das Thema Jagd provoziert sowohl Stolz als auch Kontroversen. Eine vielfältige Gemeinschaft von Menschen, die durch ihre Beziehung zur Natur verbunden sind, sieht sich zunehmend der Kritik von Umweltorganisationen, Förster*innen und Naturschützer*innen ausgesetzt. Wie sehen sich die Jäger*innen selbst, wie ist ihr Verhältnis zu den Tieren und wohin entwickelt sich die Jagd insgesamt?
Was Tschechien betrifft, gibt es kaum eine widersprüchlichere Freizeitbeschäftigung als die Jagd. Man kann Jäger*innen in einer Kneipe bei einem Bier, auf Dorffesten, in Universitätssälen, bei einem Waldspaziergang, aber auch in der Post, in einem Geschäft, im Zug oder der Chefetage einer Firma finden. Wer persönlich keine Jäger*innen kennt, kennt wahrscheinlich zumindest jemanden, der einen Jäger oder eine Jägerin in der Familie oder im Freundeskreis hat.Alles, was man für die Ausübung der Jagd braucht, ist eine bestandene Jagdprüfung und die Bereitschaft, in die Ausrüstung zu investieren. Praktisch jede*r kann Jäger*in werden. Außerdem hat die Jagd in der Tschechischen Republik eine lange Tradition und ermöglicht es, direkten Einfluss auf die Landschaft und das Leben der Tiergemeinschaften zu nehmen. Aus diesem Grund ist die Jäger*innenschaft vielfältig und sicherlich keine homogene Gruppe von Gleichgesinnten, die sich leicht in eine Schublade stecken lässt. Worin liegt also der Grund für die Kontroversen?
Wenn Jäger*innen etwas gemeinsam haben, dann ist es die starke Beziehung zur Natur. „Insgesamt gesehen ist die Jagd eine Möglichkeit, sich mit der Natur zu beschäftigen und gleichzeitig etwas Nützliches für sie zu tun“, erklärt seine Motivation Martin Langer, Jäger und Biobauer für die Zeitschrift Sedmá generace. Eine Beziehung zur Natur kann jedoch sowohl die Bereitschaft umfassen, die biologische Vielfalt zu unterstützen, Feuchtgebiete zu schützen oder Fledermauskästen zu bauen, als auch die Befriedigung über ein erlegtes Reh als „Trophäe“ oder das Teilen von Fotos von Füchsen und deren Welpen.
Die Jagd unter dem Einfluss der Kritik
Nicht erst seit ein paar Jahren hat die Jagd auch in den Sitzungen des Parlaments Aufmerksamkeit erregt, wo man ebenfalls Jäger*innen oder Vertreter*innen des Böhmisch-Mährischen Jagdverbandes (Českomoravská myslivecká jednota) antrifft, der die regionalen Verbände vertritt. Diese sahen sich im Zusammenhang mit der erfolglosen Aufforstung der Wälder nach der Borkenkäferkatastrophe der Kritik von Förster*innen und Umweltverbänden ausgesetzt. Dabei ging es um ein unzureichendes „Management“ bei der Jagd auf Wildtiere (wie Rehböcke und Rehkühe, Maultierhirsche, Mufflons oder Damhirsche), die neu gepflanzte Tannen- und Laubbaumsämlinge abfressen, so dass die Förster*innen oft auf die Wiederanpflanzung von Fichten zurückgreifen. Ein bewährtes, aber in Zeiten der Klimakrise dysfunktionales Wiederaufforstungsmodell.Anna Hrůzová, Mitglied des Jagdverbandes, erklärt, warum die Wildbestände in einigen Teilen des Landes zu hoch sind: „Ich denke, es hat auch viel mit der Faulheit einiger Jäger zu tun. Ihr Durchschnittsalter steigt, und die Älteren mit guter Erfahrung gehen nicht mehr so oft auf die Jagd, weil sie keine Lust mehr haben. Dann gibt es die Jüngeren, die sich in den Verbänden nicht so gut aufgehoben fühlen, weil die älteren Kollegen sie nicht auf die Jagd gehen lassen und sich ihnen gegenüber unfreundlich verhalten“, sagt sie in der Interviewserie Junge Jäger und Naturschutz (Mladí myslivci a ochrana přírody) für die ökologische Zeitschrift Sedmá generace. „Ich denke, dass dies einer der Hauptfaktoren für die Überpopulation des Wildes in einigen Gebieten der Tschechischen Republik ist. Eine weitere Ursache für zu hohe Wildbestände ist die Landschaftsgestaltung und die Art und Weise, wie wir in sie eingreifen. Manche Landschaftstypen sind für bestimmte Wildtiere günstiger, und deshalb können sich dort mehr von ihnen ansiedeln, falls die umliegenden Gebiete nicht ideal für sie sind“, sagte Anna Hrůzová.
Die Jäger*innen sind sich offensichtlich einig, wenn es darum geht, die Jagd auf Tiere zu rechtfertigen. „Man sagt, dass sich die Natur immer zu helfen weiß, aber der Mensch hat schon so sehr in sie eingegriffen, dass sie schon mit ihm verbunden ist und man sie irgendwie regulieren muss“, nennt Jäger und Fotograf Petr Grund als eines der Hauptargumente, das auch von anderer Seite zu hören ist. „Dafür sind die Jagd und das Jagdgesetz da, um den Wald und das Wild im Gleichgewicht mit dem Menschen zu halten.“ Was meint er mit Gleichgewicht? „Zunächst einmal muss das Wild reduziert werden, um einen gesunden Genpool zu erhalten und um ältere Tiere zu entfernen, damit sie nicht leiden“, erklärt Grund. „Alte Tiere haben so abgenutzte Zähne, dass sie ihr Futter nicht mehr zerkauen können und verhungern. Deshalb ist es auch besser, sie von ihrem Leiden zu befreien.“ Anna Hrůzová, Studentin der Veterinärmedizin, erwähnt ebenfalls, dass „mehr Wert auf die Gesundheit des Wildes gelegt werden sollte und nicht nur darauf, ob es sich um ein Trophäentier handelt“, und fügt hinzu, dass „vor allem ältere Jäger keinen Wert auf die Gesundheit der Tiere und eine mögliche Regulierung legen, die nicht nur für die Korrektur der Population in Bezug auf die Funktionalität des Waldes, sondern auch für krankes und altes Wild notwendig wäre.“
Zu den Kritiker*innen aus den Reihen von Umwelt-NGOs gesellt sich in diesem Jahr die Stimme der Tierschützer*innen, die mit Unterstützung der Öffentlichkeit ein Verbot der Baujagd von Füchsen fordern, einer legalen Jagdmethode, bei der die Jäger*innen einen Hund in den Bau lassen (im Frühjahr sogar trotz wehrloser Fuchswelpen), der die Füchse herauszieht, erwürgt oder zu Tode beißt. Obwohl der Böhmisch-Mährische Jagdverband die Baujagd im Gesetz beibehalten will, gehört diese Jagdmethode zu den Themen, die bei den Jäger*innen selbst widersprüchliche Reaktionen hervorrufen. Die Jäger, die ich zur Baujagd befragt habe, kannten niemanden, der Füchse auf diese Weise jagt. Martin Toman, Förster und Jäger, hält die Jagd auf Füchse mit Welpen für unethisch und unvereinbar mit den Regularien. Andere Jäger, mit denen er in Kontakt steht, sehen das ihm zufolge ähnlich.
Ebenso wenig würde keiner, den er kennt, auf eine Wildschweinkuh schießen, die Ferkel hat. Er selbst hat nur einmal auf einen Fuchs geschossen, der die Räude hatte, eine Krankheit, an der das Tier einen langsamen und qualvollen Tod stirbt. „Für die meisten Jäger ist der Fuchs ein Schädling“, sagt er und erklärt damit, warum er glaubt, dass Füchse überhaupt gejagt werden. Allein im vergangenen Jahr wurden laut Statistik über 83.000 Füchse erlegt, davon rund 4.700 durch die Baujagd. „Angeblich vernichtet er den Bestand an kleinen Pelz- und Wildtieren. Ja, der Fuchs erbeutet hier und da ein Rebhuhn, aber den größten Schaden richtet die industrialisierte, von Petrochemie abhängige Landwirtschaft an.“
Dennoch ist es letztlich die Gestaltung des Gesetzes und die Haltung des Böhmisch-Mährischen Jagdverbandes, die das Bild von der Jagd bei den Teilen der tschechischen Bevölkerung prägt, die nicht in direktem Kontakt mit Jäger*innen stehen – welche vielleicht eine ganz andere Meinung vertreten. Trotzdem habe ich mich gefragt, wie die Mitglieder*innen der Verbände sich selbst wahrnehmen.

„Die Tradition hat den großen Nachteil, dass sie missverstanden wird, zumindest unter uns Jägern“ | Foto: © Ester Dobiášová
Das Wesen der Tradition
Wie in jeder Gemeinschaft gibt es auch unter den Jäger*innen lebhafte Diskussionen über die Aufgabe der Jagd, den Wandel der Traditionen und die Ausrichtung der Ausbildung junger Jäger*innen. „Die Tradition hat den großen Nachteil, dass sie missverstanden wird, zumindest unter uns Jägern“, räumt Vlastimil Hartl, außerordentlicher Professor an der Fakultät für Forst- und Holzwissenschaften der Tschechischen Agraruniversität, im Podcast MysliHost ein. „Wir stellen uns die Übergabe des Bruchs vor, grüne Uniformen und Hüte, das Gewehr auf der linken Schulter, das Wild auf der rechten und so weiter. Aber das ist im Kern keine Tradition. Wenn wir uns die Wurzel des Wortes und die Bedeutung ansehen, stellen wir fest, dass es sich nicht um die Bewahrung bestimmter Bräuche handelt, sondern um die Weitergabe eines Wissensbestands. Das ist die wahre Tradition.“ Hartl beschreibt eine weitere Situation, in der einige Vereine immer noch an der „traditionellen“ Praxis festhalten, Fasane aus Käfigen in Richtung der Schützen freizulassen, die sie so leicht erlegen können.Daniel Švrčula, stellvertretender Vorsitzender für Komunitätsaktivitäten des Böhmisch-Mährischen Jagdverbands, erklärte für die Zeitschtift Sedmá generace, wie eine Pflege des Lebensraums der Tiere aussehen kann: „Die Grundlage sind sicherlich die Wildäcker, auf denen verschiedene Arten von Feldfrüchten gesät werden, die den Tieren dann das ganze Jahr über als Nahrung und Deckung dienen. Dadurch wird auch verhindert, dass die Tiere Schäden an den umliegenden landwirtschaftlichen Kulturen verursachen. Dies ist nicht nur für das Wild von Vorteil, sondern auch für eine größere Vielfalt an Insekten und Vögeln, welche sich auf solchen Feldern vor allem eben wegen der Insekten, aber auch wegen der Feldfrüchte aufhalten. Dadurch wird die biologische Vielfalt des jeweiligen Ortes insgesamt gefördert. Und dann gibt es natürlich noch weitere Maßnahmen, die darauf aufbauen, wie zum Beispiel die Schaffung von Niederwaldflächen in Kombination mit der Anpflanzung verschiedener Baumarten.“

„Die Jäger halten ein gewisses Gleichgewicht zwischen Natur und Mensch aufrecht, was sehr wichtig ist.“ | Foto: © Ester Dobiášová
Die Rolle der Jäger*innen in der heutigen Welt
Wo sehen andere die Aufgabe der Jagd? „Die Jagd dient einem bestimmten Zweck, nämlich der Erhaltung des Gleichgewichts des gesamten Ökosystems und vor allem des Gleichgewichts zwischen Natur und Mensch“, sagte für die Zeitschrift Sedmá generace Lucie Marunová, Wildhüterin im Nationalpark Böhmerwald, und stimmt Anna Hrůzová zu: „Auch wenn viele Menschen es nicht sehen, ist die Jagd unter anderem auch eine Pflege des Waldes. Aufgrund der Notwendigkeit, Population und Gesundheitszustand des Wildes zu kontrollieren, würde das Verschwinden der Jäger eine Zunahme des Wildbestandes bedeuten, was für die Landschaft nicht nachhaltig wäre. Darüber hinaus kann eine Überpopulation von Wild zu großen Ertragseinbußen in der Landwirtschaft führen, was für die betroffenen Landwirte fatal sein kann. Die Jäger halten ein gewisses Gleichgewicht zwischen Natur und Mensch aufrecht, was sehr wichtig ist“, sagt sie.Es gibt aber auch Jäger*innen, die niemals Wild schießen würden. „Ich bin Förster und Jäger, aber ich habe nie Wild gejagt, sondern es nur gefüttert“, erinnert sich Jan Barták, der 1944 in den Wäldern des heutigen Schulforstbetriebs in Křtiny bei Brünn zu arbeiten begann. „Ich war gerne mit ihnen zusammen. Ich hatte einen zahmen Marder, einen Fuchs, einen Eichelhäher, einen Turmfalken. Auf dem Dachboden in Vranov hatte ich drei junge Füchse. Einmal habe ich zur Brunftzeit einen Rehbock angelockt, da höre ich die Ricke pfeifen, sie laufen an mir vorbei, ich sehe, wie der Rehbock sie deckt – und ich denke, wenn das jemand mit dir machen würde, Honza, während du mit einer Frau zusammen bist... da konnte ich einfach nicht.“
Es ist der damals wie heute als fortschrittlich geltende Schulforstbetrieb in Křtiny, der der Mendel-Universität in Brno unterstellt ist, in dem schon vor fast einem Jahrhundert prominente Förster*innen und Pädagog*innen tätig waren. Zu ihnen gehörte Josef Opletal, dessen Memoiren über die rationale Wahrnehmung des Wildes die Regulierung hinaus auch zu m emotionalen Ansatz gelangte, den er an die nächste Generation von Förster*innenn und Jäger*innen weitergab: „Das Leben des Wildes ist eine ganze Welt für sich, und nur wer diese Welt kennengelernt hat, wer mit den hochentwickelten Sinnen des Wildes, mit seinem schönen Familienleben, mit seiner Nützlichkeit und Schädlichkeit vertraut ist, kann ein richtiger Jäger sein. “ Diese Haltung zusammen mit der Pflege des Waldes, wie sie die jungen Jäger*innen von heute, die ich zitiert habe, beschreiben, findet man nicht nur in seinen Memoiren, sondern auch in den Denkmälern, die im Mährischen Karst verstreut sind. Opletal widmete sie dem Wald selbst und seinen Bewohner*innen: Vögeln, Hirschen, Rehen, Schneehühnern, Füchsen und dem treuen Begleiter der Jäger*innen, dem Hund.
Oktober 2024