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Computerspiele haben ein Partizipationsproblem. Was ist zu tun?

Eine bewaffnete Frau hockt auf einem Stein.  © Square Enix

Ein Großteil des Sexismus in der Computerspielwelt ist versteckt und implizit, aber das bedeutet nicht, dass er nicht ernsthaft bekämpft werden sollte.

Klaus Jancis

Computerspiele sind eines der beliebtesten Medien und auch eines der profitabelsten: Im Jahr 2020 brachte der Computerspielemarkt 37 Milliarden Dollar ein. Zum Vergleich: Hollywood verdient rund 15 Milliarden Dollar im Jahr. Es gibt eine Vielzahl von Computerspielen und deren Genres: Rätselspiele, Ego-Shooter-Spiele (FPS, sogenannte Shooter-Spiele), Rollenspiele, Abenteuerspiele, Rallye-Spiele oder Platformer – um nur einige zu nennen.

Viele halten Computerspiele für die Freizeitbeschäftigung von Jungen, aber das ist einfach nicht der Fall! Es ist jedoch kein Geheimnis, dass Computerspiele seit langem ein Problem mit der Partizipation von Frauen haben. Im Jahr 2010 gab es auf den Ladentischen nur Computerspiele mit einem weißen männlichen Protagonisten. Es gab nicht viele (wenn überhaupt) weibliche Charaktere in den Spielen (z.B. Call of Duty: Black Ops, Assassins Creed) und in Spielen, in denen es Frauen gab (wie GTA IV, Red Dead Redemption), waren sie entweder Prostituierte; oder Objekte, die Spieler*innen gewinnen oder retten mussten (sozusagen Damsel in distress). Das Problem ist, dass Computerspiele seit langem als Hobby für Männer gelten, weswegen sich die Spiele auch auf die Männern zugeschriebene Vorstellungskraft konzentrierten, ein krasser Badass zu sein.

Samus im Bikini

Allerdings ist es aber nicht so „schwarz-weiß"-mäßig einfach zu sagen, dass „alle Computerspiele sexistisch sind“. Weibliche Protagonistinnen sind kein neues Phänomen. 1986 veröffentlichte Nintendo Entertainment System das Spiel „Metroid“, dessen Hauptfigur der Sci-Fi-Kopfgeldjäger Samus war. Der Charakter trägt während des gesamten Spiels ein Kostüm und erst am Ende des Spiels erfährt man, dass Samus eine Frau ist. Die Fortsetzung des Spiels „Super Metro“ gilt als eine der Top-Errungenschaften des Mediums. Doch „Metroid“ war nicht so feministisch, wie es auf den ersten Blick scheint. Durch Eingabe eines Cheat-Codes im ersten „Metroid“ konnte man Samus im Bikini sehen. Es könnte den Eindruck erwecken, sie sei nichts weiter als ein Objekt der Lust für Jungen.

Viele Millennials erinnern sich noch an die ursprünglichen „Tomb Raider“-Spiele aus den 1990er Jahren. Die Hauptfigur Lara Croft war ein Mega-Hit, die auf der Titelseite des Time-Magazins erschien, in zigmillionen Werbespots posierte und einen eigenen Spielfilm (mit Angelina Jolie) hatte. Lara Croft hat eine sehr passable Figur und ist nicht auf den Mund gefallen – für viele die perfekte Frau.

Gameplay ist wichtiger als das Geschlecht

Neuerdings sind auch komplexere weibliche Charaktere in Computerspielen zu finden: Bestes Beispiel wäre Ellie in der „The Last of Us“-Reihe, aber auch die neue „Tomb Raider“-Spielereihe „Horizon: Zero Dawn and Beyond: Two Souls“ verdient es, erwähnt zu werden. Ich glaube nicht, dass das Auftreten der weiblichen Charaktere in diesen Spielen in irgendeiner Weise erzwungen ist: Sie wirken in diesen Spielen sehr natürlich.

Aber es ist auch wichtig zu erwähnen, dass die Leute Spiele nicht danach auswählen, ob sie von einer Frau oder einem Mann gespielt werden können: „Tomb Raider“ wird zum Beispiel normalerweise nicht gespielt, weil es eine weibliche Protagonistin gibt, sondern weil das Spiel ein faszinierendes Gameplay bietet mit einer interessanten Geschichte und der Jagd nach Schätzen.

Verdeckter Sexismus

Online-Multiplayer-Spiele (MMOs) sind andere Geschichten. Zum Beispiel gibt es erst seit kurzem in FPS die Möglichkeit, weibliche Charaktere zu spielen. Aber es gibt Spiele, bei denen es bereits vorher möglich war: Die „Call of Duty“-Reihe bietet seit dem Erscheinen des Spiels „WWII“ im Jahr 2017 die Möglichkeit an, einen weiblichen Charakter zu spielen. In „Player Unknown´s Battlegrounds“ konnte man ebenfalls schon länger eine Frau spielen.

Aber „Call of Duty“ und „PUBG“ unterscheiden sich von „Tomb Raider“ beispielsweise dadurch, dass es sich hierbei um ein Schlachtfeld handelt. Es scheint offensichtlich, dass es irgendwie besonders schlimm ist, Frauen im Krieg niederzuschlagen. Gleichzeitig weiß ich nicht, ob Frauen damit ein Problem haben, denn wenn man als Frau in einem solchen Spiel mitspielt, dann kann eine Frau genauso auch einen Schützen erschießen.

Ein weiteres Argument für den Mangel an weiblichen Charakteren ist, dass das Spiel wahrscheinlich sowieso mit männlichen Charakteren gespielt wird, da die Mehrheit der FPS-Konsumenten Männer sind. Somit lohnt es sich nicht, Zeit mit der Programmierung des weiblichen Charaktermodells zu verschwenden. Umfragen zeigen jedoch wiederum, dass 40 Prozent der MMO-Spieler Frauen sind.

Die Krise der Männlichkeit

Eine andere Geschichte ist, wie männliche Spieler weibliche Spielerinnen in Multiplayer-Spielen behandeln. Frauen werden in Game-Chats Opfer von Belästigungen und Demütigungen. Etwas Ernstes passiert eher selten, aber Frauen werden immer noch gedemütigt und angemacht. Eine meiner Freundinnen erzählte mir, dass sie im Wettkampfspiel „Counter Strike: Global Offensive“ keinen Voice-Chat verwenden wollte, weil ihre früheren Erfahrungen zeigten, dass ihre Teamkollegen sie nicht ernst nehmen würden, wenn sie herausfinden würden, dass sie eine Frau ist. Sexismus ist nicht immer so offensichtlich, wie „Frauen sind schlecht“ und so weiter. Er ist normalerweise verdeckt und passiv. Nur durch Anspielungen weist er auf seine wahre Natur hin.

Das Medium Computerspiel vertieft das sexistische Verhalten der Männer, denn im Spiel sind sie anonym und können alles sagen, was sie wollen. Es kann sein, dass, wenn Männer hauptsächlich Computerspiele spielen, bei denen sie einer Frauendarstellung ausgesetzt sind, die Frauen heruntermacht, sie diese Mentalität mit der Zeit übernehmen. Das ganze Thema ist gut mit der heutigen Männlichkeitskrise verbunden, wie Jordan Peterson, einer der berühmtesten und schlechtesten Denker der Gegenwart, es nennt.

Von Freundlichkeit profitieren alle

Was sollte getan werden, um Spiele für alle freundlicher zu machen? Es sei hier daran erinnert, dass die Welt der Computerspiele nicht vom Rest der Gesellschaft isoliert ist. Die Gesellschaftsprobleme, wie etwa schlechte Einstellungen gegenüber Minderheiten, werden in ihrer eigenen Form auch in Spielen reflektiert. Lösungen sollten daher in einem breiteren Ausmaß gesucht werden. Beispielsweise würde eine stärkere und vielfältigere Darstellung von Minderheiten in den Mainstream-Medien sicherlich der gesamten Gesellschaft helfen – eine Methode, die empirisch nachgewiesen ist.

Natürlich können auch innerhalb des Mediums Änderungen vorgenommen werden. Beispielsweise sollten Spieleentwickler*innen Minderheiten stärker berücksichtigen und darauf basierende Charaktere erstellen. Es ist auch wichtig, dass Entwickler*innen die Interaktionsumgebung in ihren Spielen freundlicher gestalten. Jede*r würde davon profitieren.


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