„Die Realität holt die Science-Fiction ein“: Ein Interview mit Hiroshi Ishiguro

KI-gesteuerter Roboter ERICA spricht mit ihrem Erfinder Hiroshi Ishiguro Foto: JST ERATO Ishiguro Symbiotic Human Robot Interaction Project

Seit Jahrzehnten zeigt uns der Film phantastische Visionen vom Leben in der Zukunft, die mittlerweile zum Greifen nahe sind. Der Robotik-Forscher Hiroshi Ishiguro freut sich sehr darüber, dass einer seiner Roboter eine Hauptrolle in einem Science-Fiction-Film spielen wird.

Motoko Kakubayashi

Hiroshi Ishiguro sorgte weltweit für Aufsehen, als er ERICA vorstellte, eine autonome Androidin, die sich unterhalten kann und wie eine junge Frau aussieht und klingt. Gegenwärtig arbeitet sie als Empfangsdame in einem Forschungsinstitut in Japan, und seit neuestem kann sie auch eine Tätigkeit als Schauspielerin in ihren Lebenslauf aufnehmen: Vor einigen Monaten wurde bekanntgegeben, dass sie eine Hauptrolle in dem Science-Fiction-Film b spielen wird, der in Hollywood gedreht wird.
 
Der japanische Robotererfinder Hiroshi Ishiguro Hiroshi Ishiguro | © Hiroshi Ishiguro Ishiguro, der Leiter des Intelligent Robotics Laboratory an der Universität Osaka, hat mit dem Goethe-Institut darüber gesprochen, wie weit die Wissenschaft in der Entwicklung eines intelligenten Roboters vorangeschritten ist und was ERICAs Auftritt in einem Film für die menschliche Gesellschaft bedeutet.
 
Es ist mittlerweile vier Jahre her, dass Sie ERICA der Welt präsentiert haben. Was haben Sie und Ihr Team bisher erreicht?
 
ERICA arbeitet im Advanced Telecommunications Research Institute International in Kioto am Empfang und kann mittlerweile ein zehnminütiges Gespräch mit einem Besucher führen, wobei sie zwischen 150 Gesprächsthemen wählen kann. Ich glaube, sie kann besser mit einem Fremden sprechen als die meisten von uns.
 
Wir führten ein Experiment durch, einen multimodalen Turingtest, bei dem wir eine Person aufforderten, mit einem Roboter zu sprechen, und sie anschließend fragten, ob sie glaubte, mit einem Roboter oder mit einem von einem Menschen gesteuerten Roboter gesprochen zu haben. Wir machten diesen Test mit elf Personen, die mit ERICA sprachen. Drei von ihnen waren absolut sicher, mit einer wirklichen Person gesprochen zu haben.
 
Glauben Sie also, dass ERICA ein Herz, oder vielleicht besser: eine Seele hat?
 
Ich betrachte ERICA tatsächlich als Gegenstand. Vielleicht sehe ich das anders als andere Leute. Ich habe meine eigene Androidenkopie, und vielleicht liegt es daran, dass ich daran gewöhnt bin, Androiden zu studieren. Ich würde meine Energie eher in das Studium der Funktionsweise von Androiden investieren als in den Bau von Androiden. Aber ich denke, dass die Forscher, die bei ATR an ERICA arbeiten und sie weiter verbessern, um sie menschenähnlicher zu machen, diesen Androiden so betrachten, als würden sie ein Kind aufziehen.
 

 
Reagieren die Leute außerhalb Japans anders auf ERICA, wenn sie ihr begegnen?

 
Nein, ihre Reaktion ist die gleiche. Aber sie äußern sich anders. Damit will ich sagen, dass die Leute unterschiedliche kulturelle und Bildungshintergründe haben, weshalb ihre logische Reaktion unterschiedlich ist. Insbesondere die Deutschen, die die Dinge so kategorisieren, dass Menschen Menschen und Roboter Roboter bleiben. Das gilt vielleicht nicht für Forscher, aber ich würde sagen, dass die Europäer der Menschenwürde große Bedeutung beimessen. In meinen Augen weiß niemand, was Würde ist, aber sie glauben, es sei etwas speziell Menschliches.
 
In meinen Augen suchen die Europäer nach einem Weg, um Menschen von Nicht-Menschen unterscheiden zu können. Da sie von anderen Ländern umgeben sind, mit denen sie oft Krieg führten und von denen sie erobert wurden, mussten sie identifizieren, was Menschen, Feinde oder Gegenstände waren.
 
Gratulation zu ERICAs bevorstehender Rolle in „b“. Sehen Sie selbst viele Science-Fiction-Filme?
 
Ich bin ein Fan von Star Trek. Es gefällt mir, dass jede Episode eine eigenständige Geschichte ist. Jede ist ein eigenes Gedankenexperiment. Es wird mir nie langweilig, sie anzusehen.
 
Was halten Sie von den heutigen Science-Fiction-Filmen?
 
Ich habe den Eindruck, dass die Realität die Science-Fiction einholt. Früher sah man einen Science-Fiction-Film und dachte: 'Wow, so wird die Zukunft aussehen.' Es gab die Imagination und die Realität. Mittlerweile nähern sich die beiden einander an, und die menschlichen Schicksale sind wichtiger als der futuristische Bestandteil. KI-gesteuerter Roboter ERICA mit ihrem Erfinder Hiroshi Ishiguro ERICA kann Gespräche in einer Vielzahl von Themenbereichen führen, wenn man sie richtig anspricht | Foto: JST ERATO Ishiguro Symbiotic Human Robot Interaction Project Was halten Sie davon, dass ERICA in einem Film eingesetzt wird?
 
Es ist eine Ehre für mich, dass meine Forschung in einem Film verwendet wird. Normalerweise ist es umgekehrt: Zuerst wird ein Film gemacht, der dann die Wissenschaft und die technologische Forschung inspiriert. Aber wenn die Forschung den Film inspiriert, bedeutet das, dass wir Forscher eine Zukunft schaffen, die bereits die Science-Fiction überholt hat. Es bedeutet, dass wir als Forscher die Vorstellungskraft hatten, etwas zu bauen, das nun einen Film inspiriert. Ich betrachte das als Anerkennung für meine Forschung.
 
ERICA ist ein sprechender Roboter und kann sich in einem spezifischen Arbeitsumfeld mit Besuchern unterhalten. Wie wird sie in einem Film reagieren?
 
ERICA wird nicht schauspielen. Sie ist die Hauptfigur, aber sie wird nicht in jeder Szene auftauchen. Sie wird als Ursprung des Films dargestellt. Die Lücke zwischen Wissenschaft und Technologie einerseits und Science-Fiction andererseits schließt sich. Die Zukunft, die wir ins Auge gefasst haben, ist also in Reichweite. Der Film soll die Zuschauer dazu anregen, sich Gedanken darüber zu machen, welche Art von Zukunft sie wollen. Er ist nicht einfach nur Unterhaltung. Er ist ein Gedankenexperiment. Er untersucht die Frage, wie das Leben in einer Zukunft aussehen wird, in der Menschen an der Seite von Robotern leben.
 
Was erhoffen Sie sich von diesem Filmprojekt?
 
Ich erhoffe mir Hinweise zum Roboterdesign. Ehrlich gesagt handelt es sich um eine Simulation der Zukunft. Es gibt Dinge, bei deren Anblick die Leute denken werden, dass sie das wollen oder nicht wollen. Es ist eine Gelegenheit, sich anzusehen, wie die Dinge aussehen würden, und darüber nachzudenken, was man tun könnte, um einen besseren Roboter zu bauen oder eine bessere Gesellschaft zu errichten. Pepper der Roboter im Futurium in Berlin, Deutschland Seit der Erfindung von Pepper im Jahr 2014 sind die Roboter menschenähnlicher geworden | Credit: Fitore F / Unsplash Die menschlichen Schauspieler, die an ERICAs Seite auftreten, haben Anspruch auf geeignete Arbeitsbedingungen. Bedeutet dass, dass wir Robotern ebenfalls Rechte zugestehen müssen?
 
Die Kinderroboter im Miraikan-Museum (in Tokio) sind bei einer Talentagentur registriert. Technisch sind sie also Angestellte, die im Museum arbeiten. ERICA hat bereits einen Repräsentanten in den Vereinigten Staaten, und sie hat eine Vereinbarung mit AI LIFE Inc. unterzeichnet. Ich glaube tatsächlich, dass Roboter Rechte verdient haben, und gegenwärtig laufen Forschungsprojekte, die sich mit Gesetze für den Umgang mit Robotern beschäftigen.
 
Den afroamerikanischen Sklaven wurden Rechte zugestanden, als die Sklaverei abgeschafft wurde, und sie wurden Teil der Gesellschaft. Oder denken wir an Tiere – sie hatten früher keinerlei Rechte, aber mittlerweile werden die Rechte der Tiere anerkannt. Wenn Roboter mit Menschen interagieren können, sollten sie ebenfalls Rechte erhalten.
 
Die Situationen, in denen Roboter mit Menschen interagieren können, sind jedoch begrenzt. Daher nehme ich an, dass wir, wenn wir ERICA bestimmte Rechte zugestehen würden, diese Rechte den spezifischen Arbeitsbedingungen anpassen würden, unter denen sie an dem Film teilnimmt.

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