Flaggen – Flags

Marius Gardeia (model) in Pullman City, flag by Melissa Treutlein (illustrator) Photo: Jonas Höschl

“Flags are amazing things. Simple pieces of cloth. And yet, they carry such heritage and ideas with them.”

At 30 by 60 feet, the American flag in the parking lot of American Pride, a store that sells landscape equipment in Zanesville, Ohio, can be seen flapping in the wind from afar. Why the big flag? That’s what Jocelyn Robinson wants to know. In this episode of THE BIG PONDER, the journalist examines the relationship that Americans and Germans have with their national flags. She meets with a historian who explains where, when, and why the first flag was hoisted. She takes us back to the 2006 World Cup in Germany when soccer fans sported the national flag proudly for the first time since the Second World War. She also revisits the somber events of January 6, 2021, when a flag-bearing mob stormed the Capitol in Washington, D.C. Jocelyn Robinson investigates how all of this came to be and what it means for a piece of fabric to be so imbued with symbolism in her episode “Flaggen – Flags.”

Jocelyn Robinson

 

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Jocelyn Robinson contributed this story to THE BIG PONDER. Jocelyn is an educator, independent producer, and radio preservationist based in Yellow Springs, Ohio. In 2019, she traveled to Berlin with the Goethe-Institut program “Radiobrücke Reversed” where she visited the German radio station Deutschlandfunk Kultur. Find out more about her work on her website. John C. Sims kindly granted us permission to use his AfroDixie Remix of “Dixie” in this episode. This piece also features the songs “Stars & Stripes Forever” by the U.S. Navy Band and “The Star-Spangled Banner” by Nathan Hardman, which are both in the public domain. Peggy Bachmann, Isabelle Redfern, Volker Wackermann, and Timo Weisschnur did the voiceover work for the German-language edition of this episode. Jonas Höschl shot the featured photo of Marius Gardeia at the Pullman City Western Town near Deggendorf, Germany. Marius is waving a fictional flag designed by the illustrator Melissa Treutlein. Listen to the original version of this piece, in English, here.

Transcript

[AUTOGERÄUSCHE]

Jocelyn Robinson: Wir sind in Zanesville, Ohio – auf dem Weg zum Geschäft „American Pride“.

Siri: Starting route to American Pride Power Equipment. Head east on Market Street, then turn right onto North 4th Street. At the light, turn right onto Main Street.

[AUTOGERÄUSCHE]

Jocelyn Robinson: Ah, there it is!

Siri: Turn left, then the destination is on your right.

Jocelyn Robinson: Von dem Fahnenmast flattert eine riesige amerikanische Flagge, groß genug, um sie vom Highway zu sehen. Das Rot, Weiß und Blau der Stars and Stripes flattert selbstbewusst gegen die grauen Wolken an.

Let me go take a look at this big-ass flag.

Hier gibt es Kettensägen, Hochdruckreiniger ... – alles, was man so braucht. Die Flagge weht hoch über einer Reihe akkurat aufgestellter Rasenmäher.

Sarah Haren: Die Fahne ist 9 x18 Meter groß. Wir tauschen sie vier Mal im Jahr aus, damit sie immer gut aussieht.

Jocelyn Robinson: Sarah Haren leitet das Büro hier. Ich frage sie, warum der Besitzer so eine große Fahne vor seinem Geschäft hat.

Sarah Haren: Er ist ein großer Patriot, deswegen auch der Name seines Geschäfts. Die Fahne gehört seit 25 Jahren dazu. Als er das neue Geschäft hier gebaut hat, war es ihm wichtig, seine Solidarität mit den Kriegsveteranen zu zeigen.

Ich liebe diese große Fahne. Wenn du Leuten von außerhalb erklärst, wo du wohnst, sagst du einfach: „Da, wo die große Fahne am Highway weht“.

Ich bin stolz, hier zu arbeiten.

Jocelyn Robinson: Ist das die größte Fahne in ganz Ohio?

Sarah Haren: Ja – und sie weht an einem 37 Meter hohen Mast.

Jocelyn Robinson: Ok, great. Thank you so very much!

Sarah Haren: You’re very welcome.

Jocelyn Robinson: Das ist die größte Fahne in ganz Ohio!

Male Voice: Is it really?

Jocelyn Robinson: Hmhm!

Jocelyn Robinson: Tatsächlich habe ich rausgefunden, dass es noch ein paar andere Fahnen von der Größe in Ohio gibt. Aber es gibt auch doppelt so große, zum Beispiel in Sheboygan, Wisconson. Die „Big Betsy“ in Utah ist die größte frei flatternde Fahne Amerikas. Größer ist nur noch die „Superflag“. Sie ist knapp 70 x 150 Meter und wiegt über 1.300 Kilo. Sie steht im Guinnessbuch der Rekorde und man braucht mehrere hundert Menschen, um sie auszurollen.

Diese Fahnen sind ein Symbol für den amerikanischen Nationalstolz. Aber hinter ihnen steckt noch mehr ...

[MUSIK: BRIDGE — STARS & STRIPES FOREVER]

Jocelyn Robinson: Ich bin keine Fahnenexpertin, aber mich faszinieren diese Stücke Stoff und die Identifikation, die komplexen Geschichten und politischen Ideologien, die daran geknüpft sind. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen wurden viele Fahnen geschwenkt und ich frage mich, was genau dahintersteckt.

[TREUESCHWUR]

School Children: I pledge allegiance to the flag of the United State of America and to the republic for which it stands, one nation, under God, indivisible, with liberty and justice for all ...

Jocelyn Robinson: In den USA lernen Kinder die Fahne als Symbol unseres Landes und unserer Ideale kennen. Im Code of Laws steht sogar geschrieben, dass die Fahne selbst als etwas Lebendes wahrgenommen werden soll.

Dave Manges: Die Fahne ist das Symbol unserer Nation und wir sollten ihr Respekt erweisen. Sie repräsentiert uns genauso wie wir sie repräsentieren

Jocelyn Robinson: Dave Manges ist Veteran.

Dave Manges: Wenn du einmal für die Fahne gekämpft oder einen Freund unter ihr begraben hast, bekommt sie eine völlig neue Bedeutung.

Jocelyn Robinson: Wir treffen uns auf dem Nationalfriedhof in Dayton, Ohio. Soldaten aus Kämpfen bis hin zum Unabhängigkeitskrieg sind hier begraben. Über 55.000.

Dave erweist den Gefallenen militärische Ehren: den Drei‑Volley‑Gruß, den Zapfenstreich mit dem Horn und die zeremonielle Übergabe der Fahne vom Sarg eines Gefallenen an die Hinterbliebenen.

Fahnen und die Regeln und Rituale um sie werden hier sehr ernst genommen.

Dave Manges: Zur Flaggen-Etikette gehören der richtige Umgang und die Pflege der Fahnen. Alles ist sehr genau geregelt.

Die beiden größten Verstöße sind, sie als Kleidungsstück zu tragen und sie horizontal zu halten. Die Fahne sollte frei fliegen und ich kann nicht fassen, dass die NFL eine horizontale Flagge bei ihren Spielen zeigt.

Jocelyn Robinson: So viel zum Thema Patriotismus. Aber ich will mehr wissen.

Dr. Jonathan Winkler: Ich bin Jonathan Winkler, von der historischen Fakultät der Wright State University in Ohio.

Jocelyn Robinson: Winklers Spezialgebiete sind Militärgeschichte und die auswärtigen Beziehungen der USA. 

Dr. Jonathan Winkler: Fahnen haben eine große Bedeutung für ein Land. Auf den Schlachtfeldern des 19. Jahrhunderts und früher dienten die Fahnen dazu, den Soldaten die Stellung ihrer Kameraden anzuzeigen. Damals waren die Schlachtfelder voller Nebel von dem Schießpulver. Aber solange die Fahne im Umkreis von 50 Metern zu sehen war, wussten die Soldaten, dass sie nicht alleine waren.

Der Color Sergeant, also die Person, die sich um die Fahne kümmerte, hatte also eine sehr ehrenhafte Position – das ist bis heute so. Eine geschwenkte Fahne war das Zeichen für Vorwärtsbewegung, eine stehende Fahne zeigte die Frontlinie an.

Der amerikanische Bürgerkrieg ist voller Geschichten, in denen die Color Sergeants erschossen werden, manchmal bis zu sechs oder sieben während einer Schlacht.

Kennt ihr den ersten Afro-Amerikaner, der die Ehrenmedaille verliehen bekam?

Jocelyn Robinson: Das war Sergeant William H. Carney, 1863. Allerdings bekam er die Medaille erst 37 Jahre später.

Jonathan Winkler: Er gehörte zum 54. Regiment Massachusetts. Als der Flaggenträger im Kampf fiel, rannte er zur Fahne. Und obwohl er selbst angeschossen wurde, hielt er die Fahne hoch.

Wenn du auf der anderen Seite bist, zeigt die Flagge dir an, wo der Feind steht, auch wenn du sonst den Überblick verlierst. Wenn du also auf die Flagge zielst, sind die Chancen hoch, jemanden zu treffen. Es ist eine besonders gefährliche Position. Trotzdem haben sich Männer immer wieder genau für diesen Ehrenposten entschieden.

Heute ist das unvorstellbar, die Kriegsschauplätze haben sich verändert. Aber damals war die Fahne ein zentrales Symbol, um das die Männer sich versammelt haben – egal, wo sie herkamen.

Wenn Menschen die Fahne hissen, erinnern sie genau an diesen Geist, auch wenn sie ihn nicht mehr genau nachvollziehen können. Es zeigt, welche Bedeutung die Fahne hat. Sie repräsentiert nicht das Land, sondern die Verbundenheit der Menschen, die sich unter ihr zusammenfinden.

Jocelyn Robinson: Die Fahne ist ein Symbol des Patriotismus, der Freiheit und Gleichheit für alle. Diese besondere Bedeutung stammt aus Zeiten des Unabhängigkeitskrieges. Gerade deshalb wundert es mich, in welcher Begleitung sich die Fahne heute oft wiederfindet.

[GERÄUSCHE AUS CHARLOTTESVILLE]

Jocelyn Robinson: Bei einer Demonstration im Sommer 2017 in Charlottesville, Virginia, wurde gegen die geplante Entfernung einer Statue von General Robert E. Lee protestiert. In einem Video sind Vertreter*innen der extremen Rechten zu sehen. Sie singen und rufen rassistische und antisemitische Parolen und tragen offen Zeichen der White Supremacy.

Einige trugen die amerikanische Flagge. Viele hatten aber auch eine andere Fahne, eine mit 13 weißen Sternen, die in einem blauen Kreuz und auf rotem Untergrund stehen. Diese Fahne wurde fast ein Jahrhundert nach dem Krieg wieder hervorgeholt. Jonathan Winkler:

Jonathan Winkler: Die Flagge der Konföderierten Staaten von Amerika hat verschiedene Bedeutungsebenen. In den 50ern und 60ern wurde sie in den Südstaaten zum Symbol von Gruppen, die sich gegen die Aufhebung der Rassentrennung einsetzten. Um die Hundertjahrfeier des Bürgerkriegs wurden die Symbole dieser Zeit wieder hervorgeholt und neu betrachtet.

Alma Coleman: Ich kann nicht verstehen, wie man sich als Patriot bezeichnen und die Fahne derjenigen schwenken kann, die dieses Land zerstören wollten.

Jocelyn Robinson: Alma Coleman ist US-Veteranin und als Woman of Color weiß sie genau, was die Symbolik der Konföderierten Fahne bedeutet.

Alma Coleman: Für mich ist die Fahne eindeutig Ausdruck rassistischer Ideologie.

Ich bin keine Fahnenexpertin, aber wenn ich diese Flagge sehe, steigt Angst in mir auf. Menschen, die sie schwenken, sind keine Verbündeten. Vielleicht verfolgen sie mich nicht gleich mit einer Axt, aber sie sind mir sicherlich nicht wohlgesinnt.

Jocelyn Robinson: Es gab noch mehr Fahnen auf der Demonstration in Charlottesville. Darunter eine, die in ihrem Ursprungsland verboten ist.

Nils Zawarski ist Professor an der Universität von Hamburg. Mit ihm habe ich über die öffentliche Verwendung von Nazifahnen gesprochen.

Nils Zurawski: Wir sehen, dass amerikanische Nazis diese Fahnen gemeinsam mit der amerikanischen tragen. Das ist verwirrend, denn für uns Deutsche hat die amerikanische Fahne eine ganz andere Bedeutung.

Vielleicht ist es eine Altersfrage. Aber ich verbinde die amerikanische Flagge mit Freiheit und Befreiung – sie ist also das genaue Gegenteil der Nazifahne.

Jocelyn Robinson: Nazifahnen, Hakenkreuze und andere Symbole aus dem Dritten Reich sind in Deutschland verboten. Denkmäler erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus, nicht an die Täter.

Das deutsche Verhältnis zu Nationalsymbolen ist also angespannt. Während Amerikaner die Stars and Stripes auf T-Shirts tragen, haben die Deutschen ein anderes Verhältnis zu ihren Farben.

Nils Zurawski: Die Fahne repräsentiert etwas, das wir nie wieder sein wollen. Sie erinnert uns an unsere furchtbare Geschichte.

Als Deutsche tragen wir die Verantwortung, diese Geschichte niemals zu wiederholen. So sehe ich das in jedem Fall.

[GERÄUSCHE EINES FUSSBALLSPIELS]

Jocelyn Robinson: Erst bei den Fußballweltmeisterschaften 2006 in Deutschland wurde die deutsche Fahne wieder zu einem Symbol des Nationalstolzes. Tausende Fans schwenkten sie in den Stadien, Kinder malten sich das Schwarz, Rot und Gold auf die Wangen.

[GERÄUSCHE EINES FUSSBALLSPIELS]

Jocelyn Robinson: Nachkriegsdeutschland musste sich klar von der Vergangenheit distanzieren, um Teil der globalen Community werden zu können. Trotzdem gibt es bis heute eine extreme Rechte in Deutschland.

Jocelyn Robinson: In Amerika sind Nazifahnen oder die Konföderiertenfahne durch das First Amendment, das Recht auf Redefreiheit, legitimiert. Aber wo hören Patriotismus und Respekt auf und wo fangen Nationalismus und Ignoranz an?

LCDR Joseph Kearbey Robinson: Die meisten Amerikaner verspüren Stolz, wenn sie ihre Fahne sehen, zum Beispiel bei den Olympischen Spielen. Als ich die Fahne auf der Schulter meiner Uniform tragen durfte, war das etwas Besonderes für mich.

Jocelyn Robinson: Lieutenant Commander Joseph Kearby Robinson ist Marine- und Top‑Gun‑Pilot und Absolvent der amerikanischen Marineakademie. Und er ist mein Neffe. Das Militär gehört seit Generationen zu unserer Familie. Unser Vorfahre Benjamin Robinson war ein Buffalo Soldier, ein afroamerikanischer Nordstaaten-Soldat während des Bürgerkrieges. Er hat im Spanisch-Amerikanischen Krieg an der Seite von Teddy Roosevelt und seinen Rough Ridern in der Schlacht von San Juan Hill gekämpft.

LCDR Joseph Kearbey Robinson: Amerika verändert sich. Ich würde es nicht nationalistisch bezeichnen, aber viele Amerikaner haben einen übertriebenen Patriotismus entwickelt. Ich bin selbst Patriot, ich bin für dieses Land in den Krieg gezogen. Aber das ist ein Unterschied zu Nationalismus, der sich als Patriotismus ausgibt. Diese Veränderung hat mit dem 11.September angefangen. Damals sagten sich die Leute: Ich trage diese Fahne, um allen zu zeigen, dass ich Amerikaner bin. Und wenn du nicht für mich bist, bist du gegen mich.

Wenn ich sehe, dass die Fahne so benutzt wird, dann fühlt es sich an, als ob Nationalisten eine patriotische Maske aufsetzen.

Die Fahne bedeutet mir und meinen Kamerad*innen viel, wir haben große Opfer für ihre Ideale gebracht. Wenn sich also jemand respektlos der Fahne gegenüber verhält, wird mir körperlich schlecht. Ich habe kein Problem mit respektvollem Protest gegen die Probleme in unserem Land – wir sind nicht perfekt.

Wenn ich Uniform trage und die Nationalhymne vor der Fahne gespielt wird, muss ich salutieren. Wenn ich keine Uniform trage, muss ich strammstehen. Und das tue ich auch. Aber wenn jemand wie der NFL‑Spieler Colin Kaepernick sich hinkniet und damit respektvoll protestiert, ist das okay für mich.

[AUFNAHMEN VOM 6. JANUAR 2021]

Jocelyn Robinson: Aber dann kam es am 6. Januar 2021 zum Sturm auf das Kapitol. Randalierer schlugen sich bis ins Innere des Gebäudes vor, um die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen anzufechten. Viele von ihnen trugen eine amerikanische Fahne. Vielleicht sollten wir doch etwas vorsichtiger mit unseren Symbolen sein, wie die Deutschen.

Eins der verstörendsten Bilder von diesem Tag war ein Mann, der die Konföderiertenfahne in den Sälen des Kapitols schwenkte. Dieses symbolische Eindringen von Sklaverei, Sezession und Suprematie in das Herz unserer Demokratie war verstörend, peinlich und traurig.

Wenn unsere Verfassung so ein Symbol nicht verbieten kann, wie sollen wir uns davon distanzieren? Wie können wir uns als Individuen und als Nation von dem Trauma heilen, das es in sich trägt? Ich habe mit jemandem gesprochen, der versucht, genau das herauszufinden.

John Sims: Mein Name ist John Sims. Ich bin Künstler, Schriftsteller und Aktivist und bin seit 20 Jahren aktiv in einem Projekt, das sich Recoloration Proclamation nennt. Wir beschäftigen uns mit den Traumata, die sich um die Ikonografie der Konföderierten Staaten ranken. In einem unserer Projekte beschäftigen wir uns mit der richtigen Hängung der Konföderiertenfahne. 2004 habe ich die Fahne in Gettysburg von einem vier Meter hohen Galgen gehängt. In einem anderen Projekt produzieren wir eine Schwarze Version des Songs Dixie.

 [AFRODIXIE REMIX-AUFNAHME]

John Sims: Ich habe diesen Song in unterschiedlichen Musikstilen aufgenommen. Und es gibt auch ein Filmprojekt. Ich denke, das Land ist bereit für diese schwierige Diskussion.

Am Anfang wurde meine Arbeit marginalisiert. Aber jetzt ist das ganze Land bereit, sich mit diesen Ideen zu befassen und sich zu verändern.

Jocelyn Robinson: John Sims schafft in seinen Multimedia‑Installationen Verbindungen zu lange schwelenden sozialen Fragen, die gerade neue Relevanz erfahren. Dabei geht es ihm weniger um die Rücknahme rassistischer Symbole, sondern viel mehr um eine Neujustierung ihrer Bedeutung.

John Sims: Dieses Projekt hat mich darauf vorbereitet, was 2020 im Zuge der Pandemie passiert ist. Wir erfahren Überwachung, Polizeigewalt und das Aufwallen von Symbolen und Zeichen der White Supremacy.

Das sind Zeugnisse sichtbarer und unsichtbarer toxischer Dinge. Das Virus können wir nicht sehen, aber wir wissen, dass es gefährlich ist. Polizeigewalt sehen wir nur selten, aber wir wissen, dass es sie gibt. Wenn du aber plötzlich das Video eines sterbenden Menschen siehst, verändert das etwas. Wer die Zeichen der Konföderierten im Bewusstsein ihrer Bedeutung sieht, kann sie als Möglichkeit begreifen, sich zu ihnen zu verhalten.

Ich denke, die Pandemie hat uns Amerikaner*innen dazu gebracht, unser Umfeld genauer anzuschauen. Sie hat einen Raum geöffnet, in dem die Möglichkeit des Handelns und der Veränderung besteht. Vielleicht sogar die Möglichkeit des Heilens.

Jocelyn Robinson: Wir brauchen ihn, diesen Raum, um zu heilen. Von den Traumata der Vergangenheit und den Ungewissheiten der Gegenwart und Zukunft. Vom Sichtbaren wie vom Unsichtbaren.

Die symbolische Kraft von Fahnen zu verstehen, was der Umgang mit ihnen über Identität und Ideologie aussagt, kann ein Türöffner für Gespräche sein. Darüber, wer eine Fahne hisst und warum. Über die Frage, wer wir sind und wer wir sein möchten. Und darüber, wie wir unsere Ideen umsetzen möchten. Oder, wie Jonathan Winkler sagt:

Jonathan Winkler: Fahnen sind etwas Unglaubliches. Einfache Stücke Stoff und dennoch Träger eines großen Erbes und vieler Ideen.

[MUSIK: STAR-SPANGLED BANNER (A LA HENDRIX), AUSGEBLENDET]

Jocelyn Robinson [ENGLISCH]: For THE BIG PONDER, I’m Jocelyn Robinson.