Gehirn (Ausschnitt) © Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried / Volker Staiger

Das Gehirn

Atmen, sprechen, laufen, lachen, sich entscheiden – alles beginnt im Kopf.

Unser Gehirn bestimmt Wahrnehmungen, Handlungen, Gedanken und Gefühle und sogar unseren Charakter. Genetische Anlagen spielen dabei ebenso eine Rolle wie eigene Erfahrungen und Einflüsse von Umwelt und Mitmenschen. Informationen gelangen über die Sinne wie Sehen, Tasten, Hören oder Schmecken in unser Gehirn. Erst dort entsteht dann ein einzigartiges, individuelles Bild der Welt. Zu jeder Zeit laufen im Gehirn eines Menschen unzählige bewusste und unbewusste Vorgänge ab. Dadurch verändert sich auch das Gehirn selbst.

Entscheidende Fortschritte in der Mikroskopie und anderen bildgebenden Verfahren zeigen immer genauer, wie unser Gehirn funktioniert. Doch weiterhin stellt dieses außerordentlich komplexe Organ Wissenschaftler*innen vor viele Fragen. Erkenntnisse aus der Hirnforschung sind nicht nur in der Medizin wichtig, sie haben auch Auswirkungen auf gesellschaftliche Bereiche wie Bildung, Erziehung und Rechtsprechung.

Wie ist das Gehirn aufgebaut?
Das menschliche Gehirn ist das komplizierteste Organ, das die Natur geschaffen hat. Seine Leistungsfähigkeit ist größer als die der stärksten Supercomputer. Das Gehirn ist auf verschiedenen Ebenen in Schaltkreisen organisiert: von den Vorgängen an einer einzelnen Synapse bis hin zu Netzwerken zwischen Millionen von Zellen. Das menschliche Gehirn besteht aus verschiedenen Regionen wie Großhirn, Kleinhirn oder Hirnstamm, die unterschiedliche Aufgaben haben. Für viele Fähigkeiten müssen aber verschiedene Hirnregionen zusammenarbeiten. Deshalb sind sowohl benachbarte Nervenzellen als auch Zellen in weit voneinander entfernten Regionen miteinander verbunden. Gehirn (Grafik) ©
Cortex
Die Großhirnrinde, auch Cortex genannt, bedeckt fast das ganze Gehirn. Mit ihren Furchen und Windungen gibt sie dem Gehirn das Aussehen einer Walnuss. Die Großhirnrinde steuert Wahrnehmung, Bewusstsein und Verhalten. Sie ermöglicht es uns zu kommunizieren, schwierige Aufgaben zu lösen und Objekte zu erkennen und einzuordnen.

Frontallappen
Frontallappen heißt der gesamte vordere Teil des Cortex. Von hier aus wird die bewusste Bewegung gesteuert, insbesondere Schnelligkeit, Richtung und Kraftentwicklung. Viele Wissenschaftler*innen verorten hier auch die höheren geistigen Funktionen des Menschen und bezeichnen den Frontallappen als „Träger der Kultur“. Der vorderste Bereich des Frontallappens ist für Aufmerksamkeit, Nachdenken, Entscheidung und Planung verantwortlich und gilt als Sitz der Persönlichkeit.

Temporallappen
Die bekannteste Funktion des Temporallappens ist das Hören. Die Hörzentren nehmen fast die gesamte Oberfläche des Temporallappens ein. Sprache und Musik erfordern wohl eine solch hohe „Rechenleistung“. Der Temporallappen wird aber auch für viele andere Dinge benötigt, zum Riechen, Sprechen, Verstehen, bildlichen Erkennen und zur Gedächtnisbildung.

Hippocampus
Der Hippocampus ist ein „eingerolltes“ Stück Cortex und ein zentraler Teil des limbischen Systems. Er ist wichtig für die Speicherung von Wissen und Erfahrungen – wem er fehlt, der kann sich nichts Neues merken. Der Hippocampus ist einer der wenigen Bereiche des Gehirns, in dem zeitlebens neue Nervenzellen entstehen.

Limbisches System
Das limbische System ist eine Gruppe von Hirnbereichen, die für die Entstehung und Verarbeitung von Emotionen und für Gedächtnisprozesse von großer Bedeutung sind. Die wichtigsten sind Hippocampus, Amygdala (Mandelkern), Gyrus cinguli und Gyrus parahippocampalis. Diese Hirnbereiche sind eng miteinander verknüpft. Das limbische System kontrolliert unsere Gefühle und unsere Sexualität und bewertet die Wichtigkeit von Informationen über die Außenwelt.

Hypothalamus
Der Hypothalamus kontrolliert so wichtige Funktionen wie Fortpflanzung, Ernährung, Temperaturregulation und Zeitmessung. Er ist ein übergeordnetes Zentrum des autonomen Nervensystems, das unbewusste Prozesse steuert, etwa die Atmung oder den Herzschlag. Der hintere Teil des Hypothalamus gehört zum limbischen System.

Hirnanhangsdrüse
Die Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) ist nur so groß wie eine Erbse – aber lebensnotwendig. Als „Königin der Drüsen“ bestimmt sie das Hormonsystem des Körpers. Sie wird vom Hypothalamus gesteuert und gibt Hormone ins Blut ab. Damit regelt sie Körperfunktionen wie Wachstum und Fortpflanzung und den Stoffwechsel.

Kleinhirn
Das Kleinhirn liegt im hinteren Teil des Schädel. Evolutionsgeschichtlich ist es ein sehr alter Teil des Gehirns. Die Verbindungen zwischen den Nervenzellen sind hier deutlich weniger komplex als im Großhirn. Das Kleinhirn koordiniert die Motorik, also die Körperhaltung und das Gehen, aber auch komplexe Bewegungsabläufe wie das Schreiben. Trotz seiner geringen Größe besteht das Kleinhirn aus viermal mehr Zellen als das gesamte restliche Gehirn.

Hirnstamm
Der Hirnstamm ist direkt mit dem Rückenmark verbunden und so etwas wie die „Technikzentrale“ des Gehirns. Nicht größer als ein Daumen, kontrolliert und regelt der Hirnstamm die unbewussten, lebensnotwendigen Prozesse im Körper wie Kreislauf, Atmung oder Schlaf. Entwicklungsgeschichtlich ist er der älteste Teil des Gehirns. Die Unterschiede zwischen Mensch und Tier sind deshalb hier vergleichsweise gering.

Kommunikation ist alles
Unser Gehirn ist ein komplexes Netzwerk aus rund Milliarden von Nervenzellen, die ständig miteinander kommunizieren. Dauernd werden Verbindungen zwischen den Nervenzellen neu aufgebaut oder getrennt, verstärkt oder abgeschwächt. Dies ist auch die Voraussetzung dafür, dass wir lernen und vergessen können. Die Nervenzellen nehmen über die Dendriten elektrische Reize auf und leiten diese zum Zellkörper. Von dort werden sie über das Axon zu anderen Nervenzellen gesendet. Die Übertragung von einer Zelle zur nächsten geschieht an den Synapsen. Hier wird der elektrische Impuls in einen chemischen Impuls übersetzt. Es gibt Nervenzellen im Gehirn, die Signale von bis zu 10.000 anderen Nervenzellen erhalten und solche, die Signale an Tausende andere weitergeben.
 
© Max Planck Gesellschaft
Die Nervenzellen im Gehirn sind in Schichten angeordnet. Diese Schichten und ihre vielen Verbindungen sind die Voraussetzung für das schnelle Verarbeiten von Informationen. 

Gedankenautobahnen
Die Zuordnung bestimmter Funktionen zu einzelnen Hirnregionen erklärt nicht die komplexen Leistungen des Gehirns – Handlung, Emotion und Aufmerksamkeit etwa hängen voneinander ab. Auch kognitive Leistungen, wie zum Beispiel Rechnen, werden erst durch die komplizierte Verschaltung von unterschiedlichen Gehirnregionen möglich. Im Gehirn verlaufen große Nervenfaserbündel, die die Zellen der verschiedenen Hirnregionen „überregional“ miteinander verbinden. Mithilfe der diffusionsgewichteten Magnetresonanztomografie (dMRT) können Wissenschaftler*innen diese Vernetzung der Hirnareale am lebenden menschlichen Gehirn nachvollziehen. Die Technik ist nicht invasiv, ungefährlich und sehr genau. Gemessen wird die Diffusionsbewegung von Wassermolekülen im Gewebe. Diese können sich entlang der Nervenfaserbündel schneller und leichter bewegen als quer dazu. Die gemessenen Diffusionsgradienten übersetzen die Forscher*innen anschließend in leuchtende Farbmuster.
  Gedankenautobahnen © Max Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig / Ralph Schurade, Alfred Anwander / Visualisierungssoftware: Fibernavigator 2
Die großen Nervenfaserbündel im Gehirn können mit dMRT sichtbar gemacht werden. Die Farben zeigen die Ausrichtung der Fasern an.

Mehr als Service für Neuronen
Neben den Nervenzellen gibt es im Gehirn noch eine weitere Art von Zellen, die Gliazellen. Ohne sie würde in unseren Köpfen gar nichts funktionieren. Gliazellen bilden die Grundstruktur des Gehirns und führen so zu einer schnellen Informationsverarbeitung. Sie versorgen die Nervenzellen mit Nahrung und entsorgen deren Abfallstoffe. Auch die Schicht, die die langen Nervenfasern elektrisch isoliert, wird von Gliazellen gebildet. Sie ist die Voraussetzung für die für Wirbeltiere typische schnelle Nervenleitung. Max-Planck-Wissenschaftler*innen in Göttingen erforschen die Bedeutung der Gliazellen bei neurologischen und psychiatrischen Krankheiten. Die Münchner Neurobiologin Magdalena Götz entdeckt, dass sich bei der Entwicklung des Gehirns auch die Nervenzellen aus Gliazellen entwickeln. Nun untersucht sie, ob aus Gliazellen auch im entwickelten Gehirn neue Nervenzellen entstehen können, zum Beispiel nach einer schweren Gehirnverletzung oder einem Schlaganfall.
  Neuronen © Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried / Volker Staiger
Bei einer Verletzung des Gehirns werden bestimmte Gliazellen aktiv: Mikroglia (hier rot) und Astrozyten (grün) stützen, schützen und ernähren die Nervenzellen (blau-türkis), so dass diese sich erholen können.

Der Schaltplan des Gehirns
Die gesamten Nervenverbindungen eines Lebewesens heißen Konnektom. Dieser Begriff soll zum Ausdruck bringen, dass die Nervenzellen stark miteinander vernetzt sind und nur in ihrer Beziehung zueinander verstanden werden können. Das Konnektom des menschlichen Gehirns ist sehr komplex. Wissenschaftler*innen untersuchen die grundlegenden Prinzipien deshalb an einfacher aufgebauten Gehirnen, zum Beispiel bei Mäusen. So können Forscher*innen des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung 2019 die Verbindungen in einem kleinen Stück eines Mäusegehirns so genau sichtbar machen wie noch nie zuvor: ein Schaltplan zwischen rund 7000 Axonen, mit mehr als zweieinhalb Metern neuronaler „Kabel“, verknüpft über gut 400.000 Synapsen. Dazu nutzen sie eine neue Art der Bildverarbeitung, die auf künstlicher Intelligenz (KI) basiert. Sie können dabei auch erstmals zeigen, dass die Anordnung neuer Synapsen festen Regeln folgt.
  Ein kleiner Teil aus der Großhirnrinde einer Maus – rekonstruiert mit KI-basierter Bildverarbeitungssoftware. © Reprinted with permission from A Motta et al., Science. DOI: 10.1126/science.aay3134
Ein kleiner Teil aus der Großhirnrinde einer Maus – rekonstruiert mit KI-basierter Bildverarbeitungssoftware. 

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