Leben

Mit dem Fahrrad zur Arbeit? Warum eigentlich nicht?

Jan KoutHolland, Dänemark, Belgien, Deutschland und viele weitere europäische Staaten machen es schon seit langem vor – dort ist das Fahrrad nicht nur ein Sportgerät, sondern wird von vielen Menschen als ganz normales Verkehrsmittel genutzt, mit dem man täglich zur Schule oder zur Arbeit fährt. Was sind die Vorzüge dieses Verkehrsmittels und was die Nachteile? Und sehen die Tschechen im Rad überhaupt etwas anderes als ein Sportgerät?

„Mit dem Fahrrad mache ich hauptsächlich Ausflüge, benutze es also eher in der Freizeit... aber zur Schule radele ich auch, genauso wie abends, wenn ich mich mit Freunden treffe und keine Busse mehr fahren, das spart eine Menge Zeit“, erklärt die Studentin Lenka (25, České Budějovice) ihr Verhältnis zum Drahtesel. Zeitgewinn und Bewegungsfreiheit sind die häufigsten Argumente derer, die das Fahrrad als Verkehrsmittelalternative in den von Autos verstopften Straßen der Städte benutzen. Im Berufsverkehr kommt nämlich an einigen Orten selbst der öffentliche Personennahverkehr zum Erliegen; dann geht es nur noch im Schneckentempo oder eben gar nicht voran. Der Zeitverlust ist enorm. „Klar, anstatt in der Stadt im Stau zu stehen, ist es viel besser, das Fahrrad zu nehmen oder zu Fuß zu gehen“, rät Eva (22, Prag).

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Copyright: Jan Jout


Trotz aller Vorteile des Fahrrads können die Radler in den meisten tschechischen Städten nicht einfach herumfahren, wo sie wollen, sondern nur auf den für sie bestimmten Radwegen. Diese verbinden meistens jedoch nur die städtischen Randbezirke mit dem Zentrum, ohne besonders mit dem sonstigen Straßenverkehr verbunden zu sein. Die Vorteile und Mängel der Fahrradwege fasst Miroslav (51, České Budějovice) zusammen: „Sie sind relativ sicher und man kommt relativ flott voran. Und die Nachteile? Manchmal sind die Fahrradwege richtig überfüllt, weil sie auch von Sportlern wie Joggern und Inline-Skatern in Beschlag genommen werden.“ Einige Fahrradwege sind sogar für regelrechte Konflikte zwischen den einzelnen Sportlern bekannt, das gilt laut Petr (26, Brno) vor allem für die Rivalität zwischen Fahrradfahrern und Inline-Skatern: „Bestimmte Abschnitte der Fahrradwege werden von Inline-Skatern genutzt. Vor allem die im Zentrum und Umland, da ist der Asphalt besser. Die Radfahrer kennen diese Stellen und versuchen sie zu meiden, denn dort fährt es sich nicht angenehm.“ Weitere Nutzer der Radwege, sowohl der städtischen als auch der außerhalb, sind Mütter mit Kinderwagen oder Leute, die dort mit ihren Hunden Gassi gehen. Dergestalt frequentierte Wege zehren jedoch am Nervenkostüm eines jeden Radlers: „Man fürchtet sich vor Zusammenstößen, man hat Angst um seine Gesundheit, man muss mit Konflikten rechnen. Das ist sehr unangenehm“, beschreibt Petr (26, Brno) seine Erlebnisse.

Laut offiziellen Statistiken gab es in Tschechien zum 1. Januar 2011 insgesamt 1903 Kilometer Rad- und Radwanderwege. Über das größte Netz verfügt Prag (224 Kilometer), dicht gefolgt vom Kreis Mittelböhmen (215 Kilometer). Auch Nord- und Südmähren gehören mit knapp 200 Kilometern zu den besser ausgestatteten Regionen. Die wenigsten Fahrrad- und Radwanderwege gibt es hingegen in den west- und nordböhmischen Kreisen Karlovy Vary, Ústí nad Labem und Liberec. Dies kann teilweise auch mit dem dort schwierigeren Gelände zusammenhängen. Ist aber die gegenwärtige Anzahl und Länge der tschechischen Fahrradwege ausreichend? „Notwendig wäre eine viel bessere Anknüpfung der einzelnen Wege untereinander, so dass durchgehende Verbindungen zwischen Naturgebieten und städtischen Zentren entstehen – so wie es beispielsweise in Deutschland oder Österreich funktioniert“, meint Miroslav aus České Budějovice.

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Dass in Tschechien nicht so viele neue Radwege entstehen, hat mehrere Gründe. Einerseits fehlen das Geld und auch der Wille auf Seiten der Politiker. Andererseits gibt es auch keinen richtigen Druck seitens der Bürger, die öffentliche Nachfrage ist gering. Es wäre notwendig, dass das Fahrrad nicht nur als Freizeit- und Sportgerät genutzt wird, sondern auch als Verkehrsmittel des Alltags intensiver zum Einsatz kommt. Die erhöhte Nachfrage nach Radwegen würde die Politiker sicherlich zum Umdenken zwingen.

Ein weiteres Problem für die Radfahrer ist die nach wie vor wenig entwickelte Toleranz der Autofahrer. Diese wollen ihre dominante Position im Straßenverkehr mit niemandem teilen. Vergleicht man das Verkehrsaufkommen zwischen (motorisiertem) Straßenverkehr, Schienenverkehr und „Fahrradverkehr“, liegt letzterer weit abgeschlagen hinten. Und das obwohl sich das Fahrradwegnetz seit 2009 rasant vergrößert hat, und zwar um rund 600 Kilometer.

Die Initiative Auto*Mat kämpft für die Rechte der Fahrradfahrer und setzt sich vor allem in Prag für den Bau neuer Fahrradwege ein: „Unser Ziel ist es, den Fahrrad-, den Fußgänger- und den öffentlichen Verkehr in Prag zu unterstützen und zu fördern. Wir setzen uns auch für eine verantwortungsbewusste Nutzung des Autos und eine Verkehrsberuhigung in der Stadt ein. Wir als Auto*Mat wollen Prag, das sich dem Autoverkehr ausgeliefert hat, lebenswerter machen“, heißt es auf der Internetseite der Initiative. Zu den Aktivitäten von Auto*Mat gehören Aktionen wie Fahrraddemos („Cyklojízda“) Prager Schulen oder das vor kurzem organisierte Straßenfestival „Die Stadt anders erleben“. Damit soll auf die schlechten Bedingungen für Fahrradfahrer in der Stadt hingewiesen werden. „Mit der Fahrraddemo protestieren wir gegen die dauerhaften Schäden, die der Autoverkehr an unserer Gesundheit und an unserer Stadt verursacht“, erklärt die Prager Gymnasiallehrerin Alena Volfová ihre Teilnahme an der „Cyklojízda“.

Während man sich aber hierzulande bei der „Fahrradweg-Politik“ vor allem auf den Neubau konzentriert, denkt man anderswo über preiswertere Alternativen nach. Ein schönes Beispiel ist die ostböhmische Stadt Pardubice. Die dortigen Politiker haben sich dabei vom Ausland inspirieren lassen, wo Fahrradfahrer Einbahnstraßen in beide Richtungen benutzen dürfen. Dies soll nun auch in Pardubice eingeführt werden. Doch das ist nicht die einzige Möglichkeit wie man den Fahrradverkehr ohne hohe Kosten unterstützen kann. Berlin geht beispielsweise noch einen Schritt weiter. Einige eher weniger frequentierte Straßen wurden dort als „Fahrradstraßen“ ausgewiesen, in denen die Zweiradfahrer Vorfahrt genießen. Darüber hinaus sind diese Straßen Bestandteile des städtischen oder europäischen Radwegenetzes und verfügen somit über eine einheitliche Beschilderung. Es ist aber egal, woher man die Inspiration nimmt. Sicher ist, dass markierte Wege eine Voraussetzung für eine sichereren und einfacheren Fahrradverkehr sind, der auch von den anderen Verkehrsteilnehmern als gleichberechtigt anerkannt wird.

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Lenka Švecová
Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Videoschnitt: Jan Kout

Copyright: Goethe-Institut Prag
Dezember 2011

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