Aus alt mach neu
Wie man Denkmälern eine neue Bedeutung geben kann
Denkmäler gibt es in jeder Stadt. Der 25-jährige Rudolf Samohejl beschäftigt sich bereits seit fünf Jahren mit der Bedeutung und Funktion dieser Standbilder. Es geht ihm dabei darum, den Statuen der nationalen Helden, an denen man meistens gleichgültig vorbeigeht, ihre ursprüngliche Funktion wiederzugeben und gleichzeitig einen Weg zu finden, ihre Wirkung zu aktualisieren.
Rudolf studiert im sechsten Jahr Bildhauerei an der Prager Akademie für Kunst, Architektur und Design (Vysoká škola umělecko-průmyslová). Für die Stadt und ihren öffentlichen Raum interessierte er sich ganz selbstverständlich, denn für einen Bildhauer ist das ein Bereich, in dem er sich realisieren kann – und eine Form davon sind eben Denkmäler. Er fing damit an, sich banale Fragen zu stellen, auf die es allerdings keine einfachen Antworten gab: Was ist eine Statue und warum ist sie Teil der Stadt? „Denkmäler sind für mich merkwürdige Orte innerhalb der Stadtstruktur. Sie stehen einfach rum wie ein Hindernis und tun nichts. Mir wurde dann klar, dass ich eigentlich gar nicht weiß, was ein Denkmal wirklich ist“, erläutert Rudolf die Anfänge seines Reflexionsprozesses.
Er begann also, sich näher mit diesem Phänomen zu beschäftigen. Dabei wurden ihm bemerkenswerte Zusammenhänge klar. „Obwohl die meisten Denkmäler so aussehen, als seien sie irgendwann gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, stammen beispielsweise die Statuen der Schriftsteller Božena Němcová oder Alois Jirásek in Prag vom Ende der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts.“ Rudolfs Erklärung: „Der Sozialismus verwendete die alte Form, womit er sich die Ideale der nationalen Wiedergeburt aneignete, aber gleichzeitig versah er die Skulpturen mit seiner eigenen Ideologie.“ Dennoch sollten die bestehenden Denkmäler seiner Meinung nach dort bleiben, wo sie sind. „Sie sollten weiterhin an das Ereignis erinnern, das den Anlass zu ihrer Errichtung gab“. Dies gelte auch für kontroverse, ideologisch gefärbte Werke.
Andere Zeiten, andere Sichtweisen
Ein Beispiel dafür ist die Skulptur Verbrüderung im Park vor dem Prager Hauptbahnhof. Sie stellt einen tschechischen und einen sowjetischen Soldaten dar, die sich zum Beweis ihrer „gegenseitigen“ Freundschaft küssen. „Ich assoziiere damit aber etwas ganz anderes als die Befreiung unseres Landes. Vielmehr macht es auf mich den Eindruck, dass hier die Umarmung von Homosexuellen gezeigt wird. Deshalb habe ich darüber nachgedacht, ob man diesem funktionsentleerten Standbild nicht eine neue Bedeutung verleihen sollte, die in der heutigen Zeit Sinn macht, und zwar genau diese. Ansonsten würde ich an dem Denkmal nichts ändern“, beschreibt Rudolf seine Überlegungen.
Er kontaktierte deshalb Jiří Hromada, den Hauptprotagonisten der tschechischen Schwulenbewegung, und fragte ihn, was die schwule Community von so einer „Wiederbelebung“ der Skulptur halten würde. „Seine Antwort hat mich ziemlich überrascht. Angeblich sei das gar nicht nötig. Die Skulptur spiele diese Rolle bereits seit den 90er Jahren. Die Leute treffen sich „an der Umarmung“ genauso wie auf dem Wenzelsplatz „unterm Schwanz“ [des Reiterstandbildes des Heiligen Wenzel, Anm. d. Übers. ].
Da Rudolf zur Zeit in Prag lebt, stehen naturgemäß die dortigen Skulpturen im Zentrum seiner Überlegungen. Ihm fiel beispielsweise die Bronzestatue von Josef Mánes auf, die sich direkt am Moldau-Ufer gegenüber von Rudolfs Schule befindet. „Mánes war ein Maler der Romantik, auf den sich zahlreiche Künstler beriefen und sogar ihre Vereinigung nach ihm benannten. Mánes war ein Vorbild, aber auch ein Wahnsinniger. Die meisten Menschen wissen aber gar nichts über ihn“, erläutert Rudolf den Impuls für seinen „Eingriff“.
Er wurde den Eindruck nicht los, dass der Skulptur, die den Künstler beim Malen zeigt, etwas fehlt. Deshalb stellte er der Statue im Frühling 2012 eine Staffelei und eine Landschaft zur Seite. „Ich wollte zeigen, dass die Statue dort nicht ganz alleine steht, sondern mit der sie umgebenden Landschaft kommuniziert genauso wie mit dem Betrachter.“
Rudolf hat bereits ein Auge auf ein weiteres Denkmal eines bedeutenden tschechischen Künstlers geworfen – das, des Schriftstellers Alois Jirásek. Sein Eingriff, der bisher nur als Modell existiert und der im Gegensatz zum vorhergehenden interaktiver Natur ist, soll den Namen Stille für Jirásek tragen. Rudolf möchte ein schalldichtes „Häuschen“ konstruieren, mit dem er die Statue Alois Jiráseks am Tanzenden Haus einhüllt. Zu dieser kleinen Bude soll eine Treppe führen, über die jeder zu Jirásek emporklettern könnte. Dann könnte man dem berühmten Schriftsteller gegenübersitzen und mit ihm die Stille inmitten einer sehr lauten Prager Kreuzung teilen.
Was ist da drin?Bisher standen die Statuen der tschechischen Klassiker im Mittelpunkt von Rudolfs Interesse. In Zukunft möchte er sich auch mit Denkmälern beschäftigen, die das kommunistische Regime für seine Helden errichtet hat. Der Großteil von ihnen ist bereits von der Bildfläche verschwunden, deshalb wird die Suche nicht ganz einfach. „Ich würde gerne ein Werk mit dem Titel Können Statuen Farben sehen? schaffen. Das würde sich mit der ideologischen Aufladung von Statuen beschäftigen“, erläutert Rudolf seine Idee. „Ich würde in die Statue von hinten eine Tür einbauen, damit der Betrachter hineingehen kann. Dann könnte er auf einer Leiter nach oben klettern und die Welt durch ihre Augen betrachten.“
Übersetzung: Ivan Dramlitsch