Wie der Zweitspracherwerb von Big Data profitiert

Bild von zwei Personen und einem iPad zum Sprachenlernen © Goethe-Institut

Der Zweitspracherwerb ist die treibende Kraft hinter einigen wichtigen Zukunftsfragen: Wie werden wir im All, auf dem Mars, auf dem Mond kommunizieren? Werden Chips in unseren Gehirnen uns dabei helfen, über Sprachgrenzen hinweg zu kommunizieren? Brauchen wir ein neues Esperanto oder ist Englisch schon unser Esperanto?

Dr. Simone Smala

Die Antwort auf diese letzte Frage lautet: nicht wirklich – auch wenn Englisch beispielsweise auf der Internationalen Raumstation (ISS) eine der Hauptsprachen ist, ist Russisch dort oben genauso wichtig. Englisch und Russisch sind die zwei Hauptarbeitssprachen der ISS, Astronaut*innen berichten jedoch auch, dass zahlreiche Sprachen im Einsatz sein können, je nachdem, wer gerade auf der Raumstation anwesend ist (1). 
Ähnlich wie beim Artensterben verlieren wir traurigerweise jedes Jahr eine enorme Anzahl an Minderheitensprachen und ihren Kulturen (2). Es gibt heute auf der Welt jedoch eine ganze Reihe etablierter großer Sprachen (3) und wir werden über sie hinweg kommunizieren müssen, hier auf der Erde ebenso wie oben unter den Sternen. Moderner Spracherwerb, häufig als aussterbende Kunst angesehen, wird für zukünftige Generationen vielmehr ein zentrales Anliegen sein – und wir haben künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen auf unserer Seite.

KI prägt zukünftige pädagogische Ansätze

Eine verbesserte Rechenleistung und Cloud-Storage haben es möglich gemacht, KI in einer ganzen Reihe realer sprachbezogener Anwendungen wie beispielsweise der Spracherkennung und Verarbeitung natürlicher Sprache bei Siri (4) und anderen ähnlichen Smartphone-Funktionen (5) einzusetzen. Wie bei jeder KI ist der Schlüsselpunkt der Zugang zu Big Data für maschinelles Lernen. Während Siri sich mit uns unterhält, sammelt sie auch Daten und bereitet sie für optimierte zukünftige Gespräch auf, indem sie funktionale KI-Algorithmen, die menschliche Interaktionen nachahmen, konstruiert und neukonstruiert (6). All dies geschieht heutzutage auf winzigen Chips, mit neuen Technologien wie Mikrofluidik, die eine automatisierte Massendatenverarbeitung erlauben, bei der Big Data kosteneffizient erfasst werden kann (7).

Microchip Winzige Chips können heute Big Data kosteneffizient erfassen. | © Pexels Data-Mining von menschlicher Sprache, wie es in SIRI-Technologie angewendet wird, kommt auch beim Zweitspracherwerb zum Einsatz. Insbesondere führt die Nutzung von Big Data beim maschinellen Lernen in Sprachlern-Apps wie Duolingo, Babbel und Rosetta Stone zu personalisiertem und individualisierten Item-Response-Lernen. Beim Zweitspracherwerb werden solche entscheidenden Möglichkeiten in der künstlichen Intelligenz voraussichtlich zukünftige pädagogische Ansätze prägen (8). Von Lehrkräften in heutigen Schulen wird verlangt, ihren Unterricht so zu planen, dass alle Schüler*innen ihren Bedürfnissen entsprechend individuelle und abgestufte Unterstützung erhalten (9). Mithilfe von Sprachlern-Software, die personalisierte Lernschritte für jede*n Schüler*in ermöglicht, kann diese manchmal überwältigende Aufgabe durch den Einsatz von individualisierten Item Responses unterstützt werden (10).

Personalisierter Spracherwerb

Eine solche KI-gestützte Sprachlerntechnologie umfasst Funktionen für adaptives und personalisiertes Sprachenlernen sowie „Spaced Learning“ (11, 1213), wozu auf diesen Apps algorithmische Techniken und maschinelles Lernen eingesetzt werden. Indem sie den individuellen Fortschritt der Schüler*innen mitverfolgen, nutzen Apps wie Duolingo dann „Drill and Practice“-Funktionen, um sich auf Bereiche zu konzentrieren, die einzelne Benutzer*innen verbessern müssen, was zu individueller Fortschrittsoptimierung führt (14). Dazu gehören auch Sprachfunktionen, denn Spracherkennung und Chatbots, die Dialog-Benutzeroberflächen anbieten, sind heute Teil der fortschrittlichsten Sprachlern-Apps (15, 16). Und natürlich erlaubt die Unterhaltung mit der Chatbox in einer Zweitsprache der KI wiederum, mehr von der Sprache zu lernen, da robotisches (maschinelles) Sprachenlernen eine zentrale Funktion zahlreicher Anwendungen darstellt. Google Home Sprachinteraktionen können auch mithilfe einer aktiven Immersion auf Heimgeräten stattfinden. | © Pexels Solche Sprachinteraktionen können auch mithilfe einer aktiven Immersion auf Heimgeräten (Alexa, Google Home etc.) stattfinden. Amazon Echo kann so eingestellt werden, dass es in einer ganzen Reihe von Sprachen antwortet und dadurch letztlich zum KI-Übungspartner in den eigenen vier Wänden wird. Dasselbe ist bei der Apple Watch möglich (17), die damit zur tragbaren Technologie wird, die beim Erlernen einer Sprache hilft. Das Internet der Dinge und solche tragbaren Technologien fördern die Schaffung realistischer Szenarien, in denen sich Sprachlernende bei der Beteiligung an Unterhaltungen wohlfühlen können und besser auf soziale Interaktionen in einer Zweitsprache vorbereitet werden (De la Guia et. al., 2016).

Prägung des Sprachunterrichts in Schulen

Die Zukunft des Sprachunterrichts wird daher möglicherweise von KI auf unerwartete Arten geprägt werden. Die Möglichkeiten für personalisiertes Lernen in Interaktion mit einem Computer oder robotischen Kommunikationspartner, um Funktionen intensiv zu üben, kann die Sprachlehrkraft für gezieltere Interaktionen mit kleineren Schülergruppen freistellen. Statt 28 Schüler*innen im typischen heutigen Sprachunterricht in der Junior High School sehen wir womöglich Sprachunterricht mit 8-10 Schüler*innen, die sich zweimal pro Woche mit der Lehrkraft treffen und zwei weitere Unterrichtsstunden damit verbringen, ihrem optimalen individualisierten Lernplan in einem Computerlabor zu folgen. Da sich die Fähigkeiten von KI bei der Erkennung von Gesten, Gesichtern und sogar emotionalen Reaktionen ständig weiterentwickeln (18), wird ein solches individualisiertes Lernen weit über linguistische Item Recognition hinausgehen und die jeweilige gesamte Identität der Sprachlernenden berücksichtigen.

Schüler lernen mit einem Laptop Schüler in der Zukunft werden vielleicht ihrem optimalen individualisierten Lernplan in einem Computerlabor folgen. | © Goethe-Institut „Roboter-Kontingenzlernen“ beschreibt das derzeitige Grenzland der KI, die Fähigkeit zu autonomem, unüberwachtem Lernen bei gleichzeitiger Sensibilität für den Zusammenhang zwischen ihren Handlungen und deren Konsequenzen, sensomotorische Kontingenzen oder SMC (Sensorimotor Contingencies) genannt (19). Das Verständnis interkultureller Unterschiede bei der Anwendung verschiedener Sprachen wird selbstverständlich Teil dieser Evolution sein. Die Schulen der Zukunft werden sehr wahrscheinlich von KI-geleiteten Technologien geprägt sein, sowohl zur Personalisierung des Lernens innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers als auch als wichtigstes Instrument zum Verständnis großer Schülerpopulationen und ihrer Bedürfnisse. Und wenn wir schlau sind, sehen wir das als Bonus!