Umstrittene Kulturgüter Gekauft, geklaut, geschenkt, getauscht, geliehen?

Die Restitutionsdebatte schlägt hohe Wellen. Und ja, sie muss geführt werden – gern auch öffentlich und leidenschaftlich. Doch eine Rückgabe aller kolonialzeitlichen Objekte aus deutschen Museen ist nicht der Königsweg.
Von Prof. Dr. Wiebke Ahrndt
So vielfältig die Pfade sind, auf denen diese derzeit viel beachteten Gegenstände in die Sammlungen des globalen Nordens gerieten, so facettenreich müssen auch die Anstrengungen sein, die es gilt zu unternehmen, um erfolgreiche Wege der Heilung bis heute offener Wunden zu beschreiten – am besten gemeinsam mit Vertreter*innen der Herkunftsgesellschaften. Das Übersee-Museum Bremen ist bereits unterwegs und schaut dabei ganz bewusst nicht allein auf Afrika.Ein forschender Blick in die jüngst erschienene zweite Fassung des „Leitfadens zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“, an der auch ich mitwirken konnte, lässt keinen Zweifel: Geht es um Objekte, deren Erwerbungsumstände uns nach heutiger Auffassung als Unrecht erscheinen, ist deren Rückgabe geboten. Gleiches empfehlen die Autor*innen des vom Deutschen Museumsbund herausgegebenen Werkes für Objekte, die für Mitglieder ihrer Herkunftsgesellschaft von besonderer religiöser oder kultureller Bedeutung waren und dies auch heute sind. Verjährung ausgeschlossen. So weit, so gut.
Doch schon der zweite Blick offenbart nur allzu deutlich, warum dieser Leitfaden insgesamt nicht eben schlanke 200 Seiten umfasst. Viel gilt es zu bedenken. Einfach ist die Sachlage nicht. Sie stellt deutsche und europäische Museen, in deren Magazinen Kulturgut des globalen Südens lagert, vor große Herausforderungen. Auf welchem Weg gelangten die Objekte in die Häuser? Wer hat sie wann und wo von oder mit wem gekauft, geklaut, geschenkt, getauscht oder auch geliehen? Wurden sie vielleicht sogar eigens für Museen produziert? Beispiele aus der Provenienzforschung des Übersee-Museums zeigen, weshalb Fragen wie diese von Bedeutung sind – auch wenn Antworten darauf früher aus vielfältigen Gründen leider kaum lückenlos dokumentiert wurden.
Zwischen den Stühlen
Schon seit geraumer Zeit setzt sich das Haus im Rahmen verschiedener Projekte kritisch mit seiner Geschichte und mit dem Ursprung seiner Sammlungsbestände auseinander. Jüngstes Kind dieser Bestrebungen ist die neue Dauerausstellung „Spurensuche – Geschichte eines Museums“, die ab 26. Oktober 2019 zu sehen ist. Eines der Themen: die Kolonialzeit. Seit 2016 arbeiten drei wissenschaftliche Mitarbeiter*innen der Universität Hamburg daran, zu erforschen, wie fast 4.000 Objekte aus Kamerun, Tansania und Namibia an die Weser gelangten.Im Jahr 1909 etwa kaufte das Museum eine Sammlung aus Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia. In den Jahren zuvor hatte die deutsche Kolonialmacht hier einen erbitterten Krieg gegen Herero und Nama geführt, der sein grausames Ende im ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts fand. Zu jener Zeit an Objekte aus diesen Gesellschaften zu gelangen – selbst wenn es sich wie in diesem Fall lediglich um Alltagsgegenstände handelte –, war somit mehr als schwierig. Das belegen Briefwechsel zwischen Sammlern und Museum. Eines dieser Schreiben zeigt aber auch, dass das Bemühen des Hauses schließlich doch Erfolg zeitigte. Es „... hat sich aber ein älterer Mann gefunden, der sich aufs Verfertigen von Hausgeräten und Waffen versteht“, heißt es darin. Vermutlich ist also er – Salomo Perekete – der Urheber vieler Gegenstände aus der genannten Sammlung. Wurde er zur Herstellung der Objekte gezwungen? Wurde er für seine Arbeit bezahlt und wenn ja, in angemessener Weise? Doch seine Spur verliert sich. Selbst intensive Nachforschungen in Namibia führten nicht zu neuen Erkenntnissen oder gar Nachkommen. Einzig sein Name ist uns erhalten.
Geschichten wie diese zeigen, wie komplex das Thema Rückgabe tatsächlich ist. Dabei lag hier nicht etwa eine offizielle Anfrage oder Forderung zur Rückgabe der betreffenden Objekte vor. Wem hätte man sie auch zurückgeben, wen entschädigen wollen und sollen? Die Urenkel Salomo Pereketes oder den Staat Namibia? Sind dies überhaupt Objekte, die zurückgegeben werden sollten?Vom Öffnen, Austauschen und Zusammenarbeiten
Fragen der Rückgabe sind nicht die einzigen Themen, die uns in diesem Zusammenhang bewegen sollten. So wäre die Digitalisierung der Sammlungsbestände und eine zentrale Bereitstellung nachvollziehbarer Daten dringend geboten. Nur durch die weltweite Öffnung der Sammlungen kann Transparenz hergestellt werden. Letztere ist ein wesentlicher Schlüssel für eine Kommunikation auf Augenhöhe. Die von Herkunftsgesellschaften oft geforderten digitalen Rückgaben würden so möglich, aber sicher auch Forderungen nach der Rückgabe realer Stücke, von deren Existenz vorher nichts bekannt war. Die Museen stehen hier vor einer Herkulesaufgabe. Umfangreiche Investitionen durch die Träger sind notwendig – eine Art digitaler Revolution in der Kultur. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn die Digitalisierung weiter nur mit Bordmitteln geschehen kann, dann werden noch die nächsten Generationen nach Transparenz rufen.„Nur durch die weltweite Öffnung der Sammlungen kann Transparenz hergestellt werden.“
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