Kunst
Auf der gleichen Welle: Wie der alte Groove das Gold der neuen Generation ist

DJs legen auf, die Menge tanzt. ©Birgit Kaleva

Musik spielt in unserem Leben viele Rollen. Eine der wichtigsten – wenn nicht sogar die wichtigste – ist die soziale Rolle.

Klaus Adam Jancis

Musik ist etwas, das Menschen wie nichts anderes verbinden kann. Musik ist etwas, zu dem die Beziehung so persönlich und intim ist, dass jeder, der deinen Musikgeschmack in gewissem Maße teilt, dir nähersteht.

Musik überschreitet oft Altersgrenzen und wird von einer Generation zur nächsten weitergegeben. Jede:r hat diese Bands oder Sänger und Sängerinnen, von denen man ein Fan – genauso wie die eigenen Eltern. Manche Musikstile bleiben in der Vergangenheit und niemand möchte mehr daran erinnert werden (Electro-Swing – du bist gemeint), aber viele kehren zurück, sogar noch größer als zuvor. Mir ist aufgefallen, dass eine Musikrichtung ein besonders gutes Beispiel dafür ist: Tanzmusik, genauer gesagt Rave-Musik der 1990er Jahre wie Techno, Gabber, Jungle, Drum n' Bass, Breakbeat Hardcore usw.
Der Großteil der heutigen Tanzmusik stammt aus dem Acid-House der späten 1980er Jahre: Techno, Jungle, Trance und Hardcore. Acid-House kann als Dschingis Khan der Tanzmusik betrachtet werden. Viele dieser Stile haben gemeinsame Elemente und manchmal ist es sogar schwierig, klare Linien zu ziehen. Nichtsdestotrotz ist jeder Stil einzigartig und gut von den anderen unterscheidbar.
Obwohl sich die Musik weiterentwickelt hat und zum Beispiel Jungle zu DnB und Gabber zu unzählbar vielen Subgenres des Hardcore-Techno (Frenchcore, Uptempo, Rawstyle usw.) geworden ist, entdecken junge Menschen die Wurzeln dieser Genres wieder: dieselben Songs und Künstler:innen die vor 20–30 Jahren dank des Internets und der Streaming-Plattformen wie Spotify und Soundcloud die Tanzbühnen erobert haben. Es tauchen immer mehr Künstler:innen auf, die versuchen, diesen Sound der 1990er Jahre zu imitieren, indem sie dieselben Klänge, Bewegungen und manchmal sogar dieselbe Technik verwenden wie die Großen der 1990er Jahre. Wie du weißt, handelt es sich nicht nur um eine einfache Nachahmung, da neue Künstler:innen der Musik moderne Elemente hinzufügen und ihr einen neuen, aber vertrauten Klang verleihen.
 
DJs legen auf. Internet Café DJs wählen Musik beim Müürilehe-Festival im Genialistide Klubi aus. | ©Birgit Kaleva
Insbesondere bei Soundcloud machen junge Künstler:innen Musik in Stilen, in die sie in ihrer Blütezeit noch nicht einmal hineingeboren waren, was viel über die Ausdauer dieser Stile aussagt. Natürlich hören und kreieren junge Leute auch viel neue Tanzmusik, die von der bestehenden Tanzmusiktradition abweicht und sich von ihr zu distanzieren versucht. Aber es gibt immer noch eine große Anzahl derjenigen, die die alten Musikstile weiterentwickeln wollen. Labels wie Casual Gabberz und Future Retro bringen alte Sounds in brandneuer Form und mit brandneuer Energie zurück. Für die gleiche Veranstaltung werden sowohl DJs engagiert, die sich bereits dem Ruhestand nähern, und DJs, die gerade ihren Universitäts- oder Hochschulabschluss machen.

Ich selbst habe oft gesehen, dass Leute mittleren Alters auf der Tanzfläche genau die gleiche – wenn nicht sogar lebhaftere – Energie haben als Leute, die halb so alt sind. Als DJ habe ich so oft Lob von älteren Generationen erhalten. Als ich einmal im Genialistide Klubi in Tartu auftrat und an diesem Abend hauptsächlich Gabber und Hardcore der 1990er Jahre spielte, war ein 45-jähriger Mann im Publikum, der mit aller Kraft mitmachte und einen waschechten Hakken (ein traditioneller Gabber-Tanzstil) aufführte.
 
DJs legen auf Internet Café DJs wählen Musik beim Müürilehe-Festival im Genialistide Klubi aus. | © Birgit Kaleva
Als ich mit meinem Set fertig war, lobte mich ein völlig erstaunter Mann: er hätte so etwas schon lange nicht mehr gehört und fügte hinzu, dass er seinen Freund eingeladen habe, der 40 Minuten entfernt wohnt und der jetzt ein Taxi nimmt, um zur Party zu fahren. Es tat mir so leid, ihm sagen zu müssen, dass mein Set eigentlich schon vorbei war und ich mich eigentlich bereits auf dem Heimweg befand. Es war, als würde man einem kleinen Kind sagen, dass der Weihnachtsmann nicht existiert.
Als ich im Club Kauplus Aasia eine Gabber-Party organisierte, waren neben meinen Freunden, Bekannten und anderen jungen Leuten auch Leute mittleren Alters da, die gekommen waren, um der Musik ihrer Teenagerjahre zu lauschen. Als die Party vorbei war, rief ein Typ „HARDCORE WIRD NIE STERBEN!“ und bettelte sogar darum, dass die Party weitergehen solle. Für junge Leute ist es absolut toll zu sehen, wie ältere Musikliebhaber:innen abgehen. Aber es ist nicht nur Gabber, der zu einem generationsübergreifenden Zusammenhalt einlädt. So etwas findet man zum Beispiel auch auf Dschungel- und Dnb-Partys.

Das ist natürlich nicht nur ein estnisches Phänomen, sondern weltweit zu beobachten. Auf Partys wie dem Thunderdome treffen sowohl Gäste des allerersten Thunderdome (der vor fast 30 Jahren stattfand) als auch begeisterte Newcomer ein. Das ist übrigens eines der Dinge, die ich an der Rave-Szene wirklich mag: wie offen und aufgeschlossen sie ist (besonders die Jungle-, DnB- und Gabber-Szenen). Die Mottos vieler Partys und Festivals betonen vor allem Zugehörigkeit und Einheit. Einige Szenen sind in diesem Aspekt deutlich prätentiöser und elitärer und legen großen Wert auf Exklusivität und die Ablehnung sogenannter Poser.

Ich denke, die Rave-Szene ist das beste Beispiel für kulturelle Fusion. Rave ist ein Ort, an dem man Spaß haben kann, wo man alles vergessen und mit der Musik und den Menschen verschmelzen kann. Und jeder sollte es genießen können, unabhängig von den Unterschieden zwischen den Menschen, sei es das Alter oder andere Faktoren. Schließlich sind alle für das Gleiche kommen: die Musik.

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