Der vielfach ausgezeichnete Filmemacher Kidlat Tahimik mit seiner Bambuskamera. Der vielfach ausgezeichnete Filmemacher Kidlat Tahimik mit seiner Bambuskamera. | Foto: Art Fair Philippines / Jojo Gloria.
Technophobie und philippinischer Nationalismus

Die Pfeiler der Bahay Kubo - Teil 2

Von Tad Ermitaño, 2020

In den frühen 1980er Jahren stieß ich auf das Mowelfund Film Institute, das damals seine Hochphase der experimentellen Film-Workshops erlebte. Ich war gerade vor der Wissenschaft geflüchtet, hatte eine Vorliebe für extreme Musik und fühlte mich sofort zum experimentellen Film hingezogen. Dieser förderte und vereinte meine vermeintlich gegensätzlichen Affinitäten zum Technischen und zum Transzendenten. Während allerdings die Mowelfund-Gemeinschaft Versuche der radikalen Gesten zu schätzen wusste, kamen zu den Vorführungen unserer Arbeiten vor allem Kunstliebhabende mit konventionellen Geschmäckern. Es war nicht unüblich, anschließend Teile des Publikums (also Philippinerinnen und Philippiner) sagen zu hören, dass “Philippiner*innen”“Philippiner” diese Art von Filmen nicht mögen. Immer wieder fielen im Zusammenhang mit den Filmen Adjektive wie „westlich”, „amerikanisch” oder „europäisch”. 


Low-Tech, aber mit Seele


Ich finde Tahimiks Arbeit dahingehend bemerkenswert, wie in ihrsie dieses Bild der philippinischen Identität hochgelhaltenhochhält und manifestiert wird. Tahimik verfasst das Provinzielle von innen heraus – in seinem zurecht gelobten Film, Perfumed Nightmare, rekapituliert er Teile der Vision der Cofradias von einem gerechten Lebens unter einfachen Umständen. Wir sind eingehüllt in denim inneren Monolog des Protagonisten und erkennen seine provinzielle Verwunderung schließlich als eine Form kindlicher Weisheit, die zu einer Sichtweise wird, von der aus Tahimik eine Zurückweisung von Kapitalismus, Imperialismus und Materialismus in Gang setzt.

In einer künstlerischen Praxis, die Performance, Installation und sogar Architektur umfasst, hat Tahimik – sowohl in Interviews als auch seiner Kunst – ausführlich das Thema des postkolonialen Narrativs behandelt. Für ihn ist es notwendig, dass Philippinerinnen und Philippiner und Philippinerinnen indigene Gegenerzählungen zu denen des Westens erschaffen. Ein wichtiges Objekt in Tahimiks ikonographischen Arsenal ist eine Kamera-Attrappe aus Rattan und Bambus.

Tahimik hat explizit gesagt, dass diese Kamera eine Metapher für „indigene Geschichten“ sei, Geschichten von Philippinerinnen und Philippinern über die Philippinen. Die Bambus-Kamera ist ganz klar eine Erweiterung des Bildes der Bahay Kubo, in dem Bambus das Äquivalent zum Adjektiv „indigen“ ist, das wiederum das allgemeinere Substantiv des Objekts modifiziert, das es formt. Demnach ist das Bambus-Haus ein indigenes Haus und eine Bambus-Kamera eine indigene Kamera; und Tahimiks Metapher für „indigenes Kino“.
 
Der vielfach ausgezeichnete Filmemacher Kidlat Tahimik mit seiner Bambus-Kamera. Der vielfach ausgezeichnete Filmemacher Kidlat Tahimik mit seiner Bambus-Kamera. | Foto: Art Fair Philippines / Jojo Gloria.

Aber warum ist Bambus ein Signifikant für „indigen“? Warum ist eine Bambus-Kamera „indigen“ und eine Kamera aus Stahl und Glas nicht? Immerhin gibt es auf den Philippinen Eisenmienen und das Land produziert Stahl und Glas, seit Jahrhunderten werden hier Kris-Dolche aus Metall geschmiedet und Kanonen gegossen. Des Weiteren ist (wie Filmwissenschaftler Nick DeOcampo anmerkt) das philippinische Kino beinahe so alt wie Hollywood. Man könnte meinen, dass die Geschichte einer Kamera aus Stahl und Glas alles Recht gäbe, das indigene Kino zu repräsentieren. Für mich liegt die Antwort eindeutig darin, dass Bambus als Metonym für die Bahay Kubo verwendet wird, das klassische Symbol für eine ungehobelte, eine improvisierte Ländlichkeit. Tahimiks Bambus-Kamera wiederholt den gleichen Gedanken, den Amorsolo in den 1950ern ausdrückte und der (würde ich sagen) das Bild der Cofradias von einer spirituellen Rechtschaffenheit in Armut verdrehte, indem die Betonung nicht mehr auf Rechtschaffenheit sondern nur auf Armut und ihren Manifestationen lag.es die Betonung von Rechtschaffenheit zu Armut und ihren Manifestationen verschob. In Amorsolos Gemälden wird die philippinische Identität als im Kern ländlich verstanden – oder wie ich es lieber nenne „im Kern low-tech“. „Im Kern low-tech“ ist Teil eines Begriffs einer Identität, die in Opposition zum technologisch überlegenen Kolonialherren konstruiert ist. Die vollständige Umformulierung dieser Version des Bildes der Cofradias wäre etwas in der Art von: low-tech, aber mit Seele.

Ich verwende diesen umgangssprachlichen und etwas unbeholfenen Neologismus „low-tech“ aus mehreren Gründen. Der wichtigste davon ist, dass er die unbeholfene, problematische und zeitliche Natur dessen reflektiert, was er beschreibt. „Low-Tech“ bedeutet nur etwas im Kontrast zu „High-Tech“, seinem Gegenteil; und beide sind, insbesondere in einer Zeit rasanter technologischer Veränderungen, bewegliche Ziele. Was heute High-Tech ist, ist morgen Low-Tech. Die Kategorie, die ein beliebiges Stück Technologie belegt, befindet sich im ständigen Wandel, wird von Kontext, Moden, Popularität, Marketing, Neuerung und Vertrautheit definiert.

In einem seiner Tagebuch-Filmen drückt Tahimik seine Angst darüber aus, dass sich sein ältester Sohn dazu entschlossen hat, Programmieren zu lernen. Er befürchtet, dass Programmieren ein unangemessenes Studienfach für jemanden ist, der aus einem „Dritte-Welt-Land“ stammt. Diese Bemerkung erinnert mich daran, wie Douglas Adams augenzwinkernd unserer Reaktionen auf Technologie auf den Punkt gebracht hat:
  1. Alles, was es auf der Welt gibt, wenn du geboren wirst, ist normal und gewöhnlich und einfach ein natürlicher Teil dessen, wie die Welt funktioniert.
  2. Alles, was erfunden wird, wenn du zwischen fünfzehn und fünfunddreißig bist, ist neu, aufregend und revolutionär und vermutlich kannst du sogar eine Karriere damit machen.
  3. Alles, was nach deinem sechsunddreißigsten Geburtstag erfunden wird, steht gegen die natürliche Ordnung der Dinge.

Douglas‘ absichtlich übertriebene Bemerkung fasst im Grunde Tahimiks Angst und das Problem hinter dem Adjektiv „low-tech“ zusammen. Als jemand, der die technische Disziplin des Filmemachens mit Celluloid gemeistert hat, drückt Tahimik Angst vor der ihm ungewohnten Computertechnologie aus. Dieses vielsagende Eingeständnis zeigt, dass „Low-Tech“ lediglich „Old-Tech“ ist, also alte Technologie, oder (vielleicht etwas präziser) „Familiar-Tech“: Adams‘ „Zeug, das es gab, bevor du auf die Welt gekommen bist“. Allerdings ist, wie Adams zeigt, der Unterschied zwischen Technologie, die „normal und gewöhnlich“ ist, und Technologie, die „gegen die natürlich Ordnung der Dinge steht“, eine Unterscheidung, die sich im ständigen Wandel befindet.

Trotzdem, in Retrospektive scheint klar, dass diese Vorstellung von einem philippinischen Wesen und Schicksal basierend auf dem, was man als „spirituelles“ Fundament bezeichnen könnte, der konzeptuelle dritte Weg war, die notwendige Alternative zu den binären Kategorien Schüler und Lehrer entsprechend des kolonialen Weltbildes. Zweifellos war dieser dritte Weg immens hilfreich für die Kultur und das Land. Man sieht, wie er verschiedenste kulturellen Initiativen unterfüttert. Vom Folkrock der Band Asin bis hin zu den Installationen Roberto Villanuevas. Von den Gemälden Santiago Boses zu den Forschungsarbeiten von Reynaldo Ileto und Reynato Constantino, und selbst (würde ich behaupten) bis hin zu den Avantgarde-Kompositionen Jose Macedas, dessen Schriften seine Verwendung indigener Instrumente ausdrücklich mit einer philippinischen Authentizität verbinden, die er als in ländlichen Gebieten und "dörflichem Denken" verwurzelt ansah.. Seine Schriften ziehen explizit eine Verbindung von seiner Verwendung indigener Instrumente zu einer philippinischen Authentizität, die er als verwurzelt in den ländlichen Gegenden und im „Dorfdenken“ versteht. In anderen Worten: Ich möchte in keiner Weise den Beitrag dieser Vorstellung zur philippinischen Kultur schlechtmachen. Sie war und ist ein wichtiger konzeptueller Meilenstein und unabdingbarentscheidend dabei,kritisch für die Artikulation der Opposition gegen koloniale Narrative. die Opposition gegen die kolonialen Narrative zu artikulieren. Allerdings scheint mir auch offensichtlich, das diese Vorstellung gewisse logische Implikationen nach sich zieht, die zu weniger heilsamen Resultaten geführt haben.
 
„<a href="https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Native_Song.jpg" target="_blank">Native Song</a>“ 1999 Öl auf Leinwand mit Mixed Media und Farbabzügen auf Papier von Santiago Bose. Native Song“ 1999 Öl auf Leinwand mit Mixed Media und Farbabzügen auf Papier von Santiago Bose. | Foto unter der Verwendung der CC BY 4.0 Lizenz

Wenn die philippinische Identität als „im Kern Low-Tech“ positioniert ist, dann ist die philippinische Identität dazu verdammt, sich selbst in Opposition zu jedweder Technologie zu sehen, die neu und ungewohnt ist. Diese Position bildet die Balken/Stämme/Pfeiler der Bahay Kubo. In dieser Ordnung mutet die Verwendung von allem, was (momentan) als „High-Tech“ gilt, als unangemessen oder als eine Art Vergehen an. Diese Unangemessenheit kann sich auf verschiedene Arten manifestieren. Die Nutzenden und ihre UnternehmenAnliegen/Arbeit können als widersprüchlich erscheinen, als falsch, unehrlich oder arrogant erscheinen. Die Nutzer*innenNutzenden können sogar bedrohlich wirken, wenn ihr Unterfangen irgendwie mit der Vorstellung verbunden ist, dass sie, die Nutzenden, aus der Reihe tanzenausscheren und sich auf die Seite der „Ersten Welt“ schlagenschlägt. Auf diese Weise wird Technophobie zum Bestandteil der nationalen Identität erkoren. Dieser Irrweg hat drei Konsequenzen, die besonders schädlich sind. Erstens legitimiert es das sogenanntes Smart-Shaming und die Abwertung harter Arbeit. Zweitens legitimiert es eine Form der Kritik, deren Argumente bei erklingen fast sofort wieder veraltet sind.

Wenn die philippinische Identität als „im Kern lowtech“ positioniert ist, dann ist die philippinische Identität dazu verdammt, sich selbst in Opposition zu jedweder Technologie zu sehen, die neu und ungewohnt ist. Diese Position bildet die Pfeiler der Bahay Kubo.


Drittens sind die Aussagen, die in diesem Sinne getätigt werden, so schwach, dass sie nur in einer Atmosphäre gebilligt werden können, die faules Denken und schwammige Verallgemeinerungen unterstützt. Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass sich alle drei aufgeführten Konsequenzen periodisch in den Reaktionen auf Kunst manifestieren, die Elektronik und Computer einbeziehen.


Wiederannäherung

Dennoch spüre ich, dass eine Art Umbruch im Gange ist. Dieser Wandel manifestiert sich besonders sichtbar in der florierenden Underground Noise-Szene, in der Circuit Bending und die Umnutzung von Technologie wertgeschätzt werden. Durch ihre Bauweise wie durch ihre Benutzung zeigen und würdigenschätzen die Instrumente Akte des „technologischen Ungehorsams“, um den eleganten und poetisch-präzisen Ausdruck des kubanischen Künstlers Ernesto Orozco zu verwenden. Der Ausdruck ist eine Anspielung auf die Idee, dass Technologie eingebettete Nachrichten enthält, von denen viele oder sogar die meisten Befehlen darstellen. Zusätzlich impliziert der Ausdruck, dass sich Handlungsmacht ausüben lässt, indem man genau diese Befehle missachtet. Ideologisch validiert der Ausdruck die Praxis, „fertige Objekte“ als Fundgrube für Teile zu verwenden, aus denen man andere Maschinen baut – Maschinen, die Probleme lösen und Bedürfnisse in der örtlichen Gegenwart erfüllen. Das ist entweder sehr nah am Gegenteil von Technophobie oder zumindest ein Exorzismus davon.
 
Lirio Salvador mit  einigen seiner selbstgemachten Geräten (Brille/Gläser, Gitarre). Lirio Salvador mit einigen seiner selbstgemachten Geräten (Brille/Gläser, Gitarre). | Foto von Jing Garcia, 2005

Extrem sichtbar sind diese korrektiven Tendenzen in der Kunst und Musik von Lirio Salvador, einem der Pioniere des Filipino Noise, was er „Klangkunst“ nannte. Lirio und seine Band Elemento (die anfangs Intermidya und dann Publiko hieß) waren Zeitgenossen meiner eigenen Medien-Performance-Band, The Children of Cathode Ray. Allerdings waren sie uns einen Schritt voraus, da sie Instrumente verwendeten, die Lirio selbst gebaut hatte: silberne, elektrische Monstrositäten, zusammengebaut aus Ess-Utensilien, Fahrradteilen und gefundenen Rohrleitungen. Bei vielen seiner Auftritten hatte ich das Gefühl, als hätte er eine Art Cyborg-Theater zum Leben erweckt, eine Fusion aus Mann und Maschine. Eine seiner Performances bestand darin, dass er die gemeinschaftliche Säuberung eines Bachs organisierte und dann währenddessen Noise spielte. Über sein Schaffen sagte Lirio: Lirio sagte einmal treffend über sein Schaffen:

Es geht um die Zusammenführung meiner indigenen orientalischenorientalen Kultur und der aktuellen industriellen Umgebung, die langsam meine Heimat korrumpiert.

Mich beeindruckt daran besonders seine Verwendung des Wortes „Zusammenführung“. Mir scheint nämlich, dass die logische Entwicklung des philippinischen Bewusstseins, das sich (wenn auch nurwie partiell oder zufällig auch) darauf gegründet hatte, sich selbst als das Gegenteil von Technologie zu verstehen, irgendwann eine Annäherung Entgegenkommen – eine Zusammenführung – mit diesem Wesensmerkmal des zeitgenössischen Lebens vollziehen MUSS.

Mir scheint nämlich, dass die logische Entwicklung des philippinischen Bewusstseins, das sich (wenn auch nur partiell oder zufällig) darauf gegründet hatte, sich selbst als das Gegenteil von Technologie zu verstehen, irgendwann eine Annäherung – eine Zusammenführung – mit diesem Wesensmerkmal des zeitgenössischen Lebens vollziehen MUSS.

In meinen schwelgerischen MomentenAugenblicken frage ich mich sogar, ob diese möglicherweise spezifisch philippinische Entwicklung in Zukunft vielleicht eine Rolle spielen könnte, die grundlegende Opposition von Mensch und Natur zu dekonstruieren, die den Gedanken von Technologie selbst untermauert.
 
Jose Maceda Jose Maceda | Foto mit freundlicher Genehmigung des UP Center for Ethnomusicology

Ich würde gerne mit einem Zitat des Komponisten Jose Maceda schließen. Die folgenden, das „dörfliche Denken“ preisenden Zeilen sind erfüllt vom gefährlichen (aber vielleicht historisch notwendigen) ersten Schritt, die nationale Identität der Philippinen innerhalb des Spektrums eines Low-Tech-Idylls zu verorten.  zur Herausbildung der nationale Identität der Philippinen als verortet innerhalb eines Low-Tech-Idylls. In Gegenüberstellung zuVor dem Hintergrund von Lirios Zitat habe ich allerdings das Gefühl, dass es auch als prophetisch gelesen werden kann. Das soll heißen, als etwas, dass die Saat für einen weiseren, bewussteren vorsätzlicheren und hoffentlich nachhaltigeren Gebrauch von Technologie in sich trägt:

Das dörfliche Denken ist ein Quell der Weisheit für das moderne Leben und einen nützlicheren oder philosophischeren Einsatz von Technologie. Es ist die Sicht auf das Leben, zu der der moderne Mensch aufschauen kann, um sich selbst aus dem gigantischen System des gegenwärtigen Lebens herauszuziehen, das dazu tendiert, den wahren Kern des Menschen zu zerstören, dessen Geist bei Weitem übertrifft, was eine Computergesellschaft ihm überhaupt geben kann.